(88) Goldmarie [4/6]

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Doch unser Aufenthalt auf der Wache war beinahe schon ironisch kurz: noch während wir den Kaffee kochten und bevor wir uns überhaupt setzen konnten, waren wir schon wieder auf dem Weg zum nächsten Einsatz.
„Was haben wir denn dieses Mal?", fragte Karin mich von links, während sie konzentriert den RTW aus der Einfahrt lenkte.
„Hinweis auf eine vermisste Person in einem Waldstück", antwortete ich mit Blick auf den Pager.
„Ganz toll", schnaubte Karin. „Solche Einsätze können sich soo lange ziehen. Und oft finden wir die Person selbst mit Hundeführer nicht mal."
„Vor allem Mitte Januar", fügte ich hinzu. „Was will man da lieber als eine Wanderung durch den Wald?"

Als wir kurz darauf an unserer Einsatzstelle ankamen, wurden wir schon von Polizei und Hundertschaft empfangen.
Paul und Marc kamen uns entgegen.
„Für euch nochmal: Wir haben eine Meldung, dass Schreie aus dem Wald gehört wurden. Die Melderin hat auch dunkel gekleidete Personen gesehen, ist aber nicht näher hingegangen. Das ganze ist etwa eine halbe Stunde her." Paul sah uns abwechselnd an.
Phil nickte.
„Wie gehen wir vor?" Franco war neben mir erschienen.
„Wir suchen den Wald mit Drohne und Hundertschaft jetzt systematisch ab", sagte Marc, „Ihr bleibt hinter uns. Wir wissen nicht, wer oder was uns erwartet."
Wir stimmten zu und ich setzte mir den Rucksack auf.

Schon nach wenigen Metern wurde mir kalt. Ich vergrub meine Hände in den Jackentaschen und spürte, wie mir die Kälte allmählich in den Nacken kroch.
Wir stapften schweigend über den unebenen Boden und hörten von vorne die Rufe der Polizei und das Knacken im Unterholz.
Der Wald war dunkel und kahl und dünne Zweige streiften uns bei jedem Schritt.
Ein paar hundert Meter später merkte ich, dass ich nicht nur vor Kälte zu zittern begann. Ein leichtes Schwindelgefühl begann Schlieren durch mein Sichtfeld zu ziehen.
Was auch nicht weiter verwunderlich war, wenn man bedachte, wie wenig ich heute zu mir genommen hatte.
Ich blinzelte mehrfach und konzentrierte mich auf meine Atmung, bis ich merkte, dass es etwas besser wurde.

Gerade wollte ich Phil darauf ansprechen, als etwas meine volle Aufmerksamkeit auf sich zog.
„Der Hund hat angeschlagen!", rief Marc in unsere Richtung.
Wir beschleunigten unsere Schritte und liefen zu ihnen. Paul hatte unterdessen ein gelbes Halstuch aufgehoben, das scheinbar an einem Baum hängengeblieben war.
Und auf einmal kam mir ein schrecklicher Verdacht.
Ein Verdacht, der mich alles andere vergessen ließ.
Ich starrte das gelbe Tuch an und Angst schien wie Feuer in meiner Kehle zu brennen.
Das war ein Zufall zu viel für heute.
In diesem Augenblick traf mein Blick auf Pauls und mir war klar, dass wir beide dasselbe dachten.
„Wir sind auf dem richtigen Weg", sagte er knapp, „lasst uns schnell weiter suchen."
Der Hund nahm seine Fährte wieder auf.
Ich stand einen Moment lang wie festgefroren. Mein Herz hämmerte mir noch immer bis in den Hals.
Karin drehte sich zu mir um und blieb ebenfalls stehen. „Alles okay?"
Ich setzte mich wieder in Bewegung und schloss zu ihr auf. „In Maries Wohnung war alles gelb. Wirklich alles. Meinst du nicht, dass sie vielleicht -?" Ich konnte meinen Gedanken nicht zu Ende aussprechen.
Karins Blick wurde weich. Sie nahm mich kurz in den Arm.
„Ich kann dir dazu nicht viel sagen", sagte sie sanft, „Natürlich ist es möglich. Es ist gerade noch sehr viel möglich. Und falls es so sein sollte, dann ist es umso besser, wenn wir sie jetzt finden, bevor vielleicht noch mehr passiert. Oder die Kälte den Rest erledigt."
Ich nickte und biss mir auf die Lippe.
Mir drehte es bei jeder einzelnen Vorstellung, die mir mein Gehirn gerade bot, den Magen um.
Und gleichzeitig war ich Karin dankbar, dass sie meinen Gedanken ernst nahm und ehrlich war. Ein 'alles wird gut' passte leider nicht jedes Mal.

Meine Wangen brannten mittlerweile vor Kälte.
Falls Marie hier ist, dann wird's ihr nicht besser gehen.
Falls es ihr überhaupt noch irgendwie ging.
Es waren Minusgrade und wir suchten schon bald eine halbe Stunde.
Die Schlieren in meinem Sichtfeld waren wieder da. Dieses Mal größer, aufdringlicher.
Ich blinzelte, doch es half wenig.
Die Bäume verschwammen vor meinen Augen zu einer Masse und vereinzelten sich wieder. Drehten sich. Gelbe und blaue Flecken tanzten zwischen ihnen.
Ich holte tief Luft und streckte meine Hand nach vorne aus.
Ich spürte beruhigend harte Rinde unter meinen Fingerspitzen.
Ein Rauschen machte sich in meinen Ohren breit.
Das letzte, was ich spürte, war ein unangenehm fester Aufprall auf meinen Knien.
Dann war es still.

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Heyy ihr, ich wollte eigentlich die Kapitel täglich hochladen, aber irgendwie wird es doch länger, als ich geplant hatte und ich hatte noch nicht so viel Zeit zum Schreiben :,) Deswegen sorry für das Warten <3
Macht noch etwas aus dem Tag :)

ᴀsᴅs - sʜᴏʀᴛ sᴛᴏʀɪᴇs Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt