(69) Wondrous World [4/4]

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"Bitte was?!"
"Wir müssen. Bis zum Krankenhaus schaffen wir es jetzt nicht mehr, die Wehen sind schon zu stark. Franco, holst du bitte Marion mit her? Und ist das zweite NEF da?"
Paula ratterte alles schnell und routiniert herunter, während ich etwas hilflos zwischen ihr und Franco neben Carina stand.
"Carina", wandte sich Paula schließlich an unsere Patientin, "wir werden Sie jetzt vorbereiten und machen uns jetzt bereit, Ihr Kind auf die Welt zu holen."
Carina nickte angespannt und wirkte ziemlich überfordert.
"Jacky, reich mir mal bitte ein paar Decken", sagte Paula zu mir und ich kam ihrer Bitte nach.
Marion und Franco kamen in den RTW, schlossen die Türen und übernahmen die Vorbereitungen, sodass ich mich neben die Patientin setzte.
Ich nahm ihre Hand und lächelte sie zuversichtlich an. Carina wirkte ziemlich nervös und schien froh zu sein, sich auf mich konzentrieren zu können.
"Einfach ganz normal weiteratmen", sagte ich ruhig, "Sie sind in den besten Händen."
Carina nickte wieder und schien tatsächlich etwas ruhiger zu werden.
"Haben Sie denn schon einen Namen?", versuchte ich sie abzulenken.
"Falls es ein Mädchen wird, dann soll sie Luisa heißen. Und wenn es ein Junge wird, dann Mads", berichtete sie mir. "Ich will mich bei dem Geschlecht einfach überraschen lassen."
"Zwei sehr schöne Namen", pflichtete ich ihr bei und wollte gerade noch etwas hinzufügen, als Carina plötzlich wieder Wehen bekam und laut schrie.
Sie zerquetschte dabei fast meine Hand, aber ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen.
"Ganz ruhig atmen, Carina", sagte ich langsam und bestimmt, "Das machen Sie sehr gut."
Carina atmete mehrfach tief durch, dann sagte sie: "Du ist schon okay."
Mit dieser persönlichen Wendung hatte ich nicht gerechnet, aber ich hatte nichts dagegen.
"Ich sehe schon den Kopf, sehr gut!", kam es von Paula.
Ich strich Carina eine Haarsträhne aus dem Gesicht und lächelte ihr zu.
"Du schaffst das."

Eine Viertelstunde später hatte Paula das herzzerreißend schreiende Baby provisorisch in eine Rettungsdecke gewickelt und reichte es mir. Wir alle waren erleichtert, dass die Geburt komplikationslos verlaufen war und atmeten alle erstmal tief durch.
Mein Blick lag gebannt auf der Neugeborenen, während sie schwer und warm in meinen Armen lag. Fasziniert musterte ich das kleine Wesen, welches wir eben auf die Welt geholt hatten; welches jetzt sein Leben begann.

Carina lächelte mir matt zu und Tränen glitzerten in ihren Augen, als ich ihr ihre Tochter auf die Brust legte.
Still, unfähig, etwas zu sagen, betrachtete ich die beiden.
Die Mutter, erschöpft, aber mit leuchtenden Augen und das kleine Mädchen, welches nun still und friedlich im Arm der Mutter lag.

Die Kleine blinzelte mehrfach und sah mich dann aufmerksam aus großen Augen an. Das dunkle Blau strahlte mir lebendig und leuchtend entgegen und es war, als würde mir ein warmer Tropfen durch meine Kehle rinnen und mich von innen heraus mit Wärme erfüllen.
Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen, als ich das Baby ansah und konnte nicht umhin, mir vorzustellen, wie die Augen der Kleinen waldgrün statt blau waren.
Unwillkürlich legte ich eine Hand auf meinen Bauch.
In mir lebte ein kleines Wesen.
Ein kleines Kind, welches die Chance auf ein großartiges Leben hatte.
In mir schlug ein Herz.

Und ich glaube, es war genau dieser Moment, als sich etwas in mir änderte.
Als mir etwas bewusst wurde.
Auch wenn mir noch nicht ganz klar war, was.

"Jacky?", fragte Carina mich leise.
Ich sah zu ihr.
"Hast du einen zweiten Vornamen?", wollte sie wissen.
"Ja, habe ich", sagte ich mit überraschten Unterton, "Nicole. Nicole ist mein zweiter Vorname."
Carina schien einen Augenblick lang nachzudenken und betrachtete mit strahlenden Augen ihre Tochter, die mit ihren kleinen, zarten Fingern nach einer Haarsträhne ihrer Mutter griff.
"Dann soll sie Luisa Nicole heißen", entschied sie schließlich und lächelte mir zu.
Halt suchend klammerte ich mich an der Trage fest, während Franco, Marion und Paula mich angrinsten. Ungläubig starrte ich auf Carina hinab, die mich weiterhin warm anlächelte. Ich war nicht fähig, irgendetwas zu erwidern, während es mir heiß den Nacken hochkroch.
Sie hatte ihr Kind nach mir benannt.

"Sie soll Nicole als zweiten Vornamen bekommen", setzte Carina an, "weil dieser Name mich an eine ganz besondere junge Frau erinnert, die mir sehr geholfen hat... und bestimmt selbst mal eine gute Mutter sein wird."
Wieder durchfuhr es mich warm und den vielen Gefühlen, die ich in diesem Moment spürte, konnte ich gar keinen Ausdruck verleihen. Freude. Dankbarkeit. Hoffnung. Stolz. Glücksseligkeit. Mut.
Und ich wusste nicht, ob Carina ihre letzten Worte bewusst gewählt hatte, weil sie etwas ahnte oder ob es rein intuitiv war.
Aber es hatte mich verändert.
Meine Sicht hatte sich verändert
Ich hatte mich verändert.
"Danke", hauchte ich schließlich einfach nur und lehnte mich an die Wand an.

Die gesamte Fahrt zur Klinik schwelgte ich in einer Woge aus Glück, die mich federleicht zu tragen schien. Sämtliche Sorgen der letzte Tagen waren auf einmal einfach verschwunden und hatten ein Meer aus Erleichterung und Dankbarkeit zurückgelassen.

Paula und ich machten ein paar kleine Untersuchungen bei dem Mädchen - Luisa Nicole - und uns allen war ein Lächeln ins Gesicht gezeichnet.

Als wir schließlich Carina und ihre Tochter an das Klinikpersonal übergeben hatten und gerade Anstalten machten, den Schockraum wieder zu verlassen, hielt ich plötzlich inne und sah zu Carina.
Einen Moment lang haderte ich mit mir, dann fasste ich einen Entschluss und lief zu ihrer Liege zurück.
"Carina?", fragte ich und knetete nervös meine Hände. "Hast du einen zweiten Vornamen?"
Carina sah mich überrascht an, aber ein Lächeln und ein wissender Ausdruck traten in ihr Gesicht.
"Ja, mein zweiter Vorname ist Julie", sagte sie schließlich.
"Danke", flüsterte ich, drückte ihre Hand und lief schnell zu meinem Team zurück.
Paulas Augen strahlten und auch Franco schien etwas klar geworden zu sein und er lächelte mich an.

"Paula?", fragte ich, während wir zurück zu den Einsatzfahrzeugen gingen. "Kommst du nachher mit einkaufen? Ich würde Tino gerne einen Babystrampler zum Geburtstag schenken."

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Macht noch etwas aus dem Tag :)

ᴀsᴅs - sʜᴏʀᴛ sᴛᴏʀɪᴇs Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt