(83) Helfende Hand [1/2]

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Bitte lest erst das 5. und/oder hauptsächlich das 6. Kapitel aus dem zweiten Teil von »7 Jahre Pech.«
Ich habe hier eine zweite Perspektive dazu geschrieben, welche allerdings das Vorwissen über _asds_storys_'s Geschichte oder zumindest diesen Ausschnitt voraussetzt.
Dankeschön <3

Jackys POV

„Hast du Phil schon das Geschenk gegeben?“, wollte Alex von mir wissen.
Wir standen gemeinsam in der Küche und bereiteten das Abendessen für Phils Geburtstagsfeier vor. Alle Gäste waren schon im Wohnzimmer und stimmten sich auf einen langen und lauten Abend ein. Genau nach Phils Geschmack.
Nicht.
Phil mochte es nicht, bei Feiern im Mittelpunkt zu sein.
„Nein“, antwortete ich, „ich warte da eigentlich auf einen ruhigen Moment. Also - falls sowas heute möglich ist.“
„Hoffen wir's.“ Alex seufzte und ließ seinen Blick über die Arbeitsfläche wandern. „Aber wenn ich diese Menge an Essen sehe, kann das wohl dauern.“
„Da wirst du recht haben“, stimmte ich zu. „Warum machen wir das eigentlich überhaupt alles alleine hier? Ich hole uns jetzt Hilfe.“

Entschlossen legte ich mein Messer beiseite und schob die Schüssel mit dem angefangenen Salat weg. Ich marschierte zur Tür und überblickte die Gäste nach einem angemessenen Opfer.
„Fine? Kannst du uns kurz helfen?“, rief ich und fixierte meinen Blick auf Francos Tochter.
Sie stand auf und trottete in meine Richtung. Feixend lief ich wieder zu Alex.
„Wir erhalten Unterstützung“, verkündete ich im selben Moment, als Fine in die Küche trat.
„Wie kann ich euch behilflich sein?“, fragte sie mit an Sarkasmus grenzendem Desinteresse und ließ ihren Blick über unser Küchenchaos schweifen. Alle freien Stellen waren mit großen Schüsseln und Tellern gefüllt und die Gerüche von dampfendem Fleisch, frischem Gemüse und duftendem Kuchen vermischten sich in der Luft.
„Du- joa. Könntest du bitte die dort schneiden?“ Alex deutete auf einen Stapel Baguettes, die sich nahe der Kaffeemaschine reihten.
„Aye aye, Sir.“ Fine nahm sich ein Brett und ein Messer und machte sich an die Arbeit.
Auch ich begann wieder, meine Tomaten zu schneiden und Alex kümmerte sich um die Steaks.

Einige Minuten arbeiteten wir schweigsam nebeneinander, während die Stimmen der anderen in die Küche wehten.
Das Brutzeln in der Pfanne und das regelmäßige klonk, wenn unsere Messer auf die Schneidbretter stießen, hatten sich in einem geräuschvollen Arbeitsrhythmus gefunden.
Phil steckte seinen Kopf durch die Tür und fragte, ob er uns noch helfen könnte. Oder er suchte Ruhe vor dem steigenden Lautstärkepegel nebenan.
Vielleicht beides.
Aber weit kam er nicht, denn ein erschrockener Aufschrei von Josefine riss uns alle aus unserer Trance.
Ich drehte mich so schnell zu ihr, dass mein Kopf ordentlich mit einer offenen Schranktür kollidierte. Aber es war rein gar nichts zu dem Bild, was sich mir bot: Fine hatte sich das Messer über gleich mehrere Finger gezogen. Tief.
Alex hatte schon längst reagiert, stand hinter Fine und besah sich ihre Hand.
„Phil, Kompresse-“, rief er über ihren Kopf hinweg und wenige Sekunden später stand Phil mit einem ganzen Verbandskasten neben ihm.

Ich war irgendwie unfähig, zu reagieren, und starrte auf die offene Wunde. Das Blut tropfte immerzu von Fines Fingern und wurde von den Brotscheiben aufgesogen. Das dunkle Rot vermischte sich mit dem hellen Baguette und der Anblick drehte mir den Magen um.
Ich stolperte nach hinten und drehte erstmal den Herd ab. Ich starrte kurz auf den Braten, welcher in der Pfanne lag und sah dann schnell wieder weg. Die Vorstellung, jetzt etwas zu essen, könnte nicht abstoßender sein.

Phil und Alex hatten Fine auf einen Stuhl gedrückt und waren nun beide über ihre Hand gebeugt. Als ich zu ihnen lief, hörte ich gedämpft die Wortfetzen „muss genäht werden“ und „Krankenhaus.“
„Guck mich mal an, Fine. Hey.“ Ich versuchte, so routiniert wie möglich zu wirken und hob ihren Kopf mit zwei Fingern etwas an, damit sie mich ansehen konnte. Sie verzog das Gesicht vor Schmerzen.
„Das ist gar nicht so schlimm, ja?“, versuchte ich sie zu beruhigen. „Das kriegen wir schnell wieder hin.“
Ich hatte nicht den Eindruck, dass sie meine Worte überhaupt wahrnahm und hätte genau so gut mit einer Wand reden können.
Alex befestigte den Verband und sah dann zu mir. „Fährst du mit, Jacky?“, sagte er.
„In die Klinik? Klar.“
Und noch während ich es sagte, merkte ich, wie Fine mich anstarrte.
„Klinik?“, flüsterte sie nun und sämtliche Farbe schien ihr Gesicht zu verlassen.
„Kipp uns jetzt nicht um“, sagte Alex beinahe flehend und half ihr sanft auf die Beine. „Komm, ab ins Auto.“
Auch Franco war inzwischen in der Küche erschienen und schien die Situation binnen Sekunden zu begreifen. Er nahm seine Tochter sachte an den Schultern und half ihr hinaus in den Flur.

Ziemlich alle Gäste schienen nun bemerkt zu haben, dass etwas nicht stimmte und viele besorgte Blicke begleiteten uns auf dem Weg zum Auto. Alex' Hand lag die ganze Zeit auf Fines Rücken und er half ihr, sich auf die Rückbank zu setzen. Ich nahm den Platz neben ihr und sah Alex zu, wie er sich halb auf den Sitz kniete, um sie anzuschnallen.
Sein Blick traf dabei meinen und ich zeigte ihm mit einem stummen Nicken, dass ich mich um Fine kümmern würde.

Doch obwohl ich ihr während der Fahrt gut zuredete, konnte ich mich selbst nicht ablenken. Immer wieder stiegen dieselben Bilder in mir hoch. Die Bilder von dem blutigen Brot; von Fines starrem Blick, der auf ihre verletzten Finger gerichtet war.

Die Lichter unzähliger Straßenlaternen zogen an uns vorbei. Dunkles Orange und schattiges Grau flogen im Wechsel durch die Fenster und selbst in der spärlichen Beleuchtung war deutlich erkennbar, wie der weiße Farbton des Verbands immer mehr einem dunklen Rot wich.
Ich lehnte mich etwas nach vorne.
„Das blutet ganz schön durch“, sagte ich gedämpft.
Während ich spürte, dass sich Francos Druck auf dem Gaspedal erhöhte, sah Alex durch den Rückspiegel zu uns nach hinten.
Er sah erst zu Fines Hand, dann zu meinem Gesicht.
Und als sich unsere Blicke kurz kreuzten, lag in seinen Augen noch etwas anderes als Sorge um Fine.

Sorge um mich.

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Macht noch etwas aus dem Tag <3

ᴀsᴅs - sʜᴏʀᴛ sᴛᴏʀɪᴇs Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt