Halb elf trat ich aus dem Haus.
Noch immer lag der Schnee und für heute Nachmittag war noch neuer angekündigt.
Weiße Weihnachten hatte es schon lange nicht mehr gegeben und waren ein weiterer Grund, weshalb mein Dauergrinsen nicht mehr verschwand.
Die Welt um mich herum war vom Gefühl her mit Zuckerwatte umgeben. Und mit Neuschnee.Der Weg zur Wache kam mir ungewöhnlich kurz vor und ich musste mich zusammenreißen, nicht einfach loszurennen, so gerne wollte ich da sein.
Für meine Kollegen hatte ich eine große Dose selbstgemachter Plätzchen mitgenommen, die ich in den letzten Tagen noch gebacken hatte."Frohe Weihnachten!", rief ich strahlend, als ich in den Aufenthaltsraum trat.
"Ach so bist du also sonst", grinste Theresa und zog mich im nächsten Moment fest in ihre Arme.
Beinahe hätte ich die Keksdose fallen gelassen, die ich noch immer hielt, so überfordert war ich in diesem Moment.
Ein leichter Duft von Erdbeeren umgab Theresa und ich genoss die herzliche Umarmung einfach nur.
Immer mehr Arme legten sich um uns, bis wir irgendwann eine überdimensionale Gruppenumarmung gebildet hatten. Und in diesem Moment wusste ich, dass dieser Tag schön werden würde.
Dieses familiäre Gefühl, welches mich ergriff, als ich in dem großen Haufen an wundervollen Menschen war, konnte ich nicht beschreiben.
Dieses Team war einfach perfekt.Als wir uns langsam voneinander lösten, merkte ich, dass ich nichts mehr in den Händen hielt.
Und der Ursprung dieses Phänomens war unschwer zu entdecken.
"Franco!", kreischte ich und rannte ihm hinterher.
Er hatte sich während der Umarmung meine Keksdose genommen und wollte sich damit gerade vom Acker machen.
Grinsend drehte er sich zu mir um und sah damit nicht mehr, was vor ihm war.
Theresa riss ihm die Dose aus der Hand und wir zwei feierten unseren Triumph mit einer weiteren Umarmung.
"Jetzt kommt schon", rief Phil uns zu, "nicht dass ich gerade alarmiert werde, wenn ich ein Plätzchen essen will."
Ich stellte die Dose auf den Tisch und sobald sich Phil einen Keks genommen hatte, schlug sein Melder Alarm.
Er verdrehte die Augen.
"Lasst mir was übrig", grummelte er und er und Franco nahmen sich noch rasch einen Keks, bevor sie schnell aus dem Raum eilten.Theresa und ich bekamen lange keinen Einsatz und verbrachten die Zeit damit, miteinander und mit den anderen des Teams zu reden, zu lachen und aromatisierten Früchtetee zu trinken.
Wir hatten beinahe das Gefühl, dass wir uns nur mit Freunden getroffen hatten, um Weihnachten zu feiern, und nicht bei der Arbeit waren.
Tatsächlich wurden wir erst drei Stunden nach Schichtbeginn erstmals alarmiert.
Und gerufen wurden wir zu einem Einfamilienhaus in einer ruhigeren Umgebung Kölns.
Ein junges Mädchen, ich schätzte sie auf etwa acht Jahre, winkte uns ins Haus.
"Hallo, der Rettungsdienst, was ist denn passiert?", sagte ich den routinierten Satz, als wir die Küche des Hauses betraten.
Ein besorgter Mann eilte uns entgegen.
"Guten Tag, schön dass Sie so schnell kommen konnten, meine Frau hat sich in die Hand geschnitten..."
Er führte uns zu seiner Frau, die am Tisch saß und ein blutiges Wischtuch um ihre linke Hand geschlungen hatte. Sie war wohl dabei gewesen, einen Eintopf vorzubereiten und hatte beim Schneiden der Kartoffeln zu beherzt mit dem Messer hantiert.
"Guten Tag, zeigen Sie mal bitte", bat ich unsere Patientin und kniete mich vor sie.
Der Schnitt war tatsächlich ziemlich tief und musste unbedingt genäht werden.
"Um einen Besuch im Krankenhaus werden Sie nicht herumkommen", sagte Theresa mitleidig.
"Und das ausgerechnet an Heiligabend", setzte ich bedauernd hinzu.
Die Frau lächelte leicht. "Es gibt schlimmeres", meinte sie dann.
Ich nickte.
"Gute Einstellung. Dann mal los."
Theresa und ich halfen ihr auf die Beine und brachten sie in unseren RTW.Anschließend kamen wir nochmal kurz zurück, um unsere Materialien einzusammeln.
Die kleine Tochter der Familie, Aliena, musterte uns unverhohlen und sehr interessiert.
"Ihr seht lustig aus", sagte sie dann plötzlich.
Ich grinste und blickte meine neongelbe Kleidung hinab.
"Ja, aber so kann man uns gut vom Weihnachtsmann unterscheiden, oder?", fragte Theresa ebenfalls amüsiert.
Aliena nickte ernst.
Ich schloss den Reißverschluss des Rucksacks, setzte diesen dann auf und stand auf.
"Haben wir alles?", fragte ich und sah mich um.
"Ich denke schon", sagte Theresa nickend.
Ich wandte mich nach vorn, um mich von Aliena zu verabschieden, die uns mit schief gelegtem Kopf abwechselnd ansah.
"Seid ihr zusammen?", fragte sie plötzlich und ich spürte, wie mir augenblicklich das Blut in den Kopf schoss.
"Nicht dass ich wüsste", sagte Theresa und grinste mir zu.
"Aber ihr würdet gut zusammen passen", beharrte Aliena.
"Wir müssen uns jetzt erstmal um deine Mutter kümmern, ja?", sagte ich, um diesem Thema aus dem Weg zu gehen.
"Mach's gut, Aliena."
"Kommt ihr wieder?", fragte sie und sah uns mit großen Augen an.
"So schnell nicht", sagte Theresa mit einem Lächeln und wir verabschiedeten uns mit einem kurzen Winken.Als wir wieder aus der Klinik traten, griff Theresa in ihre Jackentasche und zog einen Schokoriegel aus dieser hervor.
"Wo kommt der denn her?", fragte sie überrascht.
Ich grinste.
"Den hat Aliena dir in die Tasche gesteckt", klärte ich sie auf, "aber ich wusste, dass du es ablehnen würdest, deswegen habe ich es dir nicht gesagt."
"Ach wie süß", strahlte sie und umarmte mich kurz.
Plötzlich begann sie zu kichern.
"Sie hat gesagt, wir würden gut zusammenpassen", grinste sie.
Ich zwang mich zu einem Lächeln. Hilfe.
"Ich frag mich, wie sie darauf kam", gab ich meinen Beitrag dazu ab.
"Keine Ahnung. Aber weißt du was?" Wieder nahm Theresa mich an der Hand, ihr strahlend blauer Blick traf meinen und einen Moment lang sahen wir uns in die Augen.
Und dann passierte es.
Als hätte es schon immer so sein müssen und gar nicht anders kommen können.
Meine Finger verschränkten sich mit den ihren und ihre kühlen, weichen Lippen trafen die meinen.
In mir schien ein kleines Feuerwerk zu explodieren. Wieder nahm ich den leichten Erdbeerduft wahr und spürte ihre warmen Hände in meinen.
Nie zuvor hatte sich etwas so richtig angefühlt.
Es war wundervoll.
Magisch.
Zauberhaft.
Perfekt.
Als wir uns lösten, sahen wir uns einige Sekunden lächelnd an.
Leise und sanft begannen die ersten Schneeflocken um uns durch die Luft tanzen. Und irgendwo tief in mir wurde etwas vollständig, was so lange unvollkommen war.
"Frohe Weihnachten, Theresa", sagte ich leise.
"Frohe Weihnachten, Jacky."---------------
Macht noch etwas aus dem Tag :)
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ᴀsᴅs - sʜᴏʀᴛ sᴛᴏʀɪᴇs
FanfictionHier werden voneinander unabhängige Oneshots und mehrteilige Kurzgeschichten zu der Sat 1-Fernsehserie 'Auf Streife - Die Spezialisten' erscheinen, die sich hauptsächlich um die Sanitäterin Jacqueline Wendt drehen werden. Es ist nicht unbedingt notw...