Ich war davon überrascht, dass Charlie mir die Tür öffnete, als ich bei Oma klingelte. Wir begrüßten uns kurz und ich fragte ihn, was passiert war, da Silas am Telefon sehr seltsam geklungen hatte.
„Komm einfach mit" Charlie ging ins Wohnzimmer, wo Silas mit einem jungen Mann auf dem Sofa saß, einen Arm um ihn gelegt hatte und dabei ganz verzweifelt aussah. Sein Blick verfing sich sofort in meinem, als ich den Raum betrat, so als hätte er mich bereits erwartet. Ich spürte seine Erleichterung, weil ich nun da war, und versuchte ihm noch zusätzlich dazu Ruhe zu vermitteln.
Wortlos schob mich Charlie aus dem Raum, zurück in den Flur, von wo aus wir in die Küche sahen, wo Oma mit einem kleinen Mädchen Kekse backte.
„Wo habt ihr die Kinder her?", fragte ich Charlie möglichst leise, aber etwas aufgebracht. Sie hätten doch Chad suchen sollen und nicht irgendwelche Kinder aufsammeln.
„Silas hat die Kleine auf der Polizeistation gefunden", erklärte mir Charlie. „Sie ist die einzige Überlebende..." Er machte eine kurze Pause und schüttelte ungläubig den Kopf. „Es war ein Massaker, Raphael. Chad hat diese Leute qualvoll abgeschlachtet, er scheint in blinder Wut gefangen zu sein. Ich glaube, die meisten hat er nicht mal absichtlich umgebracht. Chloes Mutter zum Beispiel hat er an eine Wand geschleudert, aber dabei ist ihr Genick gebrochen, die Polzisten hat er nur umgebracht, weil sie sich ihm in den Weg gestellt haben, bei ihnen war es eher hektisch, aber bei seinen Eltern... Er hat sich Zeit gelassen... Er hat sie gefoltert" Charlie drückte mir einen USB- Stick in die Hand. „Ich habe die Kameraaufnahmen hier drauf, die anderen dann gelöscht und die Kameras kaputt gemacht. Hätte das jemand zu Gesicht bekommen, wäre der Friede schneller vorbei gewesen als wir überhaupt nur daran denken könnten, uns zu erklären. Aber wir müssen Chad finden, am besten sofort. Ich weiß nicht, was er noch anrichten wird und ich bin mir ziemlich sicher, dass wir das dann nicht so einfach vertuschen können..."
Ich nickte verstehend und steckte den USB-Stick in meine Hosentasche. „Habt ihr euch um die Leichen auf der Station gekümmert?"
Charlie nickte. „Ich habe die Polizei alarmiert, die kümmern sich um die Leichen, um den Fall und ums Saubermachen. Chloe und Chris haben aber nicht wirklich Priorität für die gerade..."
„Die Kinder?", hakte ich sicherheitshalber nach.
Charlie nickte. „Chloe hat Chris von Silas' Handy aus angerufen... Er hat ziemlich schnell das Vertrauen von beiden gewonnen und ich glaube, er hat sie auch schon ziemlich ins Herz geschlossen, beziehungsweise fühlt sich für sie verantwortlich. Wir sollten uns überlegen, was wir jetzt mit den Kindern machen..."
Diesmal nickte ich und seufzte, fuhr mir dabei durch die Haare. „Wo ist Austin?"
Charlie zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, er ist verschwunden, sobald hier alles ruhig war. Wahrscheinlich stalkt er wieder heimlich Jay"
„Verdammt", zischte ich kopfschüttelnd. „Sorg dafür, dass er damit aufhört, sonst kette ich ihn irgendwann im Kerker fest..."
Charlie sah mich nachdenklich an. „Vielleicht ist es jetzt aber gar nicht so schlecht, wenn jemand ein Auge auf ihn hat... Obwohl er keinen Kontakt zu uns hat, steckt er doch ziemlich tief mit drin. Wenn Chad wirklich auf Rache aus ist, wird es uns früher oder später auch erwischen und außerdem will der Höllenkrieger ja auch was von Jay. Jemand sollte nach ihm sehen..."
Das machte Sinn. „Gut", stimmte ich zu. „Aber nicht Austin. Jay hat Briana ein Ultimatum gestellt, entweder er oder wir. Sie soll ihm weißmachen, sich für ihn entschieden zu haben und auf ihn aufpassen, Michael soll ihr helfen und uns auf dem Laufenden halten."
Charlie nickte. „Ich werde dafür Sorge tragen"
Ich dachte weiter nach. „Kannst du mit Austin und Boris dann bitte weiter nach Chad suchen. Boris weiß sehr viel über Chad und sein altes Leben, er wird wissen, an wem er sich wohl noch so rächen will."
Wieder nickte Charlie. „Sonst noch was?"
Ich dachte nach. „Dale soll vorrübergehend bei uns wohnen, kannst du ihm das mitteilen und dafür sorgen, dass er herkommt?"
Charlie nickte und meinte: „Wird erledigt."
Seufzend bedankte ich mich bei ihm, sah dabei aber auf den Boden, bis sich Charlies Hand auf meine Schulter legte. „Kopf hoch, Großer" Er sah mich zuversichtlich an, trug einen Blick in den Augen, der für mich unergründlich war.
„Was ist?", fragte ich ihn daher unsicher.
Er schmunzelte leicht. „Ich bin einfach nur unglaublich stolz auf dich. Auf den Mann, zu dem du geworden bist."
Ich erwiderte sein Lächeln und genoss die väterliche Umarmung, die ich daraufhin von ihm bekam, nahm mir diesen einen kleinen Moment, in seinen Armen wieder ein sorgloser Junge zu sein.
Allerdings löste er sich wieder von mir und verabschiedete sich, um zu tun, was ich ihm aufgetragen hatte, während ich zu Silas und Chris ins Wohnzimmer ging.
Silas stellte mich dem Jungen vor und andersrum. Gerade noch hatte er sich bei Silas ausgeweint, doch nun war er sehr still und sah mich ein wenig misstrauisch an.
„Wir sollten uns überlegen, was wir jetzt mit dir und deiner Schwester machen"
Als ich das sagte, riss er die Augen weit auf und sah mich schockiert an, bereit, aufzuspringen. Silas' Hand auf seinem Knie hinderte ihn aber daran. „Ganz ruhig, Chris. Er meint nur, wo ihr jetzt am besten hinsollt. Du hast mir erzählt, dass ihr keine Verwandten mehr habt, die sich um euch kümmern können." Silas sah mich an. „Sein Vater ist abgehauen, als Chris noch klein war und Chloes ist vor ein paar Jahren gestorben. Die Großeltern sind entweder tot oder im Pflegeheim, zu Tanten oder Onkels besteht kein Kontakt, weil sie sich verstritten haben."
Ich nickte verstehend. „Das Jugendamt hat sich noch nicht gemeldet?"
Silas schüttelte den Kopf. „Also ich hab angerufen und die Situation geschildert, aber die meinten, sie rufen dann zurück..."
Sehr kompetent... „Okay", seufzte ich und erhob mich. „Ich komme gleich wieder" Dann ging ich in die Küche und sah dabei zu wie Oma mit der Kleinen backte und dabei versuchte, sie aufzuheitern, indem sie lustige Gesichter auf die Kekse machte.
„Hallo, Oma" Ich begrüßte sie mit einem Kuss auf den Kopf und lächelte dann Chloe an, die sofort etwas ruhiger wurde und mich ebenso misstrauisch musterte wie ihr Bruder zuvor. Vertrauen lag wohl nicht wirklich in der Grundstimmung der Geschwister. Nach dem, was passiert war, wunderte mich das allerdings nicht wirklich.
„Hi, Chloe. Ich bin Raphael, der Freund von Silas. Wir wollen im Wohnzimmer etwas Wichtiges besprechen, wir bräuchten dich dazu auch. Kommst du mit?"
Sie nickte wortlos, nahm Oma an der Hand und ging mit ihr ins Wohnzimmer. Ich folgte ihnen. Als Chloe sich bei ihrem Bruder auf den Schoß gesetzt hatte und ich ebenfalls wieder saß, redete ich weiter. „Solange sich das Jugendamt nicht gemeldet hat und ihr niemanden habt, wo ihr hinkönnt, bleibt ihr am besten bei uns.", erklärte ich den Kindern und warf Silas dabei einen fragenden Blick zu. Er lächelte leicht und nickte, trug dabei ein mir bis dato unbekanntes Glänzen in den Augen, das mich leicht verwirrte.
„Wir holen am besten erstmal ein bisschen Kleidung von euch und in der Zeit überlegen wir uns, wo ihr bleibt, solange ihr bei uns seid." Chris und seine Schwester nickten unisono. Gerti sagte sofort, dass die Kinder gerne bei ihr bleiben konnten. Um ehrlich zu sein, hatte ich darauf gehofft. Gerti konnte sich gut rund um die Uhr um sie kümmern und hatte bereits einen Zugang zu Chloe. Ich konnte mir vorstellen, dass es eher einschüchternd für die Kinder war, plötzlich in einem Palast im Vampirreich zu wohnen, also war das für alle die beste Lösung. Zumindest hoffte ich das.
Obwohl ich es versuchte, wusste ich, dass ich nicht immer alles richtig machen konnte. Bei jeder Entscheidung, die ich traf, befürchtete ich, ich machte alles nur noch schlimmer, aber das hier betraf unschuldige, wehrlose Kinder, für die wir nun mehr oder weniger freiwillig die Verantwortung übernommen hatten. Zudem hatten wir mit einem durchgeknallten, seelenlosen Chad und einem Höllenkrieger zu kämpfen und es bestand nach wie vor die Gefahr durch die Engel, von denen wir noch immer nicht wussten, was sie wollten oder wie wir ihnen gegenübertreten sollten. Meine Freunde und ich waren ein verdammt starkes Team, aber ich zweifelte dennoch daran, dass wir dem allen gewachsen waren.
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Only We
Fantasy-Ich erkannte in seinem Blick, dass da noch so viel mehr war. So viel mehr, das er mir sagen und bewusst machen wollte, doch er stand einfach nur knapp vor mir und sah mich intensiv an, sodass es sich so anfühlte, als entfachte er ein wärmendes Lage...