(60) Unerwartet [3/3]

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Ich rieb mir meinen Arm und sah dem Mann hinterher.
"Alles okay? Was war hier los?" Phils Stimme riss mich aus meinen Gedanken.
Einen Augenblick lang war ich verwirrt; gefangen in dieser komplett surrealen Situation. Dann drehte ich mich zu Phil um.
Sein Blick blieb kurz an meinem Arm hängen, bevor er zu meinem Gesicht schnellte.
"Später", sagte ich, "Das war nur... wir müssen..." Einen Moment lang starrte ich ins Nichts, wusste nicht, was ich sagen wollte. "Der Patient", fiel es mir plötzlich wieder ein und es zog mich unsanft wieder zurück in die Realität, die ich nicht ganz realisieren konnte. "Er ist bewusstlos geworden."
Meine Aufmerksamkeit war sofort wieder bei dem Verletzten und ich kniete mich zu ihm. Phil tat es mir gleich und griff nach dem Handgelenk des Mannes.
"Wie geht es dem Autofahrer?", fragte ich.
"Leicht verletzt, Schock", kam es knapp von Phil.
Ein Nicken von mir.
"Hast du das Bein gesehen?", sagte ich leise und bemühte mich, meinen Blick auf Phil zu fokussieren, um nicht hinzusehen.
"Ja. Trümmerfraktur. Sieht übel aus." Er schien das ganze leichter wegzustecken als ich. "Aber da können wir gerade wenig machen."
Das war leider richtig. Und fühlte sich echt nicht gut an.

Ich warf einen Blick über meine Schulter, die Straße entlang.
"Wann kommen die Einsatzmittel denn?", fragte ich und konnte meine Nervosität nicht ganz unterdrücken. Mir war nie zuvor wirklich bewusst gewesen, wie lange es sich anfühlen konnte, auf das Eintreffen von Rettungskräften zu warten. Zähe Minuten, die sich wie Stunden anfühlten und sich zogen wie alter Kaugummi.
"Kann nicht mehr lange dauern. Wir sind ja mitten in der Stadt", sagte Phil ruhig. Aber auch in seiner Stimme schwang etwas Unmut mit. "Zeig mir mal deinen Arm."
Ich sah ihn überrascht an. Ob er das machte, um mich und sich abzulenken oder aus ernsthafter Sorge, konnte ich nicht klar sagen. Vielleicht beides.
Phil streckte mir seine Hand hin und ich hielt ihm meinen Arm entgegen.
Seine Augen musterten die Stellen, die sich bereits leicht verfärbten.
"Das wird ein ordentliches Hämatom", sagte er mitleidig. "Wie ist das eigentlich passiert?"
Ich zuckte kurz mit den Schultern, konnte die Situation gerade selbst nicht ganz sortieren.
"Ein Gaffer", sagte ich dann bloß, "Und ich habe ihn halt gebeten, das Filmen zu unterlassen."
Zum ersten Mal breitete sich wieder der Hauch eines Grinsens auf seinem Gesicht aus.
"Gebeten", wiederholte er leise, "Ich kann mir vorstellen, wie du ihn gebeten hast."
"Ich kann bei sowas halt echt nicht lange höflich bleiben", verteidigte ich mich mit einer Spur Belustigung.
"Ich weiß, ich auch nicht", seufzte Phil.

"Aber es scheint sich wenigstens gelohnt zu haben", sagte ich mit Blick um uns herum, während nun auch ich nochmal den Puls des Mannes fühlte.
Tatsächlich waren die meisten der Gaffer verschwunden. Ob es an meinen Worten lag oder daran, dass sie fertig mit aufnehmen waren, wusste ich nicht.
Bevor Phil etwas erwidern konnte, hörten wir die herannahenden Sirenen. Und dieses Geräusch, welches ich immer mit meinem Job verband, klang noch nie so erlösend. Ich atmete auf.
"Machst du die Übergabe?", fragte ich an Phil gewandt. "Ich würde mich ganz gern mal hinsetzen."
Seine Augenbrauen zogen sich leicht zusammen und er nickte, während er mich kurz musterte.
"Ja, setz dich mal lieber."

Während die Einsatzfahrzeuge ankamen und unsere Kollegen mit ihrer Arbeit begannen, ließ ich mich auf dem Bordstein nieder.
Die Geräusche meiner Umwelt waren in ein einziges Rauschen übergegangen. Die Bilder verschwommen.
Irgendwie war das zu viel gewesen. Gefühlt war mehr passiert, als zeitlich gesehen möglich und es wirkte so, als würde mich alles in Wellen wieder einholen.
Ich atmete tief durch, versuchte mich zu sammeln.
Die Übelkeit in mir war zwar abgeflacht, aber hinterließ ein flaues Gefühl in meinem Magen. Und jeder Gedanke an das Bein des Mannes drohte sie wieder hochkochen zu lassen.
Meine Hände zitterten etwas und ich verschränkte sie ineinander.
Dann fiel mein noch immer verschwommener Blick auf die Szene vor mir. Viele neongelb leuchtende Jacken vermischten sich zu einer grellen Masse, die fast schon in meinen Augen zu brennen schien.

Eine Hand legte sich auf meine Schulter. Ich drehte meinen Kopf etwas zur Seite und sah Franco neben mir hocken.
"Alles klar bei dir?", wollte er wissen und musterte mich mit einem Anflug von Besorgnis im Gesicht.
"Jaah", sagte ich, "geht schon. War nur zu viel und zu plötzlich."
Franco nickte verstehend.
Sein Blick blieb an meinem Arm hängen und er wollte zu etwas ansetzen.
"Gaffer", kam ich ihm zuvor, "Mehr musst du dazu nicht wissen."
Er schien es sich denken zu können und der Ausdruck in seinen Augen verhärtete sich etwas.
"Also ist bei dir wirklich alles soweit okay?", versicherte er sich nochmal.
"Ja, alles okay", wiederholte ich. "Mach deinen Job. Von dem hatte ich heute genug."
Ich versuchte es mit einem Grinsen, er erwiderte.
"Ich schick dir Phil nochmal vorbei", rief er noch in meine Richtung, während er auf den RTW zusteuerte.

Wenige Augenblicke später waren die Rettungskräfte weggefahren und die Polizisten befragten noch ein paar letzte Zeugen. Phil stand vor mir.
"Willst du noch etwas sitzenbleiben?", fragte er mich.
Als Antwort hielt ich ihm meine Hand hin und er zog mich hoch.
"Das mit dem Ring wurde dann wohl nichts heute", sagte er seufzend, während wir uns auf den Rückweg machten. Denn ich fühlte mich jetzt wirklich nicht mehr dazu in der Lage, in ein Juweliergeschäft zu gehen.
"Wir holen das nach", versprach ich ihm, "Und jetzt kannst du mir gerne etwas über deine Idee für die Gravur erzählen."

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Hier nochmal ein riesengroßes Danke!
50k Reads - 3k Votes, wow.
Ich habe manchmal das Gefühl, mich zu selten zu bedanken oder es dann nicht richtig ausdrücken zu können, aber ich freue mich wirklich, wirklich sehr! :)

Und in diesem Sinne - Macht noch etwas aus dem Tag <3

ᴀsᴅs - sʜᴏʀᴛ sᴛᴏʀɪᴇs Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt