Gespannt starrte ich die Frau an.
„Jacky, nimmst du kurz die Infusion?"
Wenn sie sich nur kurz umdrehen würde, dann wüsste ich es...
„Jacky?"
Mühsam löste ich meinen Blick und sah zu Phil, der mir eine Infusion entgegenhielt.
„Klar, sorry", sagte ich schnell und nahm sie ihm ab.
Phil sah mich einen Augenblick lang an, sagte aber nichts weiter.
Ich warf noch einen Blick auf die Frau. Inzwischen hatte sie sich umgedreht und über ihren Einkaufswagen gebeugt. Sie war älter, viel älter als Marie Grün. Irgendwie war ich enttäuscht. Aber was hatte ich erwartet? Dass ein blutiges Kopfkissen und eine offene Wohnungstür nur zufällig da waren?
„Ich geh mal die Trage holen", sagte ich in die Runde und stand auf.Ich verließ den Laden in schnellen Schritten und lief zu unserem RTW. Ich wollte nicht, dass die anderen merkten, dass ich so wenig bei der Sache war. Indem ich den Transport vorbereitete, konnte ich zumindest einen Beitrag leisten und war einen Augenblick allein.
Während ich die Trage aus ihrer Halterung löste, sah ich, wie die Frau mit dem gelben Mantel an mir vorbeilief und auf ein gelbes Auto zusteuerte.
Seit wann war Gelb denn so im Trend?
Ich sah ihr einen Moment lang nach und spürte, wie mir die Januarkälte in die Haut kroch.
Dann kehrte ich in den Laden zurück.„Ihr seid vorangemeldet, Klinik am Südring." Franco stand in der offenen Seitentür des Rettungswagens und sah zu Phil und mir.
„Danke, Franco", sagte Phil, während er konzentriert über unsere Patientin gebeugt stand.
Ich stand auf der anderen Seite von ihr und sah auf sie hinunter.
Ich hatte so wenig aufgepasst, dass ich nicht mal ihren Namen mitbekommen hatte.
„Wird es langsam besser mit der Übelkeit, Frau Schiller?", fragte Phil sie freundlich.
Schiller also.
„Ja, etwas, vielen Dank!" Die Frau lächelte leicht und kleine Fältchen legten sich um ihre hellen Augen.
„Nichts zu danken", erwiderte Phil sofort und symbolisierte dann Karin, dass wir fahren konnten.Während der Fahrt stand ich mit einer Hand am Haltegriff gegenüber von Phil und wir wurden von Frau Schiller unterhalten, die allmählich wieder zu ihrer Kraft zu finden schien. Sie war vorher dehydriert gewesen und dann blöd auf ihren rechten Arm gestürzt. Dieser Arm war nun geschient und stabilisiert, in dem anderen steckte ein Zugang.
„Wissen Sie, meine Schwester und ich wollten heute eigentlich zusammen Kaffee trinken - man sieht sich ja so selten..."
Phil nickte aufmunternd und Frau Schiller erzählte weiter.
„...sie wohnt nämlich an der Ostsee, die Marie, das ist ja schon ein Stück weg..."
Mein Herz setzte einen Augenblick aus. Marie. Meine Hand klammerte sich fest um den Haltegriff.
Phils Blick wanderte von Frau Schillers Gesicht zu meinem und ich sah zur Seite.
„...sie hatte letzte Woche ihren 60. Geburtstag und ich konnte leider nicht kommen, deswegen wollten wir das nachholen..."
Ich hörte nicht mehr zu.
Es gab tausende Maries.
Und Gelb war die Lieblingsfarbe von jedem Zehnten.
Ich reagierte völlig über, das war mir wohl bewusst.
Und so langsam wünschte ich, ich hätte heute früh auf Paul gehört.Als wir an der Klinik ankamen, lösten wir die Trage und schoben sie Richtung Schockraum.
Während Franco und Karin voran gingen, lief Phil direkt neben mir.
„Wir sollten uns nachher mal kurz unterhalten, oder?", sagte er wie beiläufig.
Ich nickte knapp und blieb dann stehen, um ihn zuerst durch die Tür gehen zu lassen. Phil begann sofort mit der Übergabe an Frederik und ich half den Schwestern, Frau Schiller auf die Liege zu heben.„So."
Noch während Karin und ich dabei waren, den RTW aufzufüllen und für die nächste Fahrt vorzubereiten, stand Phil bei uns.
Ich war gerade dabei gewesen, die Trage zu reinigen, und ließ die Hand mit dem Desinfektionstuch sinken. Auch Franco erschien in der offenen Seitentür.
„Ähm", begann ich unsicher.
Irgendwie war der Rahmen gerade äußerst absurd. Franco, Phil, Karin und ich gemeinsam in diesem Wagen, mitten in der Fahrzeughalle unserer Wache.
„Niemand wird beim Anblick eines gelben Mantels grundlos weiß im Gesicht", sagte Karin leise.
Es war auch ihr aufgefallen.
Es war allen aufgefallen.Ich setzte mich auf die Trage und sah auf das Tuch hinab.
Karin setzte sich neben mich, Franco und Phil sich auf den Boden des RTWs.
Immer noch absurd, aber zumindest angenehmer, als wenn wir alle an einem Tisch gesessen hätten. Am besten noch mit zehn weiteren im Aufenthaltsraum.
„Ich bin heute Morgen zu spät gekommen, weil ich die Polizei rufen musste", wagte ich einen neuen Beginn. Ich starrte noch immer auf das Tuch und begann damit, mit meinen Daumen Löcher hinein zu bohren. „Die Tür meiner Nachbarin stand offen und ich hab' nach Marie gesucht, aber konnte sie nicht finden. Ich dachte auch eigentlich erst, dass die Wohnung leer wäre, aber im Schlafzimmer war Blut und-" Mein Hals war wie zugeschnürt. Ich spürte Karins Hand auf meinem Unterarm. „Und jetzt hab ich Angst um sie", fügte ich mit erstickter Stimme hinzu, „obwohl ich sie eigentlich gar nicht kenne."
„Vielleicht hätte ich zu Hause bleiben sollen", sagte ich dann an Phil gewandt, der im Schneidersitz saß und ruhig zu mir aufschaute, „dann wäre ich nicht so neben der Spur gewesen."
Phil schüttelte sofort den Kopf. „Ich habe dich nicht angesprochen, weil deine Arbeit nicht gut genug gewesen wäre oder so. Sondern weil du den ganzen Tag schon echt blass bist und dich irgendwas beschäftigt hat. Und weil wir wollen, dass es dir gut geht."
Ich nickte dankbar.
„Außerdem, wo hättest du denn hingehen sollen - in die Wohnung neben der von Marie, was dich permanent an heute früh erinnert hätte?", sagte Karin mit einem leisen Lächeln.
Ich lächelte leicht.
„Du kannst dich natürlich trotzdem abmelden, wenn es dir zu viel ist", wandte Phil noch ein und sah mich fragend an.
„Nein, ich möchte hier bleiben", sagte ich entschieden und Phil nickte.Ich war irgendwie doch froh, dass die anderen es jetzt wussten.
Dass sie nicht viel dazu gesagt, sondern einfach zugehört hatten.
Dass ich nicht mehr allein mit dem Thema war.
„Na dann los!" Franco klatschte in die Hände und stand auf. „Dann lasst uns jetzt gemeinsam den RTW fertig machen und dann erstmal in Ruhe einen Kaffee trinken - diesmal wirklich." Er zwinkerte mir zu.----------
Macht noch etwas aus dem Tag :)
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ᴀsᴅs - sʜᴏʀᴛ sᴛᴏʀɪᴇs
FanfictionHier werden voneinander unabhängige Oneshots und mehrteilige Kurzgeschichten zu der Sat 1-Fernsehserie 'Auf Streife - Die Spezialisten' erscheinen, die sich hauptsächlich um die Sanitäterin Jacqueline Wendt drehen werden. Es ist nicht unbedingt notw...