(89) Goldmarie [5/6]

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Stimmengewirr. 
Und etwas hartes, unbequemes unter meinem Rücken.
Kälte, die mir in die Kleider kroch.
Dann ein brutaler Schmerz auf meinem Brustbein.
Ich schlug meine Augen auf.
„Jacky, hey.“ Phils Gesicht schwebte in meinem Sichtfeld. Über ihm ragten Baumspitzen in den Himmel.
Franco, der scheinbar bis eben meine Beine hochgehalten hatte, legte sie jetzt langsam ab.
„Was machst du denn für Sachen, Mensch“, sagte Phil tadelnd. Seine Ohren waren rot vor Kälte.
„Sorry“, sagte ich leise.
„Wie viel hast du heute getrunken?“ Auch Franco hockte nun neben mir und sah besorgt auf mich hinab.
Gar nichts.
„Zwei Kaffee zu wenig?“ Ich versuchte es mit einem Lächeln.
„Und gegessen?“ Er hob eine Augenbraue.
„Ähm“, entfuhr es mir wenig überzeugend.

Das schien ihm Antwort genug zu sein, denn er stand auf und kehrte kurz darauf mit zwei Dingen in der Hand wieder: einer Infusion und einer Flasche Wasser.
„Noch hast du die Wahl“, sagte er und hielt mir beides hin.
„Wasser“, sagte ich sofort.
Phil seufzte. „Na dann“, meinte er, nahm mich mit Franco gemeinsam an den Armen und zog mich hoch, sodass ich nun an einen Baum gelehnt saß.
Nach dem zweiten Anlauf schaffte ich es, den Deckel der Flasche abzuschrauben und trank ein paar Schlucke. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie trocken mein Hals eigentlich gewesen war.

Phil hockte immer noch vor mir und musterte mich kritisch.
“Was ist mit der Suche?”, versuchte ich abzulenken.
Was ist mit Marie, wollte ich eigentlich fragen.
“Wir haben noch keine Ergebnisse und stehen mit der Polizei in Funkkontakt. Hast du irgendwo Schmerzen?”
“Nein”, sagte ich knapp. “Was ist mit der medizinischen Versorgung?”
“Karin ist bei ihnen. Und wir haben einen RTW nachbestellt”, schaltete sich Franco ein.
Ich wollte gerade den Mund aufmachen, als Phil mir das Wort abschnitt.
“Du kannst sowieso nicht weiter arbeiten.” Eine leichte Schärfe hatte sich in seine Stimme gelegt. “Ist dir schlecht? Schwindelig?” Er griff nach meinem Handgelenk.

“Etwas”, gab ich zu.
“Okay. Dann bekommst du jetzt noch eine schicke Rettungsdecke und dann warten wir auf den zweiten RTW”, sagte er und Franco begann, im Rucksack zu kramen.
Er war gerade dabei, mir die Decke umzulegen, als Karins Stimme aus dem Funkgerät schallte: “Wir haben die Frau gefunden. Kaum ansprechbar, stark unterkühlt. Ich brauche dich hier, Phil.”
Die Frau.
Die Frau.
Phil griff nach dem Gerät. “Ich bin auf dem Weg.”
“Okay, gut”, kam es von Karin, “wir kommen euch entgegen. Wie geht’s Jacky?”
“Besser. Bis gleich.”
Phil wechselte einen Blick mit Franco und stand dann auf. Er griff sich seine Tasche und lief los.

Doch er musste nicht weit gehen, als uns die Gruppe bereits entgegenkam. Allen voran Karin, die mit drei Beamten gemeinsam ein Rettungstuch trug.
Hätte ich nicht ohnehin schon gesessen, wäre ich vermutlich gleich wieder umgefallen.
Blonde Haare, ein gelber Schlafanzug.
Ich wusste, wer diese Frau war. Und dieses Mal war ich mir sicher.
Sie sah schrecklich aus.
Ihre Kleidung war verdreckt und ihre bloßen Arme und Füße waren von Striemen überzogen. Ihr Gesicht war aschfahl und in den blonden Locken klebte Blut.
Phil war sofort bei ihnen. Er beugte sich über sie und maß ihren Carotispuls.
Ein paar Wortfetzen wehten zu mir herüber. “Sieht schlecht aus”, “sofort in den RTW”, “intubieren.”

“Ist sie das?”, fragte Franco leise. 
Ich nickte nur, konnte meinen Blick aber nicht abwenden. Ja, das war sie. 
Franco hockte sich nun genau in mein Sichtfeld und sah mir in die Augen.
„Wir stehen jetzt langsam auf und laufen zum RTW“, sagte er deutlich, „einverstanden?“
Ich nickte erneut.
Während Franco sich den Rucksack nahm, mich auf die Beine zog und mir dann stützend einen Arm umlegte, kreisten meine Gedanken nur um Marie. 

Wer hatte ihr das angetan? Und weshalb? Wie ging es ihr? Würde sie wieder auf die Beine kommen? 
Diese Gedanken waren so präsent, dass ich eine herausstehende Wurzel völlig übersah. Hätte mich nicht Franco ohnehin schon festgehalten, wäre ich vermutlich mit der gesamten Länge auf dem Boden gelandet.
„Alles okay?“, fragte Franco sofort.
„Ja, ich-“, ich drehte mich nochmal zu der Wurzel, die eigentlich überdeutlich aus dem Boden ragte. „Übersehen“, murmelte ich.

Als wir nach einiger Zeit endlich bei unseren Fahrzeugen ankamen, war ich dann doch erleichtert, auf der Trage liegen zu können.
Meine Hände und Füße waren mittlerweile taub vor Kälte.
Phil erschien kurz vor der Abfahrt in der Tür.
„Wie geht's ihr?“, wollte ich sofort wissen.
Er lächelte etwas und kam zu mir.
„Sie ist stabil, aber sehr somnolent. Wir müssen sie jetzt schnell in die Klinik bringen.“ Sein Blick fiel auf das Pulsoximeter an meinem Finger.
„Alles weitere werden wir im Krankenhaus sehen“, fügte er hinzu und sah wieder zu mir.
Ich nickte nur.
„Wird alles gut?“, fragte ich leise.
„Es wird alles gut.“

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Macht noch etwas aus dem Tag :)

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 13 ⏰

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ᴀsᴅs - sʜᴏʀᴛ sᴛᴏʀɪᴇs Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt