51. Chad: Warten

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„Wofür trainieren wir eigentlich noch? Wenn Luzi wieder da ist, kann er doch allen in den Arsch treten" Boris sah fragend in die Runde.

Er beschwerte sich bereits seit heute Morgen, dass wir uns wieder zum Training trafen, da Charlie ihn wohl aus dem Bett gezerrt hatte, um pünktlich zu sein. Kein Wunder, dass Boris noch erschöpft war von dem, was da letzte Nacht gelaufen war. Ich fragte mich echt, warum es nötig war, dass Charlie und Boris uns beinahe jede Nacht (manchmal auch mehrmals) an ihrem Sexleben teilhaben lassen mussten. Gab ihnen das einen Kick? Wollten sie uns bestrafen? Das konnten nur die beiden wissen.

„Bis Luzifer wiederkommt, kann es eine Weile dauern, Boris. Willst du solange wirklich einfach darauf hoffen, dass uns nichts passiert?" Michael sah Boris kritisch an.

Dieser erwiderte den Blick ebenso. „Luzifer meinte, du kannst uns beschützen"

Michael seufzte. „Theoretisch könnte ich das. Aber was bringt es dir, dich bei einem Kampf hinter mir zu verstecken? Willst du dich nicht selbst verteidigen können?"

„Doch", brummte Boris. „Aber das Training ist anstrengend. Ich mache doch eh schon so viel Sport"

Silas begann zu lachen. „Sex ist keine anerkannte Sportart, Boris, egal wo er stattfindet"

Boris streckte seinem Cousin bloß frech die Zunge raus, doch begann ebenfalls zu lachen. Auch wir anderen waren belustigt, jedoch konnte ich einfach nicht richtig loslassen und die Zeit genießen seit Luzifer weg war. Es waren erst ein paar Tage, doch er fehlte hier schon wahnsinnig.

Nachts lag ich wach, starrte an meine Zimmerdeckte, während ich an der Kette herumspielte, die Luzifer mir hinterlassen hatte, und dachte nach. Michael hatte mir erklärt, dass Luzifer, indem er mir einen kleinen Teil seiner Präsenz dagelassen hatte, auch dafür gesorgt hatte, dass er mich immer wiederfinden würde, für den unwahrscheinlichen Fall, dass er im Universum verloren ging. Er hatte dadurch eine Verbindung zwischen uns hergestellt und würde immer wahrnehmen können, wie es mir ging, wenn ich es zuließ. Er würde wissen, wann ich Hilfe brauchte, wann ich traurig war und wann ich mich ihm besonders nahe fühlte. Ich könnte die Kette natürlich ablegen, doch wieso sollte ich das tun? So war Luzifer immer bei mir.

Manchmal, wenn ich so dalag und nachdachte, stellte ich mir vor, wie es war so als Engel im Universum auf der Suche nach sich selbst. Ob Luzifer dort alleine war? Ob er sich einsam fühlte? Ob er mich vermisste? Woher wusste er, wo er hinmusste und was er zu tun hatte? War es dunkel im Universum? War es kalt? All das wollte ich Luzifer fragen, sobald er wieder hier war. Wir konnten uns ins Bett legen, im Arm halten und ich konnte ihm zuhören, wie er von seiner Reise erzählte. Ich mochte diese Vorstellung sehr, jedoch machte es mich traurig, wenn ich einmal realistisch darüber nachdachte, dass es sich bei Luzifers Abwesenheit mit Sicherheit nicht nur um ein paar Tage, Wochen oder Monate handeln würde. Wir redeten wir von Jahren, Jahrzehnten, Jahrhunderten. Das machte mir Angst. Für mich war das Training also gut, damit ich mich ablenken konnte. Ich bildete mir ein, Luzifer auch stolz machen zu können, wenn er gar nicht hier war. Ich bildete mir ein, ich sei es ihm schuldig, hier mein Bestes zu geben. Nur war das eben nicht immer einfach.

Michael hatte mich darauf hingewiesen, dass ich zu ihm kommen sollte, wenn ich Blut brauchte. Es sei zwar nicht optimal, jedoch würde mich sein Blut im Notfall auch am Leben erhalten ohne mich zu vergiften, da er ja Luzifers Bruder und ebenfalls ein Engel war. Ich hoffte es.

Nachdem wir Boris davon überzeugt hatten, dass er Training, vor allem im Kampf, noch sehr nötig hatte, hörte er auf zu jammern und machte anständig mit. Briana kämpfte mit Charlie, Dale mit Boris, Jay mit Raphael und Silas mit mir. Es wunderte mich nicht, dass er so gut war, obwohl er mir im Training um einige Jahre nachstand. Er war dazu geformt worden, den Kampf zu beherrschen, ihn zu gewinnen, selbst, wenn er glaubte, er lernte einfach nur schnell und das Kämpfen läge ihm eben, da er Jägerblütig war. Meine Familie hatte lange nach ihm gesucht, jedoch hatte ihn seine Großmutter immer gut versteckt gehalten. Sie hatten ihn immer gesucht, doch erst bei ihren Beschattungen von Raphael gefunden. Seitdem arbeiteten sie an einem Plan, Boris und ihn auf ihre Seite zu ziehen und ihre Vampirgefährten auszuschalten.

Für meine Familie war die Gefährtenverbindung sowas wie ein verrückter Aberglaube. Auch für mich war es unvorstellbar gewesen, dass es wirklich sowas wie eine Seelenverwandtschaft geben sollte. Doch, seit ich tagtäglich zwei Gefährtenpaare vor mir hatte, verstand ich es irgendwie. Es ging dabei nicht nur um Liebe und Verbundenheit. Es ging darum, vollständig zu sein. Vampire wurden dazu, was sie waren, da ihnen Schreckliches angetan worden war und sie eine zweite Chance verdient hatten. Diese Gefährtensache war ein Versprechen, in diesem Leben sein Glück zu finden, sobald man sich mit seinem Gefährten verbunden hatte. Ich hatte Raphael bereits gefragt, woher man weiß, wer der Gefährte ist. Raphael meinte, das sei unterschiedlich und sicher weiß man es erst, wenn man den Bluttausch durchgeführt hat, doch es gäbe eine Sache, die bei jedem Gefährenpaar gleich war: Man fühlte sich vollkommen, wenn man zusammen war. Man fühlte Wärme, Geborgenheit und auch eine gewisse Macht.

Seit wir darüber geredet hatten, ging es mir nicht mehr aus dem Kopf. Silas konnte mich deshalb im Training richtig auseinandernehmen.

Auch Michael bemerkte, dass ich alles andere als in Topform war und fragte mich, was los sei. Er wirkte besorgt dabei, etwas, das mich nach wie vor verwirrte.

„Ich bin in Gedanken nicht ganz bei der Sache", teilte ich ihm entschuldigend mit und sah auch Silas so an, da er ja unter meiner fehlenden Konzentration zu leiden hatte.

Michael schickte Silas zu Charlie und Briana. Er fand, Charlie ginge zu hart mit ihr um und Silas sollte ihn daher ablösen. Er jedoch blieb hier bei mir und sah mich weiterhin fragend an. „Ist es wegen Luzifer?"

Ich zuckte mit den Schultern, wich dabei seinem Blick aus.

Michael klopfte mir ein paar Mal auf die Schulter und ließ seine Hand dann dort liegen. „Er weiß, was er tut. Ich bin sicher, er kommt heil wieder zurück."

„Aber wann?" Mein Blick schoss hoch zu Michael. „Was habe ich noch von ihm, wenn er heil wieder zurück ist und ich längst tot bin?"

Michael lachte unsicher. „Du bist ein Vampir, Chad. Vorausgesetzt, keiner bringt dich um, wirst du ewig leben. Du wirst also auf ihn warten können, falls es das ist, was dich besorgt"

Ich schluckte hart und nickte verstehend. Ich hatte es tatsächlich für einen Moment vergessen. Ich war ein Vampir... Jahrhunderte waren nichts für mich, beziehungsweise würden sie das nicht mehr sein, sobald ich sie hinter mir hatte. Noch nie hatte ich einen solchen Vorteil darin gesehen, nicht mehr menschlich zu sein.

„Dann werde ich wohl warten"

Michael sah mich leicht ungläubig an. „Darum hat er dich nie gebeten. Er würde das niemals von dir verlangen..."

„Das ist mir egal", unterbrach ich ihn entschlossen und setzte leiser hinzu: „Es ist das Richtige"

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