(52) Motorradunfall [1/2]

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2013

Francos PoV

Schweigend traten Oli und ich in die Fahrzeughalle und gingen auf unseren Wagen zu.
Schwerer Verkehrsunfall mit Motorrad und PKW, zwei Verletzte. Wenn ein Motorrad involviert war, ging es eigentlich nie gut aus. Denn ein Auto war in jedem Fall stärker. Und die Verletzungen immer verheerend.
Ich setzte mich an das Steuer des NEF und fuhr dem RTW voraus auf die Einsatzstelle an der Autobahn zu.

"Gibt es nähere Infos?", brach ich dann nach einigen Minuten diese unangenehm drückende Stille. Normalerweise unterhielten Oli und ich uns immer während der Fahrt, meist auch über komplett belanglose Themen; lachten sogar. Aber wenn es um solche Einsätze ging, wo man schon fast ein genaues Bild des Unfalls im Kopf hatte, schwiegen wir.

"Ich kann mal bei der Leitstelle nachfragen", sagte Oli dann und griff zu seinem Funkgerät. Wenige Augenblicke später tönte die Stimme des Leitstellendisponenten durch das Fahrzeug.
"Der Fahrer des PKW hat wohl beim Fahren telefoniert und dann die Kontrolle über seinen Wagen verloren. Damit hat er einer Motorradfahrerin den Weg abgeschnitten. Er selbst ist leicht verletzt, die Motorradfahrerin hingegen schwer. Sie ist wohl nicht älter als sechzehn."

Dröhnende Stille breitete sich in unserem Wagen aus. Die Worte des Disponenten verhallten und wiederholten sich in meinem Kopf. Sechzehn. Sechzehn.
Alles nur wegen dem Fehler eines Autofahrers.
Oli griff langsam erneut zu seinem Funkgerät.
"Verstanden", sagte er lahm.
Einen Augenblick lang sagte keiner etwas.

"Scheiße", sagte ich dann nur.
"Scheiße", wiederholte Oli.

Wenige Momente später parkte ich den Wagen auch schon am Unfallort. Ich hatte mich selten so unvorbereitet für einen Einsatz gefühlt. In diesem Augenblick wünschte ich, wir würden noch im Auto sitzen und hätten noch ein paar Minuten, um uns psychisch vorzubereiten. Auch wenn man sich eigentlich nie wirklich vorbereiten konnte.
Schnell öffnete ich meine Fahrertür und eilte Oli hinterher, der schon ausgestiegen war.

Blut. Das war das Erste, was ich sah. Den wild gestikulierenden Mann mit der Platzwunde, der an dem verunfallten Wagen stand, beachtete ich anfangs nicht.
Mein Blick galt einzig und allein der Jugendlichen, die an der Leitplanke lag. Halb unter ihrem kaputten Motorrad vergraben. Blut bedeckte ihr Gesicht, ihre Arme, ihre Beine.

Der Anblick war kein leichter. Wir waren zwar professionell, aber keine Maschinen. Und genau dieses Bild vor mir war eines, von dem ich mir sicher war, dass es sich lange in mein Hirn brennen würde.
Sie war sechzehn, rief ich mir immer wieder in Erinnerung. Mitten im Leben. Oder noch nicht mal das.
Und sie lag in diesen jungen Jahren so schwer verletzt auf der Autobahn. Ich konnte nicht einmal einschätzen, ob sie das überhaupt überleben würde.

Ich riss meinen Blick von ihr los und konzentrierte mich auf Anne von der Autobahnpolizei, die gerade auf mich zukam. Ich musste mich auf meinen Job fokussieren. Die Daten und Verletzungen der Patientin aufschreiben und mir den Unfallhergang berichten lassen.
"Hi", sagte Anne. Auch sie wirkte ziemlich mitgenommen.
Ich nickte nur.
Über den Unfall, den sie mir rekonstruierte, machte ich mir ein paar Notizen.
Dann setzte ich den Stift an und schrieb den Namen der Patientin auf.
Jacqueline Wendt.

"Habt ihr", ich räusperte mich kurz, "Habt ihr schon die Eltern informiert?"
"Wir haben es versucht. Die Mutter war nicht erreichbar", sagte Anne recht knapp.
Ich nickte wieder nur, bevor ich mich dann Oli und dem Team zuwandte.
Man hatte das Motorrad mittlerweile von der Jugendlichen heruntergehoben und sie intubiert. Das, was von ihrem Gesicht nicht blutverschmiert war, ließ eine sehr blasse Haut erkennen. Mein Blick fiel kurz auf Marion, die gerade eine offene Unterarmfraktur sterril abdeckte und auf Michael, der einen zweiten Zugang legte.

"Hast du schon einen Bodycheck gemacht?", wandte ich mich an Oli.
"Ja", antwortete er kurz angebunden, während er an Jacquelines Kopf saß und ihre Atmung künstlich unterstützte. "Becken ist stabil, Thorax und linkes Bein sind instabil, Abdomen ist bretthart", teilte er mir dann mit.

Ich nickte nur. Womit hatte es diese Jugendliche verdient, jetzt hier zu liegen? Mir war etwas mulmig und ein Blick zu Oli bestätigte mir, dass auch ihm sehr unwohl war; hatte er doch eine Tochter in Jacquelines Alter.

Ihr Zustand war während des gesamten Einsatzes kritisch und ich war fast schon froh, als wir sie im Krankenhaus den Kollegen übergeben konnten. Als wir dann nicht mehr die Verantwortung hatten.

Oli stieg neben mir ins NEF.
"Wie geht's dir?", fragte er, während ich den Motor startete.
"Der Einsatz wird auf jeden Fall noch eine Weile bleiben", antwortete ich.
Er nickte.
"Bei mir auch."

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Macht noch etwas aus dem Tag :)

ᴀsᴅs - sʜᴏʀᴛ sᴛᴏʀɪᴇs Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt