(73) Neuschnee [2/3]

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Als ich heute nach Dienstschluss nach Hause ging, war ich irgendwie die ganze Zeit am Grinsen.
Tief atmete ich die kühle Luft ein, die der Schnee mit sich brachte und genoss das Geräusch des knarzenden Neuschnees unter meinen Stiefeln.
Irgendwie fühlte ich mich viel jünger, freier.
Beinahe bedauerte ich es schon, morgen keinen Dienst zu haben.

In meiner Wohnung ließ ich mich auf die Couch fallen und lächelte weiter dümmlich vor mich hin. Für einen kurzen Moment fragte ich mich, was sich jemand anderes denken würde, wenn er mich jetzt sehen könnte.
Und im nächsten Moment war es mir egal.
Mein Handy klingelte und ich nahm den Anruf einer meiner besten Freundinnen an.
"Hi", sagte ich und lachte plötzlich.
"Was ist denn bei dir los?", fragte Thea verwundert.
"Ich freu mich heute", sagte ich und grinste wieder.
"Das ist schön", sagte sie und klang einigermaßen irritiert. "Wie kommt es?"
"Es ist schönes Wetter draußen", sagte ich mit voller Ernsthaftigkeit und noch immer wollte das Grinsen nicht aus meinem Gesicht.
"Sag mal Jacky", kam es von Thea, während ich schon wieder loslachen musste. "Ist wirklich alles gut?"
"Ja sicher", beteuerte ich, "es ist ja schön draußen."
"Okay ernsthaft jetzt", setzte Thea an und ich hörte bei ihr etwas im Hintergrund rascheln, "ich hab dich bisher nur einmal so erlebt. Und da warst du über beide Ohren verliebt. Willst du mir was sagen?"
"Ich bin nicht verliebt", grinste ich, "Ich freue mich doch nur über den Neuschnee."
Ein gespielt genervtes Ausatmen drang aus dem Hörer.
"Du bist verliebt", stellte Thea fest. "Los geht's, ich will den Namen wissen."
Grinsend starrte ich in die Luft.
"Meine Tapete hat eine wirklich schöne Farbe", gratulierte ich mir selbst zu meiner Wahl. "Entschuldigung, hast du was gesagt?"
Ich versuchte mich wieder auf das Gespräch zu fokussieren.
"Deine Tapete ist weiß", sagte Thea fachmännisch und damit klebte mein Blick wieder an der Wand.
"Nun ja", widersprach ich, "es ist schon ein besonders schöner Ton, findest du nicht? Weiß wie Neuschnee." Zufrieden besah ich die Tapete mir gegenüber.
Thea prustete los.
"Wer ist es?", rief sie lachend.
"Wer ist was?", sagte ich ehrlich verwirrt.
"Wer ist der Ritter, der dein Herz stahl, sich deines Verstandes bediente und mir die leere Hülle zuwarf?", sagte sie ganz wie ein Goethe.
Ich kicherte.
"Ich glaub, ich bin verlieeeebt, Thea", quengelte ich.
"Soweit sind wir schon, Süße", versicherte sie mir ruhig. "Ich brauche einen Namen. Sofort."
"Thereeeeesaaaaa", sagte ich langgezogen.
"Oho, es wird weiblich. Na wurde aber auch mal Zeit, du bist ja viel zu lange diesen Jungs hinterhergehoppelt."
"Sie ist so hübsch", strahlte ich, "wie ein Eiskristall."
"Oh Mann, mir steht eine schwere Zeit bevor", bemitleidete Thea sich selbst. "Los, sag es ihr."
"Sie hat bestimmt eine Beziehung", maulte ich.
"Wer nicht fragt, wird es nie wissen. Wann siehst du sie wieder?"
"In drei Tagen", sagte ich langsam. Das war noch so weit hin.
"An Heiligabend arbeiten? Na herzlichen Glückwunsch."
"Danke", sagte ich, "aber ich bin ja nicht allein. Das kann schön werden." Ich lächelte wieder dümmlich.
"Na also", sagte sie zufrieden. "Du kennst deinen Job."
"Sanitäter."
"Blödmann."
"Wie bitte?"
"Du weißt, was ich meine. Sag es Theresa. Erzähl es ihr. An Heiligabend, als größtes Geschenk."
"Ich kann das nicht", nuschelte ich in das Sofakissen.
"Natürlich kannst du."
"Nein."
"Doch."
"Ich kenne sie erst seit heute."
"Ja und?"
"Das geht nicht."
"Doch."
"Nein."
"Okay, das wird nichts gerade", seufzte Thea, "wir telefonieren nochmal, wenn du deinen ersten Rausch der Liebe hinter dir hast, ja? Du Schneeflocke."
Sofort grinste ich wieder.
Schneeflocke.
"Bis bald", verabschiedete sie sich und legte auf.
Ich lag weiterhin grinsend da.
Ich war ja sowas von durch den Wind.

Als am Morgen des 24. Dezembers mein Wecker klingelte, war ich sofort hellwach.
Wahrscheinlich war ich noch nie so schnell aufgestanden wie heute.
Die letzten beiden Tage war ich ähnlich aufgeregt gewesen, wie vor vielen Jahren, als ich mit Vorfreude den Weihnachtsmann erwartete.
Und auch dies war ein Gefühl, was ich so lange vermisst hatte.
Vorfreude auf Weihnachten. Auch wenn es nicht aus den gleichen Gründen war.

Nervös stand ich vor dem Spiegel und trommelte mit meinen Fingern auf den Rand des Waschbeckens.
Entweder es lief heute perfekt oder... eigentlich wollte ich gar nicht über die andere Möglichkeit nachdenken.
Ich band mir meine Haare rasch zusammen und setzte mich auf meine Couch. Bis zum Schichtbeginn hatte ich noch etwas Zeit.
Erzgebirgische Weihnachtsmusik lief zwar leise im Hintergrund, konnte mich jedoch kaum beruhigen. Mein Herz schien einen Marathon zu laufen, obwohl ich nur saß und mich in keinster Weise körperlich ertüchtigte.
Ich hatte mir in den letzten Tagen oft vorgestellt, wie ich es ihr sagen konnte.
Und pausenlos an sie gedacht.
Wieder musste ich grinsen.

Ich war doch eindeutig verrückt geworden.

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Einen schönen ersten Weihnachtsfeiertag!
Macht noch etwas aus dem Tag :)

ᴀsᴅs - sʜᴏʀᴛ sᴛᴏʀɪᴇs Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt