(57) Reanimation [4/4]

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"Hör mal", begann er, "das kann ich echt nicht mehr länger mit ansehen. Das macht dich ja kaputt." Er hielt einen Moment inne, ich erwiderte nichts.
"Ich habe mal mit Phil gesprochen, der hat heute 24h-Schicht auf der ITS. Er hat mir gesagt, dass Stephanie vorgestern aus dem künstlichen Koma geholt wurde. Und sie will dich sehen."
Überrascht starrte ich ihn an. Unwillkürlich strömte ein Glücksgefühl durch mich. Sie lebte.

"Sie... will mich sehen?", hakte ich ungläubig nach und meine Stimme klang etwas erstickt.
Franco nickte bestätigend und lächelte etwas. "Sie will dich sehen. Du kannst nach deinem Dienstschluss gerne mal zur KaS fahren. Vielleicht hilft dir das auch."
Ich starrte ihn noch immer mit offenem Mund an. Ganz langsam begann ich zu realisieren. Sie lebte. Sie hat überlebt. Sie wollte mich sehen.
"Sie lebt?", versicherte ich mich erneut.
Allmählich keimte ein angenehm befreiendes Gefühl in mir auf, welches mein Herz auf einmal so viel leichter wirken ließ. Es war so unfassbar, dass sie diesen schweren Unfall überstanden hatte. Und ich konnte nicht einmal erklären, warum mich die Geschichte von ihr so fesselte. Obwohl ich Stephanie gar nicht kannte.
Jetzt grinste Franco. "Jaah, sie lebt", bestätigte er mir geduldig.

Ich wollte gerade noch etwas sagen, als der Melder losging, den Franco noch immer in der Hand hielt.
Sofort drückte er ihn mir in die Hand.
"Dein Einsatz. Ich hab Feierabend."
Damit eilte er davon, bevor ich es mir nochmal anders überlegen konnte.
Jetzt musste auch ich grinsen und folgte Flo zu unserem RTW.

Während der Fahrt wiederholte ich die Worte nochmal für mich.
"Sie lebt."
"Wer lebt?" Flo warf mir einen verwirrten Blick zu. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich es laut ausgesprochen hatte. Dieser eine Satz, den Franco mir gesagt hatte, wiederholte sich die ganze Zeit in meinen Gedanken. Wie ein bunter Schmetterling flog er durch meinen Kopf.
Bis ich ihn irgendwann mal realisiert hatte.
"Stephanie. Stephanie lebt."
Flo sah noch immer aus, als hätte ich ihm gerade einen Vortrag auf Persisch gehalten und erwartete jetzt eine Rezension von ihm.
"Kann ich dir nachher erklären", winkte ich grinsend ab. Wir waren am Einsatzort angekommen.

• • •

"Hey, Phil!", rief ich ihm zu, als ich den Gang entlang auf ihn zukam.
Sein weißer Kittel wehte, als er sich zu mir drehte und er musste unwillkürlich etwas grinsen.
"Du bist hier wegen Stephanie, richtig?", gab er seine korrekte Vermutung preis, die ich mit einem unwirschen Nicken nochmals bestätigte.
"Dann Zimmer Vier. Ich komm gleich nach. Ich muss das nur noch eben wegbringen." Er deutete etwas umständlich auf die vielen Akten, die er in seinen Armen hielt.
Ich nickte erneut und drehte mich um, als ich auf das Zimmer zuging. Mein Herz schlug wieder schneller. Dieses Mal vor Aufregung. Ich wusste nicht im Entferntesten, was mich erwartete.

Vor der Tür blieb ich stehen. Ich spürte meinen Herzschlag bis zum Hals und hatte das Gefühl, jeder in meiner Umgebung konnte ihn hören. Ich atmete einen Moment durch, versuchte meine Gedanken zu sortieren.
"Traust du dich nicht?" Phil kam grinsend auf mich zu und öffnete nach einem kurzen Klopfen die Tür.
Er legte einen Arm um mich und zog mich in den Raum. Etwas überrumpelt stolperte ich hinein und mein Blick fiel sofort auf Stephanie.
Sie lag an viele Geräte angeschlossen und mit dem Oberkörper etwas erhöht im Bett. Ihr linkes Bein war etwas höher gelagert und sie hatte einen Verband um ihren Kopf. Doch viele Schwellungen in ihrem Gesicht waren zurückgegangen und es sah beinahe schon wieder völlig normal aus. Ihre grünen Augen musterten mich neugierig. Die Augen strahlten. Lebten. Stephanie lebte.

"Das ist meine Kollegin Jacky, von der ich Ihnen erzählt hatte", begann Phil dann an Stephanie gerichtet. "Ihr Unfall hatte sie ziemlich mitgenommen. Ist es in Ordnung, wenn ich euch beide allein lasse?"
Ich nickte nur und spürte am Rande, wie Phils stützender Arm sich von meinen Schultern löste. Seinen weißen Kittel sah ich im Augenwinkel, wie er wehend den Raum verließ.
"Setzen Sie sich ruhig", sagte Stephanie dann etwas unsicher und nickte zu dem Stuhl neben sich. Dieser Bitte kam ich nur zu gern nach, denn meine Beine fühlten sich an wie Wackelpudding.
Ich wusste nicht mal genau warum.
Einen Moment lang war Stille zwischen uns. Dann begannen wir zu reden. Über anfangs komplett belanglose Themen. Gingen vom Sie zum Du. Tauschten uns aus. Lachten sogar.
Und die Zeit verging rasend schnell.

"Oh, du bist noch hier", sagte Phil überrascht, als er die Tür öffnete. Ich sah auf meine Uhr. Ich saß hier schon zwei Stunden.
"Ich... ja", sagte ich matt, "Ich sollte mal gehen." Ich erhob mich von meinem Stuhl. Meine Beine waren noch immer etwas zittrig.
"Sehen wir uns nochmal?", fragte Stephanie hoffnungsvoll.
Ich lächelte. "Gerne."
Dann verabschiedeten wir uns kurz und ich folgte Phil aus dem Raum.
"Geht es dir jetzt besser?", wollte er sofort wissen, als die Tür ins Schloss fiel.
Ich nickte. "Ich denke schon", sagte ich dann und meinte es auch so. Das Treffen hatte wirklich geholfen.
Auf Phils Gesicht bildete sich ein Lächeln.
"Das freut mich", sagte er und klang vollkommen ehrlich, "Wir haben uns echt Sorgen um dich gemacht."
"Ich... ja. Danke", sagte ich dann etwas überfordert.
Phil umarmte mich kurz.
"Ruhige Schicht dir noch", verabschiedete ich mich schließlich und verließ die Klinik.

Sie lebte.

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Macht noch etwas aus dem Tag <3

ᴀsᴅs - sʜᴏʀᴛ sᴛᴏʀɪᴇs Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt