(55) Reanimation [2/4]

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Schweiß trat auf meiner Stirn hervor, kroch mir langsam den Rücken herunter. Mir war trotz der relativ niedrigen Außentemperaturen unglaublich warm und ich spürte, wie meine Kraft langsam schwand.
Ich gab mir einen Ruck und biss meine Zähne zusammen. Ich würde definitiv nicht wegen Empfindlichkeiten meinerseits nachlassen.
Es ging hier um einen Menschen, rief ich mir wieder in Erinnerung.
Um eine junge Frau, die noch so viel Höhen und Tiefen vor sich hatte.
Die noch ihr Leben vor sich hatte.
Während ich kurz innehielt, um Phil zweimal beatmen zu lassen, schlug mein Herz so schnell wie nie zuvor.

Als ich die nächsten dreißig mal drückte, spürte ich irgendwann mit einem unbeschreiblich unguten, dumpfen Geräusch eine Rippe unter meinen Händen knacken. Ich wäre fast zurückgezuckt. Es fühlte sich so falsch an, obwohl ich wusste, dass es durchaus passieren konnte. Das hatte unser Lehrer damals mehrfach betont.
Damals, in der Theorie.
Hier, jetzt, im Leben, in der Praxis, war das etwas völlig anderes.
Allein die Überwindung, auf diesem ohnehin schon schwer verletzten Brustkorb mit dieser Intensität zu drücken, fiel mir schwer. Aber es musste sein.

Ich konnte nicht einschätzen, wie lange ich jetzt schon drückte. Es fühlte sich ewig langgezogen an. Nicht wie die wenigen Minuten, die es wahrscheinlich nur waren.
Eher wie Stunden. Und in jeder dieser Stunden schienen die Überlebenschancen der jungen Frau noch weiter zu sinken. Fast war es, als würde sie einem davonschweben. Davonschweben wie eine weiße Feder im seichten Wind. Und man konnte nicht genug tun, um sie festzuhalten und ins Leben zu bringen.
Als ich erneut locker ließ, um Phil beatmen zu lassen, spürte ich, dass ich selbst auf den Knien keinen ganz so sicheren Halt mehr hatte. Die Welt um mich herum schien zu verschwimmen und ich konnte sie nur durch jedes Blinzeln wieder etwas klarer machen.

Bevor ich reagieren konnte, spürte ich den Druck zweier Hände auf meinen Schultern, die mich mit einer sanften Bestimmtheit zur Seite zogen. Völlig fertig ließ ich mich nach hinten fallen und stützte mich auf meinen mittlerweile sehr zittrigen Armen ab, die mich beinahe gar nicht mehr zu halten schienen.
Mein Herz raste noch immer und mein Atem ging unregelmäßig, während es sich anfühlte, als würde mein Shirt an mir kleben.

Ein kurzer Blick zu der Patientin sagte mir, dass Franco sich über sie gebeugt und die Herz-Druck-Massage übernommen hatte.
Hoffentlich ging das hier noch gut aus. Obwohl meine Hoffnung zu Null tendierend war und von Minute zu Minute weiter schrumpfte.

"Ne komm, du bist noch viel zu jung!", rief Franco aus, während er drückte. Als hoffte er, mit seinen Worten beeinflussen zu können, was dieser Einsatz noch für einen Verlauf nehmen würde.
Ich spürte plötzlich Phils Blick auf mir und sah zu ihm. Seine Augenbrauen waren leicht zusammengezogen und er musterte mich. Ich symbolisierte ihm mit einer Mischung aus Kopfschütteln und Schulterzucken, dass er sich um mich keine Gedanken machen sollte.

Langsam rappelte ich mich auf und nahm Phil die Infusion ab, die er gerade hielt.
"Alles okay bei dir?", fragte er mich leise und richtete seinen Blick von der Patientin auf mich.
Ich zuckte mit den Schultern, nickte aber auch. "Ich... Ja, geht schon", sagte ich schließlich.
Meine Antwort trug keinen Funken Wahrheit in sich. Aber ich wusste auch nicht, was ich hätte sagen sollen. Physisch war ich gerade an meine Grenzen gekommen, aber psychisch noch darüber hinaus.
Mir war nie zuvor so präsent vor Augen gewesen, was es bedeutete, um Leben und Tod zu kämpfen. Dafür hatte ich bisher zu wenig Erfahrung. Und es war eine Erfahrung, die ich eigentlich nicht gebraucht hatte.

"Wir haben sie wieder!", rief Omar plötzlich laut und uns entfuhr allen ein Seufzer der Erleichterung. Ich versicherte mich noch einmal mit einem Blick auf das EKG.
Sinusrhythmus.
Ihr Herz schlug wieder.
Fast lächelte ich schon. Der riesige Druck, der sich beinahe schon unbemerkt auf meinem Herzen angesammelt hatte, schien mich wie mit einem großen Brocken der Erleichterung wieder zu verlassen.
Mir war klar, dass ihr Überleben noch längst nicht gesichert war, aber es war ein ungemein befreiendes Gefühl.

Ohne noch weiter zu warten, hoben wir die junge Frau auf die Trage, brachten diese in den RTW und fuhren zur Klinik.
Phil, der dauerhaft die Werte der Patientin überprüfte, saß mir gegenüber auf der anderen Seite der Trage.
"Weißt du, wie sie heißt?", fragte ich ihn plötzlich.
Objektiv vielleicht eine absolut unwichtige und nebensächliche Frage, aber mich beschäftigte sie gerade sehr.
Phil sah zu mir und hob überrascht seine Augenbrauen. Dann nahm er das Protokoll, was neben ihm lag.

"Stephanie. Sie heißt Stephanie."

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Ist spontan doch noch dreiteilig geworden, haha
Macht noch etwas aus dem Tag <3

ᴀsᴅs - sʜᴏʀᴛ sᴛᴏʀɪᴇs Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt