(64) Last der Liebe [4/5]

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Francos PoV

Ich registrierte, dass Jacky und ich nun allein im Raum waren, aber ich konnte immer noch nicht die Kraft aufwenden, zu ihr zu sehen. Die Frage, warum sie selbst nicht zu mir gekommen, mich angesprochen oder scherzhaft geärgert hatte, flimmerte kurz in meinem Kopf auf, aber sie schien mir zu unrelevant, als dass ich ihr viel Aufmerksamkeit geschenkt hätte. In mir war gerade nicht viel Platz für jemand anderen als meinen Vater.
Ich wünschte, ich hätte heute zu Hause bleiben und einfach Ruhe haben können. Obwohl ein wenig Ablenkung wahrscheinlich gar nicht so schlecht war.
Ich seufzte auf und rieb mir kurz die Augen. Was sollte es? Es war so gekommen, wie es kommen musste und nichts auf der Welt konnte das wieder rückgängig machen. Ich musste nun damit leben und hatte wenigstens viele Jahre voller schöner Erinnerungen, die ich bei mir behalten konnte.

Zum ersten Mal schob ich die Gedanken etwas beiseite, die mich seit dem Anruf meines Bruders quälten, und fokussierte mich auf die Realität.
Ich drehte mich um und sah zu Jacky.
Doch als ich zu ihr sah, wandte sie ihren Blick ab und ich sah nur noch ihr Profil.
Der nasse Film einer Träne haftete noch auf ihrer Wange und ihre geröteten Augen hoben sich stark von ihrer blassen Haut ab. Und auch erst jetzt merkte ich, dass ich sie heute noch nicht sprechen gehört hatte. Sie generell komplett in sich gekehrt schien.
Mit ihr etwas nicht stimmte.
Als würde es ihr genauso gehen wie mir.

Ich stand auf und alle Gedanken an meinen Vater hatten ihre momentane Präsenz verloren. Ich war wieder komplett im Hier und Jetzt angekommen.
Langsam setzte ich mich zu Jacky.
"Hey, was ist los?", fragte ich sie leise und legte ihr meine Hand auf die Schulter.
Jackys Blick zuckte kurz zu mir, aber sie sagte nichts. Schwieg. Starrte geradeaus und schien eine Abwehrhaltung um sich gebaut zu haben. Die abweisend und kalt wirken sollte. Doch ich kannte sie gut genug, um zu wissen, dass es nur eine zerbrechliche Fassade war.
"Was ist mit dir los?", stellte sie schließlich mit zitternder Stimme die Gegenfrage.
Mein Blick löste sich von Jacky und folgte ihrem zu der gegenüberliegenden Wand.
Ein Seufzer entfuhr mir.
"Mein Vater ist heute Nacht nach einem langen Leiden verstorben", sagte ich dann. Und es tat ziemlich weh, diese Tatsache auszusprechen.
Ich spürte plötzlich Jackys Blick auf mir. Und in ihren Augen lag neben Mitleid auch ein Ausdruck von Überraschung und Erstaunen. Ich konnte die Fassade um sie herum förmlich bröckeln sehen.
Sie schien zu etwas ansetzen zu wollen.
Ich ließ ihr die Zeit, die sie brauchte, um die richtigen Worte zu finden.

"Das tut mir sehr leid für dich, Franco", begann sie schließlich. "Meine Oma..." Jacky zögerte. Ich horchte auf und sah zu ihr. Eine Ahnung bahnte sich in mir an. "Sie ist... Sie ist auch..." Wieder brach sie ab und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Für mich brauchte sie den Satz nicht beenden.
Ich umarmte sie einfach und Jacky schluchzte auf. Ich drückte sie fester an mich, gab ihr die Gelegenheit, alles rauszulassen. Wir waren also die letzten Stunden in derselben Situation gewesen und gegenseitig in unseren Gedanken versunken, statt einfach zu reden.

"Sprich darüber", forderte ich Jacky schließlich sanft auf. "Was belastet dich am meisten?"
Jacky löste sich etwas von mir und ließ sich gegen die Sofalehne sinken, noch immer halb in meinem Arm.
"Ich erkenne in jeder Situation etwas von ihr wieder", sagte sie schließlich leise und wischte sich ein paar Tränen weg. "Egal bei was- sie ist viel präsenter als vorher. Als würde mir etwas immer und immer wieder sagen wollen, dass es ein gigantischer Fehler war, sie so lange nicht mehr besucht zu haben."
Ich ließ ihre Worte durch mich gehen; sie klangen einen Augenblick nach. Mir ging es auch so.
Jacky schluchzte wieder auf, beugte sich nach vorn und vergrub das Gesicht in den Händen.
"Es sind diese Schuldgefühle, Franco", kam es gedämpft in einem seltenen Ton der Verzweiflung zwischen ihren Fingern hindurch. "Dieser Schmerz, der einen von innen auffrisst, einen alles bereuen lässt! Einem vor Augen führt, dass es keine Chance gibt, das rückgängig zu machen; neu zu versuchen-" Ihre Stimme brach ab und ich zog sie erneut in meine Arme.
Ihre Worte hatten mich tief in mir getroffen und die Wahrheit in ihnen hatte sich eingebrannt. Es stimmte. Diese Schuldgefühle waren es, die einem die Erinnerungen an schöne Zeiten wie ein grauer Schleier überdeckten.
Doch mir wurde auch klar, dass ich damit nicht allein war.

"Genau das ist es, was mich auch beschäftigt", sagte ich schließlich.

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Macht noch etwas aus dem Tag :)

ᴀsᴅs - sʜᴏʀᴛ sᴛᴏʀɪᴇs Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt