(84) Helfende Hand [2/2]

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Franco bremste den Wagen quer auf dem Mitarbeiterparkplatz und war dann schon an Fines Seitentür.
Seine Augen waren auf Fines Gesicht gerichtet und mit der übergroßen Fürsorge eines Vaters half er ihr aus dem Auto und lief mit ihr in Richtung Notaufnahme. Alex war ebenfalls ausgestiegen und tippte etwas auf seinem Handy.
Dann war er im Begriff, ihnen zu folgen.
Ich hatte mich gerade mal abgeschnallt und halb meine Tür geöffnet, als ein stechender Schmerz mir das Sichtfeld verschwimmen ließ. Ich keuchte leise und lehnte mich nach vorne an den Fahrersitz, bis ich das Auto wieder klar fokussieren konnte.

„Jacky, kommst du?“ Alex war stehengeblieben und hatte sich nochmal umgedreht.
„Bin gleich da, geh schonmal vor“, versuchte ich es mit der größten Überzeugung, die ich vorrätig hatte.
Alex stand immer noch auf dem halben Weg zur Notaufnahme und schaute zu mir. Im Hintergrund sah ich Franco mit Josefine durch die Mattglastür verschwinden.
Mir drehte sich alles und ich wollte einfach nur hier sitzen und warten, bis alle wieder da waren. Ich wollte einfach nur sitzen. Nicht aufstehen. Nicht laufen. Und schon gar nicht in das gleißende Krankenhauslicht treten.

Alex kam zurück.
Noch immer hatte er sein Handy in der Hand und verstaute es beim Laufen in seiner Jackentasche. Er kniete sich vor die offene Autotür und suchte meinen Blick.
„Was ist los?“, fragte er ruhig.
„Ich weiß es nicht“, flüsterte ich. Selbst der Sitz schien sich nun zu drehen.
Zwei warme Finger fanden mein Handgelenk.
„Seit wann geht es dir so?“  Seine Stimme war von allergrößter Sachlichkeit.
„Seit ein paar Minuten. Seit Fine.“
Seit Fine war keine besonders präzise Zeitangabe, aber Alex schien etwas damit anfangen zu können.
„Okay. Hast du dich in der Küche auch verletzt?“
„Ich-“ Ich hielt inne. Dann schien etwas wie eine warme Erkenntnis meinen stechenden Schädel zu durchdringen. „Ich hab mich an der Schranktür gestoßen.“
„Du hast dich an der Schranktür gestoßen“, wiederholte Alex und stand auf. „Dann komm bitte erstmal raus.“

Alles in mir widerstrebte sich, aber zögerlich schwang ich ein Bein aus der Tür. Dann ein zweites. Bittend hielt ich Alex meine Hände hin, weil ich es mir gerade absolut nicht zutraute, erfolgreich aufzustehen. Er nahm sie und zog mich auf die Füße.
Ich lehnte mich an das Auto und spürte die beruhigende Härte des Metalls in meinem Rücken.
Alex' Blick war jeder meiner Bewegungen gefolgt.
„Das gefällt mir nicht wirklich, Jacky“, sagte er schließlich. Die Besorgnis in seiner Stimme hatte überhand genommen.
„Mir macht es auch keinen Spaß“, knirschte ich.
Alex ging nicht weiter darauf ein und lehnte sich über mich, um meinen Kopf zu untersuchen. Ich kniff meine Augen zusammen, während er mit konzentriertem Blick im Halbdunkel des Abends hantierte.
„Hier“, er hielt inne, „Platzwunde. Wir gehen jetzt auf jeden Fall mal rein.“
Er schloss die Autotür hinter sich und nahm mich dann am Arm.

Der Weg zum Eingang erschien mir meilenweit und ohne Alex' zunehmend fester werdenden Griff hätte ich ihn wahrscheinlich gar nicht erst geschafft.
Das helle Licht knallte mir entgegen und ich blinzelte mir den Weg bis zum Schockraum. Vage erkannte ich Franco, der neben Fine auf der Liege saß und ihre unverletzte Hand hielt.
Tränen strömten über Fines Gesicht, während Charlotte über ihre Hand gebeugt stand.
Franco sah hoch, als er uns in der Tür stehen sah und sein Blick wanderte von mir, die ich immer noch festgehalten wurde, zu Alex und wieder zurück.
„Was ist los?“, wollte er sofort wissen.
Charlotte setzte ihren letzten Stich, bevor auch sie sich umwandte.
Alex begann zu erklären und ich setzte mich an Fines anderer Seite auf die Liege.
Charlotte schob ihren Rollhocker zu mir und setzte sich vor mich.
„Schau mich mal bitte an“, sagte sie schließlich und ich spürte ihren kühlen weißen Gummihandschuh an meinem Kinn.
Ihr klarer grüner Blick war auf meine Augen fokussiert, bevor auch sie begann, meinen Kopf abzutasten.

Josefine weinte noch immer leise und hatte sich an Franco gelehnt, der über ihren Kopf hinweg mit Alex sprach.
Es ging wohl darum, dass die beiden etwas hätten merken sollen und wie das überhaupt schon wieder passieren konnte. Und dass das typisch für Phils Geburtstage wäre. Dass ja letztes Jahr schon die halbe Feier im Krankenhaus stattfinden musste.
„Was ist jetzt eigentlich mit dem Geschenk?“, fiel es mir plötzlich ein.
„Ach ja.“ Alex fuhr sich durch die Haare.
Phil wollte nie etwas haben und am allerwenigsten wegen großen Geschenken im Mittelpunkt stehen. Deshalb hatten wir überlegt, dass wir ihm und Paula einen Gutschein für eine große Reise in den Süden schenken würden. Zwei Wochen Sonne, Freizeit und keine überraschenden Dienstpläne.
„Naja“, sagte Alex dann mit hochgezogenen Augenbrauen, „ich glaube deinen 'ruhigen Moment' wird es heute sowieso nicht mehr geben. Dann machen wir es einfach, sobald wir da sind.“
„Das klingt gut“, stimmte ich zu, „willst du dann dabei sein, Fine? Fine?“

Da Charlotte noch meine Platzwunde versorgte, konnte ich kaum in ihre Richtung schauen. Doch Josefine schien noch heftiger zu schluchzen als zuvor.
„Hey, Maus, was ist denn los?“ Franco strich ihr eine tränennasse Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Ich weiß nicht, wie ich das je wieder gut machen soll“, schluchzte sie erstickt. „Ich hab' seinen Geburtstag einfach vergessen. Vergessen. Hätte Paula es mir gestern nicht gesagt, dann hätte ich gar nicht mehr daran gedacht.“
Franco lachte leise.
„Fine“, sagte er und konnte einen belustigten Unterton nicht gänzlich verbergen. „Es ist Phil. Phil freut sich, wenn du da bist und wenn es dir gut geht. Phil sind Geschenke doch nicht wichtig. Das weißt du auch.“
„Aber t-t-trotzdem.“ Sie war einfach untröstlich.

„So.“ Charlotte zog sich die Handschuhe aus und besah mich mit einem prüfenden Blick. Dann wandte sie sich an Alex, der nach wie vor an die Tür gelehnt stand.
„Ihr könnt sie wieder mitnehmen“, sagte sie entschieden, „solange ihr gut auf sie aufpasst. Aber ihr seid ja sowieso bei Phil, oder?“
Alex nickte. „Wir geben acht. Sie wird uns schon nicht viel rumturnen heute.“
„Heißt das, ich muss keinen Salat mehr machen?“ Ich versuchte es mit einem Grinsen.
Auf Alex' Gesicht breitete sich ein widerwilliges Lächeln aus.
„Jaja, ich mach das dann schon“, schmunzelte er.

Eine halbe Stunde später saß ich neben Fine auf der Couch und ließ mich bedienen. Mein Kopf fühlte sich immer noch wie ein zusammengedrücktes Kissen an, aber die Medikamente taten ihre Wirkung.
Und der Abend hatte doch etwas Gutes. Etwas Gutes für Phil: Er war nicht länger das Zentrum der Aufmerksamkeit.

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Macht noch etwas aus dem Tag <3

ᴀsᴅs - sʜᴏʀᴛ sᴛᴏʀɪᴇs Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt