(82) Ein Tag in sieben Jahren [1/1]

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Unschlüssig stand ich vor dem offenen Kühlschrank der Wache.
Ich war mit einem festen Plan hierher gegangen.
Leider konnte ich mich mit keiner Faser an diesen festen Plan erinnern.
„Es zieht“, grummelte es aus dem Aufenthaltsraum.
Kommentarlos schloss ich den Kühlschrank wieder.
Ich starrte nun auf die geschlossene Tür und hinterfragte gerade ganz ernsthaft, wie ich jemals einen Schulabschluss geschafft hatte.
„Deine letzte Gehirnzelle springt auch gerade im Dreieck, oder?“ Flo war hinter mir erschienen.
Dreieck. Ecke. Mit der Ecke.
„Joghurt!“, sagte ich plötzlich ziemlich laut und riss mit voller Euphorie den Kühlschrank wieder auf.
Flo sah sich offenbar in seiner Vermutung bestätigt und ging kopfschüttelnd in Richtung der Kaffeemaschine.
Zielsicher griff ich nach einem Joghurt mit der Ecke und schloss den Kühlschrank ein zweites Mal.

Doch bevor ich auch nur den Deckel abreißen konnte, zerschnitt mein Melder die Luft.
Ich starrte böse auf meinen Joghurt hinab, der an meinem Schicksal völlig unbeteiligt war und schmiss ihn wieder in den Kühlschrank.
Auch Flo schien nicht sehr angetan und trauerte noch den ganzen Weg zur Fahrzeughalle seinem frisch gekochten Kaffee nach. Tchibo Caffè Crema, betonte er dabei immer wieder. Mit Kakaonote. Teuer. Und vor allem: lecker.
„Also ich hoffe echt, dass der Einsatz es wert ist“, schloss er seine Grabesrede ab und schwang sich auf den Fahrersitz des RTWs.
„Adresse?“, fügte er hinzu, während er den Motor startete.
„Birkenweg siebz- Moment mal“, unterbrach ich mich selbst, „wohnt da nicht Franco?“
Flo warf selber einen kurzen Blick auf das Display. Seine Augenbrauen zogen sich leicht zusammen.
„Ja“, sagte er dann ziemlich leise und ich spürte, wie sich sein Druck auf das Gaspedal verstärkte.
„Franco hat doch heute Dienst, oder?“, überlegte ich.
Flo nickte. „Ja, er und sein Team hocken gerade irgendwo auf der A3.“
„Das heißt, es ist etwas mit seiner Familie“, schlussfolgerte ich. Das machte es nicht besser.
„Davon ist auszugehen“, sagte Flo knapp, „aber es muss ja nichts schlimmes sein.“
Dennoch spürte ich, dass er ziemlich angespannt war.
„Nicht schlimm? Wenn sie den Notruf absetzen?“ Meine Zweifel waren kaum zu überhören. „Was ist, wenn-“
„Jacky, bitte“, unterbrach Flo mich, „kein 'was ist, wenn'. Das hat noch keinem geholfen.“
Ich verstummte.
„Immerhin ist Franco nicht dabei“, sagte ich dann leise.

Als Flo den RTW in der Einfahrt parkte, stieg ich sofort aus und holte das Equipment aus der Seitentür. Raschen Schrittes holte ich Flo ein, der schon fast die offene Haustür erreicht hatte.
„Hallo? Rettungdienst!“ Er klopfte gegen die nur angelehnte Tür und schob sie ganz auf.
„Ja, hier!“, kam sofort eine Antwort zurück, „In der Küche!“
Sofort lief ich in die Richtung und meine Schritte hallten in dem nur allzu bekannten Flur nach.
Erst vor einer Woche war ich hier gewesen. Allerdings trug ich da Sandalen statt der klobigen Haix und ein helles Sommerkleid anstelle meiner Uniform. Vor einer Woche erst hatten wir hier einen Grillabend gehabt und nun kam ich für einen Einsatz zurück.
Ein blasser Toni stolperte uns entgegen, als wir in die Küche traten. Sein dunkles Haar war verstrubbelt und er steckte offenbar noch in seinem Pyjama.
„Langsam“, sagte Flo ruhig und packte ihn am Arm, „was ist denn passiert?“
Toni deutete hinter sich und raufte sich die Haare. „Ich weiß es nicht genau“, sagte er aufgelöst, „ich bin von einem Knall aufgewacht und habe dann Fine hier so sitzen sehen.“
„Okay, alles gut. Komm, setz dich erstmal, wir kümmern uns.“

Während Flo ihn zu einem Küchenstuhl zog, kniete ich mich zu seiner Schwester runter und schob eine Kiste und eine Tablettenschachtel aus dem Weg.
Fine saß halb an einem Küchenschrank gelehnt und blickte apathisch auf einen unbestimmten Punkt an der Wand. Ein Rinnsal an Blut lief von ihrer Schläfe hinab und verfing sich in ihren Haaren.
„Hey Josefine, schau mich mal an.“ Sanft drehte ich ihr Gesicht in meine Richtung und mühsam haftete sich ihr Blick auf mich.
„Was hast du denn angestellt, hm?“, fragte ich leise und tastete mit beiden Händen und aller Vorsicht ihren Kopf ab.
„Ich... ich wollte irgendwas holen“, murmelte sie, „aber da war wohl eine Schranktür offen oder sowas.“
„Und die hast du nicht gesehen?“, wollte Flo wissen, der sich jetzt neben uns hockte und ihr eine Kompresse auf die Platzwunde drückte.
„Ne, irgendwie- keine Ahnung. Hab nicht drauf geachtet“, nuschelte sie.
Ich rückte diese Tatsache erstmal in den Hintergrund und begann Fine nach anderen Verletzungen zu untersuchen. Meine Nachfrage nach etwaiger Bewusstlosigkeit wurde verneint und auch ihre Pupillen waren unauffällig.

„Das blutet aber stark, oder?“, sagte Flo plötzlich zu mir und runzelte die Stirn. In seinen Händen hielt er nun schon eine dritte dunkelrote Kompresse und Sorge spiegelte sich in seinem Blick.
Mein Blick wanderte von Flos Händen zu Fines Kopf und wieder zurück. Und dann zu der Tablettenschachtel, die ich kurz vorher beiseite geschoben hatte.
Ich griff nach der Packung und zeigte sie Fine. „Diese Ibuprofen“, sagte ich, „hast du die genommen?“
Sie nickte sofort und verzog direkt danach das Gesicht.
„Ja, heute Nacht schon“, bekräftigte sie nochmal. Immerhin irgendwas schien mein Gehirn heute noch auf die Reihe zu kriegen.
„Also Blutverdünner“, stellte nun auch Flo fest.
„Und du hast wohl deine Tage?“, sagte ich mitleidig und ein leichtes Nicken bestätigte meine Annahme.
„Ja, deswegen wollte ich mir vorhin Eis holen“, fügte sie hinzu. „Weil die Schmerzen einfach nicht weniger wurden.“
Ich seufzte. „Dann kann ich dir nur raten, auf das Eis zu verzichten. Milchprodukte machen die Krämpfe noch schlimmer, glaub mir.“ Ich zog eine Grimasse.
„Also lieber Tee“, sagte Fine resigniert und wir tauschten einen Blick leidvollen Einverständnisses.

„Und, hat sich der Einsatz für dich gelohnt?“, fragte ich an Flo gewandt, als er die Trage in den Flur schob und spielte auf unsere frühere Unterhaltung an.
Er verdrehte die Augen. „Jaja. Dann trink ich den halt nachher. Kalt soll ja auch gehen.“
Ich hob meine Augenbrauen. „Denkst du wirklich, dass ein fertiger Tchibo Caffè Crema mit Kakaonote unbehelligt in der Küche auf dich wartet? Der ist längst über alle Berge.“
„Da wirst du wohl recht haben“, sagte Flo frustriert. Er griff Fine sanft unter die Arme und wir zogen sie vorsichtig auf die Beine.
„Möchtest du mit ins Krankenhaus kommen?“, fragte er währenddessen an Toni gerichtet und warf ihm einen Blick zu.
„Jaa, natürlich. Ich- ähm- geh nur noch schnell ins Bad, mich umziehen“, sagte er verlegen und rauschte die Treppe hoch.
„Mach langsam!“, rief ich ihm noch hinterher. „Nicht, dass du auch noch einen Spiegel kaputt machst.“

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Credits gehen natürlich an _asds_storys_ und ihr wunderbares "7 Jahre Pech".

Danke an die, die noch hier sind und macht noch etwas aus dem Tag <3

ᴀsᴅs - sʜᴏʀᴛ sᴛᴏʀɪᴇs Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt