(75) Wenn die Nacht am dunkelsten ist... [1/3]

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Eineinhalb Stunden nach offiziellem Schichtende und eine Minute nach tatsächlicher Rückkehr zur Wache schmiss ich meiner Ablöse Florian wortlos die Schlüssel auf den Tisch und zog mir die klitschnasse Jacke von den Schultern.
Leise vor mich hin fluchend verschwand ich im Umkleideraum und ließ meine Jacke auf die ebenso sanfte Weise Platz finden wie die Schlüssel wenige Sekunden zuvor.
Es schüttete draußen seit Stunden und ich hatte bei meinem Glück alle Einsätze auf der offenen Straße verbracht. Meine Einsatzkleidung war vom Regen durchnässt und klebte mir nur so an der Haut. Meine Haare hatten sich schon vor langer Zeit von ihrer einstigen Form eines Zopfes verabschiedet und tanzten mir nun in nassen Strähnen vor dem Gesicht umher.

Andererseits, dachte ich, während ich mich umzog, passte das Wetter zu meiner Laune.
Seit einer ganzen Weile schon schien nichts mehr zu laufen, wie es sollte. Eine immer währende Unzufriedenheit hatte sich an mich geklammert und schien mit jeder Minute aufdringlicher zu werden.

Seufzend band ich mir die Haare zusammen und schulterte meine Tasche. Ohne eine weitere Verabschiedung verließ ich die Wache und der Regen begrüßte mich mit einer stürmischen Umarmung. Genervt kniff ich meine Augen zusammen und blinzelte mir den Weg zu meinem Fahrrad.
Währenddessen kramte ich meinen Schlüssel aus der Tasche, welcher mir jedoch sofort durch die Finger rutschte und mit einem lauten Platsch in einer Pfütze landete.
Entnervt bückte ich mich und fischte ihn wieder auf.
Doch bei eben jener Aktion gab auch mein Handy der Schwerkraft nach und fiel aus meiner Jackentasche, um in gleicher Pfütze ein unerwünschtes Bad zu nehmen.
Fluchend stopfte ich es in meine Handtasche, schloss endlich mein Fahrrad ab und kämpfte mich durch den Regen über die Straßen.
Vielleicht sollte ich einfach den Rest des Tages im Bett verbringen und liegen bleiben, dann konnte ich zumindest keinen Schaden mehr anrichten.

Doch kaum dass ich meine Wohnung betreten hatte, hätte ich schon wieder umkehren können. Eine erdrückende Unordnung schlug mir entgegen, die auch den letzten Antrieb in mir verpuffen ließ. Ich kickte ein paar achtlos hingeworfene Klamotten aus dem Weg und ließ mich direkt auf meine Couch sinken. Auch hier lag noch ein leerer Pizzakarton, welchen ich mit einer Handbewegung zu seinen Artgenossen auf den Boden segeln ließ.
Ich drückte mein Gesicht in ein Kissen und schloss meine Augen, um das um mich nicht mehr zu sehen. Flammen der Wut brannten sich wieder meinen Hals hinauf und ich wurde sauer.
Sauer auf mich.
Denn ich ertrank in dem, was sich Millionen Menschen wünschten.
Arbeit, Wohlstand, Überfluss.
Und; wurde mir wieder einmal bitter klar, ich konnte es nicht schätzen.
Ich atmete zitternd ein.
Auch bei dem Gedanken, morgen wieder zur Arbeit zu gehen, machte mein Magen Anstalten, sich umzudrehen.
Es fiel mir schwer, mir das einzugestehen, aber meine Arbeit beim Rettungsdienst erfüllte mich einfach nicht mehr. Sie war in einen frustrierenden Rhythmus verfallen, der sich mit meinen Interessen nicht mehr überschnitt.
Ich drehte mich auf den Rücken und legte mir nun das Kissen auf mein Gesicht, um noch immer nicht um mich blicken zu können und meine Augen vor der Realität zu verschließen.
Es war das erste Mal in den vier Jahren Arbeit, dass ich meine Berufswahl ehrlich anzweifelte. Bisher hatte mich der Schichtdienst nicht gestört, doch allmählich wurden mir dessen Nachteile immer bewusster. Auch fand ich mit den Einsätzen keine Erfüllung mehr. Während ich vor einiger Zeit noch das Gefühl hatte, wirklich Gutes zu tun und ich Dankbarkeit zurückbekam, war es heute immer ermüdender, das Leid der Menschen und die Beleidigungen zahlreicher nichtkooperativer Leute Tag um Tag ertragen zu müssen.
Ich nahm schließlich doch das Kissen von mir herunter und blickte durch das Fenster hinaus in den grauen, wolkenverhangenen Himmel. Ich musste hier raus und konnte trotzdem nicht.
Ich war gefangen in meinem eigenen Teufelskreis der allgegenwärtigen Frustration.

Ein flaues Gefühl machte sich in mir breit, während ich mich am nächsten Morgen aus dem Bett kämpfte.
Wieder war der Himmel draußen wolkenverhangen und ein pfeifender Wind fegte deutlich hörbar durch die Straßen Kölns und ließ die alten Balken meiner Dachgeschosswohnung knarren. Auch meine Fenster ächzten unter der Last des Windes, der sich mit unregelmäßigen Böen gegen die großen Scheiben lehnte.
Mein Fahrrad konnte ich wohl heute gleich zu Hause lassen.
Ich kniff meine Augen zusammen, als ich das kaltweiße Badlicht einschaltete und musterte meine monotone Miene im Spiegel.
Unzufriedenheit.
Mehr musste man dazu nicht sagen.
Plötzlich musste ich zweimal hintereinander niesen und hoffte inständig, mich durch das stürmische Wetter nicht erkältet zu haben.
Wobei - ich hatte doch nie Glück.
Ich hatte Glück, maßregelte ich mich im nächsten Augenblick selbst, schließlich stand ich mit den besten Bedingungen mitten im Leben.
Seufzend schmiss ich mich in meine Alltagsklamotten und versuchte, mich auf andere Gedanken zu bringen.

Eine halbe Stunde später stand ich hektisch wühlend im Eingangsbereich meiner Wohnung und war auf der Suche nach meinem Halstuch. Es schien unauffindbar, wobei es dies mit seiner knallgelben Farbe keineswegs sein sollte.
Die innere Mahnung, dass Ordnung mir dabei wohl helfen würde, schluckte ich erstmal herunter.
Ich sah zu meiner Uhr. Dreiviertel sechs.
Definitiv keine Zeit mehr, um jetzt noch nach einem Halstuch zu suchen.
Ich zog mir also meinen Reißverschluss bis ganz nach oben und eilte einfach nur mit meiner Tasche aus dem Haus.
Fühlte mich unvorbereitet wie sonst was.
Na wenn das mal kein schöner Tag wurde.

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Ich kann gar nicht glauben, dass schon wieder so viel Zeit vergangen ist, seit ich hier das letzte Mal etwas hochgeladen habe.
Es hat viele Gründe, dass hier nichts kam, aber ich bin gerade zu faul, um hier irgendwelche aufzulisten.
Ich hoffe einfach, dass es euch einigermaßen gut geht und ihr trotzdem noch irgendetwas habt, das euch glücklich macht. :)

Macht noch etwas aus dem Tag <3

ᴀsᴅs - sʜᴏʀᴛ sᴛᴏʀɪᴇs Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt