(56) Reanimation [3/4]

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"Wie geht es dir?"
Franco sah mich aufmerksam an. Ich saß auf der Stufe unseres RTW, den wir gerade neu auffüllten. Die Übergabe in der Klinik ging schnell und Stephanie wurde direkt in den OP gebracht.
"Ich weiß es nicht", gab ich Franco die einzig ehrliche Antwort, die ich von mir geben konnte. Ich fühlte mich gerade so leer, als würde das eben Geschehene noch in mir verhallen. In meinem Kopf von Wand zu Wand fliegen, immer neue Echos werfen und einfach nicht verschwinden wollen.

Franco setzte sich neben mich.
"War das deine erste Rea?", wollte er wissen.
Ich nickte langsam.
"Du kannst darüber reden", bot er mir an, "Wir alle hatten das irgendwann zum ersten Mal."
Ich schwieg einen Moment, versuchte meine Gedanken zu ordnen.
Dann setzte ich an.
"Mir war nie zuvor bewusst, wie verdammt unterschiedlich Theorie und Praxis sind", begann ich mit zitternder Stimme. "Wie sie da lag... Ich bin ja kaum älter als sie und-" Ich verstummte, suchte nach Worten. Franco ließ mir Zeit, um sie zu finden.
"Es war auf einmal, als wäre ich der Verantwortung gar nicht gewachsen. Um ein Leben zu kämpfen. Ich habe mich so allein gefühlt plötzlich. Als könnte ich alles falsch machen." Meine Stimme wurde höher, mein Herz begann erneut, schneller zu schlagen. Ich fühlte mich wieder genau in die Situation versetzt.

Franco legte mir beruhigend eine Hand auf die Schulter. Automatisch atmete ich wieder etwas langsamer.
"Du hast alles richtig gemacht. Und du bist nie alleine. Wir sind ein Team."
Ich nickte. Das wusste ich. Aber in dieser Situation war ich zu durcheinander.
"Danke", murmelte ich.

"Und wie geht es dir sonst so?", fragte Franco dann und in seiner Stimme schwang deutliche Besorgnis mit, während er mich musterte. "Du sahst ziemlich fertig aus. Bist auch jetzt noch echt blass. Ehrlich gesagt hatte ich schon Angst, dass du uns da auch gleich umkippst."
Ich zuckte mit den Schultern. "So hab ich mich auch gefühlt", gab ich dann zu, "Aber es geht wieder. Immer noch fertig, aber geht."
Franco nickte. "Wenn noch etwas sein sollte- sag einfach bescheid."

• • •

Ich drückte. Immer weiter. Versuchte das Herz der Patientin wieder zum Schlagen zu bringen.
"Es hat keinen Sinn, hör auf." Ich sagte es mir selbst. "Lass es sein. Sie ist zu schwer verletzt. Das wird nichts, hör auf."
Meine innere Stimme wurde immer lauter, dröhnte metallisch in meinem Kopf. Die Sätze wiederholten sich, verschwammen ineinander. Und hatten sich in mein Handeln eingebrannt.
Automatisch ließen meine Hände von ihrer Arbeit ab und ich stand auf. Ich erwartete verwirrte Blicke meines Teams. Doch ich war alleine. All die Zeit, die ich drückte, hatte niemand beatmet.
Sinnlos. Dieses Wort stach wieder hervor.
"Es ist sinnlos, lass es sein."
Ich ging einfach davon. Sie blieb leblos am Straßenrand liegen.

"Hätte man sie retten können?" Die verweinte Stimme einer todunglücklichen Mutter bohrte sich in meinen Kopf, die in gebeugter Haltung am Empfang der Klinik stand.
Der Arzt nickte. "Man hätte sie retten können. Sie hätte überleben können."
Die Mutter drehte sich nun zu mir um. Langsam, es hatte fast etwas gruseliges. Und die Frau sah zu mir auf und ihr aschfahles Gesicht war wie aus Stein.
"An deinen Händen klebt Blut", sagte sie mit einer schneidenden Kälte.
Ich sah hinunter. Das Sprichwort war Wahrheit. Einzelne, erkaltete Tropfen dunklen Blutes fanden ihren Weg von meinen Fingern auf den Boden.

"Es ist deine Schuld."

Erschrocken fuhr ich hoch. Schwer atmend lag ich im Bett, das Shirt schweißnass. Sofort sah ich auf meine Hände. Kein Blut. Nur ein Traum. Aber viel zu real.
Ich rief mir Francos Worte in Erinnerung. Du hast alles richtig gemacht.
Doch ich hatte sie schon so oft wiederholt, dass sie leer klangen. Ich hätte mir mehr Mühe geben sollen. Möglicherweise war Stephanie mittlerweile verstorben.
Dieser Einsatz war nun schon gut drei Wochen her. Und noch immer suchte er mich jede Nacht heim. Noch immer hatte ich das Gefühl, nicht genug gemacht zu haben. Nicht genug gekämpft zu haben.

Zitternd stand ich auf, machte mich fertig und wenig später auf den Weg zur Arbeit. Ein wenig Ablenkung.
"Alles okay bei dir?", fragte Franco mich mit einer Mischung aus Besorgnis und Skepsis, als er mir die Schlüssel für den RTW in die Hand drückte.
"Nur schlecht geschlafen", murmelte ich und wollte mich an ihm vorbei in den Aufenthaltsraum schieben.
Aber seine warme Hand umschloss mit sanfter Bestimmtheit meinen Arm. "Warte mal."
Ich drehte mich zu ihm.
"War es wegen Stephanie?", wollte er wissen. Ich wich seinem Blick aus.
Er deutete es richtig.

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Ja, es ist spontan NOCH ein Teil geworden. Keine Ahnung.
Macht noch etwas aus dem Tag <3

ᴀsᴅs - sʜᴏʀᴛ sᴛᴏʀɪᴇs Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt