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"Soso, was ist denn mit dir passiert? Hast du abgenommen?", fragt mich Mario als ich unsere Wohnung betrete und er gerade durch den Flut läuft. Und ich dachte wirklich man würde es durch die lockere Jogginghose und den dicken Pullover nicht sehen. Die letzten Tage verliefen immer gleich. Ich lag entweder in meinem Bett oder auf dem Sofa. Gegessen habe ich selten und es sind tatsächlich einige Kilos runter, obwohl ich das nie vorhatte.

"Gut möglich", meine ich kurz auf Marios Frage hin und schiebe meinen Koffer in den Raum von Felix und mir. Gerade als ich meine Jacke auf den Stuhl im Raum lege schließen sich zwei Arme um meinen Körper und ziehen mich näher heran.

"Hey mein Schatz, was ist los? Du siehst gar nicht gut aus", murmelt Felix sanft in mein Ohr und setzt einen Kuss auf meinen Hals. Seine Finger fahren sanft über den Stoff meiner Kleidung und er spürt meine mageren Rippen und meine hervorstehenden Beckenknochen. Langsam drehe ich mich in den Armen meines Freundes und schaue mit einem leichten Lächeln in das besorgte Gesicht von ihm.

"Da können wir später drüber reden, ja? Schön dich zu sehen", lächel ich schwach und spüre eine gewisse Erleichterung in mir. Ich habe Felix wirklich vermisst und in Kontakt war ich in den letzten Tagen mit eigentlich niemandem. Die Kraft fehlte mir um auf irgendwelche Nachrichten zu antworten.

"Wie geht es deinen Rippen?", frage ich besorgt und lege sanft meine Hand auf die Stelle. Nur ganz schwach und zaghaft um ihn nicht zu verletzten, aber die Prellung ist definitiv noch leicht zu spüren. Felix spannt sich unter meiner Berührung leicht an, weshalb ich die Hand sofort wieder wegziehe und mich schlecht fühle.

"Besser als am Anfang. Wird langsam wieder", lächelt er mich beruhigend an und legt seinen Zeigefinger unter mein Kinn, bevor er endlich die Lücke zwischen uns schließt und seine Lippen auf meine legt. Ein paar Minuten genießen wir einfach diesen Moment, der ausnahmsweise nur uns gehört und dann gehen wir zu den anderen ins Wohnzimmer.

"Hey Soso, alles gut bei dir?", fragt Jule sofort und steht vom Sofa auf, bevor er mich sanft in eine Umarmung zieht. Auch die anderen zwei schauen mich besorgt an, als sie mich begrüßen.

"Was hat der Arzt denn gesagt? Das hattest du noch gar nicht erzählt. Hast du deswegen so abgenommen?", fragt Jo und mustert mich aufmerksam, während ich auf dem Sofa Platz nehme. Ich muss es ihnen jetzt sagen. Die letzten Tage habe ich mir immer wieder vorgestellt wie es sein wird und doch ist es tausendmal schlimmer als erwartet.

"Also erstmal ist mein Immunsystem sehr schwach, aber dafür habe ich jetzt Medikamente die ich nehme. In ein paar Wochen sollte es wieder vollständig hochgefahren sein und dann werde ich auch nicht mehr ständig krank", fange ich an und knete nervös meine Hände.

"Das hört sich doch ganz gut an", meint Mario unsicher, da alle anderen schweigen. Doch Marco gibt seinem besten Freund sofort ein Zeichen, dass er ruhig sein soll. Die Jungs wissen schon, dass das noch nicht alles war.

"Was hat er noch gesagt?", fragt Jule zaghaft und ich wende meinen Blick auf meine Knie. Ich kann sie dabei nicht anschauen, ich kann die Gesichter dazu einfach nicht sehen.

"Meine Lunge ist von der Asthma Behandlung beschädigt. Die unteren Atemwege arbeiten nur noch zu siebzig Prozent und es wird über die Jahre weniger bis hin zum vollständigen Versargen. Meine Lebenserwartung ist um zehn bis fünfzehn Jahre gefallen", erzähle ich mit zitternder Stimme und kämpfe gegen die Tränen an. Die Erkenntnis macht mich jedes mal aufs Neue fertig.

Es herrscht Schweigen in der Wohnung, niemand der Jungs sagt etwas und als ich irgendwann den Blick hebe schaue ich in traurige und verletzte Gesichter. Man sieht den Schmerz in den Augen. Ich fühle mich unwohl, dieser Anblick zerbricht mir das Herz. Keiner traut sich etwas zu sagen, die Jungs sind in eine Art Schockstarre verfallen und niemand sagt etwas.

"Ich gehe kurz an die frische Luft", murmel ich und stehe schnell vom Sofa auf, bevor ich auf den Balkon gehe. In der eisigen Kälte beginnen Tränen über meine Wangen zu laufen und ich fühle mich grauenvoll. Ich hasse es zu sehen wie die Jungs verletzt sind und diesesmal bin ich daran Schuld. Die Gesichter haben sich in mein Gedächtnis gebrannt, obwohl ich es am liebsten einfach wieder vergessen würde.

"Fuck!", schreit Marco plötzlich in der Wohnung. Ein Knall ertönt und wenige Millisekunden später zerbricht ein Glas. Dieser Schmerz in seinem Schrei zieht alles in mir zusammen und leise schluchze ich auf, während ich meine Arme fester um mich selbst schlinge und die Augen schließe. Stimmen aus der Wohnung dringen zu mir durch, Schluchzen ist zu hören und plötzlich schlingen sich zwei Arme um mich. Felix.

Er ist einfach nur da und hält mich fest. Sanft zieht er mich fest an sich, drückt meinen Kopf gegen seine Brust und legt seine Hand sanft auf mein Ohr. Er will mich schützen, so höre ich wenig. Ich höre leidglich, dass es in der Wohnung wieder etwas lauter wird aber ich höre nicht was sie sagen. Felix setzt sanft einen Kuss auf mein Haar und als es scheinbar wieder vorbei ist fährt er mit seiner Hand über meinen Rücken.

"Lass uns wieder reingehen. Sonst wirst du wieder krank und wir sollten alle vielleicht nochmal etwas in Ruhe darüber reden", haucht mein Freund sanft und schaut mich aufmunternd an, als ich zu ihm hoch schaue. Leicht nicke ich und greife sofort fest nach seiner Hand. Ich brauche ihn jetzt an meiner Seite. In der Wohnung weicht Felix mir nicht einen Zentimeter von der Seite.

Jule räumt gerade das zerbrochene Glas weg, während Jo leise auf Marco einredet. Mario sitzt immer noch auf der Couch und hat sich scheinbar nicht sonderlich bewegt. Marcos Wangen sind tränen überlaufen, Jules Augen sind ziemlich rot und bei Jo sieht man wie sehr er sich anstrengt.

Zaghaft setze ich mich mit Felix wieder auf die Couch und sofort schauen alle wieder zu mir. Jule bringt kurz das Glas weg und lässt sich dann ebenfalls wieder auf das Sofa sinken.

"Sophie, es tut mir so unfassbar leid", meint Jo schwach und mit einer leicht zitternden Stimme.

"Hast du dich deswegen die letzten Tage nicht gemeldet?", fragt Jule zaghaft und seine roten Augen normalisieren sich wieder etwas. Ich bin froh wenn der erste Schock vorbei ist.

"Ich kann damit nicht umgehen und ich wusste auch nicht wie ich es euch sagen sollte. Die letzten Tage wollte ich nur alleine sein. Ich lag die meiste Zeit in meinem Bett, manchmal auf der Couch. Wirklich essen kann ich auch nicht und ich weiß gerade nicht wie es weiter gehen soll", gestehe ich und schaue unsicher in die Runde.

"Gibt es denn wirklich gar nichts was man machen kann?", fragt Marco zittrig und streicht sich die Tränen von seinen Wangen.

"Eine Spenderlunge würde später in Frage kommen, aber auch die würde nur weitere fünf Jahre halten und so eine Organ Transplantation bringt so viele Risiken mit sich", beantworte ich seine Frage und muss schwer schlucken. Ihn so zu sehen bricht mir das Herz.

"Wir sind für dich da, Sophie. Du bist nicht alleine", lächelt mich Mario schwach an und dankend lächel ich leicht. Ich bin froh die Jungs zu haben und ihre Unterstützung in so einer schweren Zeit, aber ich bin mir nicht sicher ob sie mir wirklich helfen können. Was sollen sie schon machen?

Diese Trauer und die Leere in mir lassen sich so schwer füllen, ich habe das Gefühl es wird nie wieder verschwinden. Ich glaube nicht, dass es jemals so wird wie früher.

Es ist 21 Uhr, also das zweite Kapitel der Lesenacht :)

Ich glaube so etwas seinen Freunden zu erzählen ist wirklich unfassbar schwer und ich bin froh, dass ich sowas bisher noch nie machen musste.

Ich hoffe euch hat das Kapitel gefallen und lasst gerne Feedback da! <3

Die Tochter des Trainers // Felix Götze FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt