(28) Ungeplant

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Ich wartete eine gefühlte Ewigkeit bis ich irgendetwas hören konnte. Die erste Stimme war Joanas die erst murmelnd und dann lauter etwas zu jemanden sagte. Ich war mir nicht ganz sicher, was ich nun machen sollte, aber wollte gewiss, wer auch immer es war, nicht meine Freundin es allein durchstehen lassen, weshalb ich mich erhob, unseren noch immer ziehenden Tee zurücklies und mich auf den Weg zur Wohnungstür machte.

Ich blickte überrascht auf, als ich Devin in der Tür stehen sah und er gerade eintrat. Meine Augen fuhren an ihm auf und ab und ich wunderte mich, weshalb er überhaupt geklingelt hatte. Soweit ich es wusste, besaß er einen Schlüssel zu Joanas und meiner Wohnung. 

Meine Augen machten schließlich in seinem Gesicht halt und ich versuchte seinen Ausdruck zu lesen und zu verstehen, als ich seine Stimme hörte:

Warum ist sie wieder hier? Was hat sie vor? Was soll das Ganze?

Ich schreckte zusammen und musste versuchen meinen Puls wieder auf ein normales Niveau zu bringen. Hatte ich gerade wirklich Devins Gedanken gelesen? Einfach so? Seine Lippen hatten sich, dachte ich zumindest, nicht bewegt. 

"Alles gut, Averie?", fragte Joana besorgt, als sie auf mich zukam. Ich versuchte sie schnell mit einem halbherzigen Lächeln und einem gehetzten Nicken zu besänftigen, was allerdings nur noch mehr Sorge in ihr Gesicht brachte.

"Ich denke der Tee ist fertig", stieß ich deshalb hervor, drehte mich um und verschwand in die Küche. Von diesem Schock musste ich mich erstmal erholen.

Joana folgte mir kurz darauf im Schlepptau mit Devin, während ich gerade dabei war die Teebeutel aus dem Wasser zu nehmen, sie auszuwringen und dann in den Müll zu schmeißen. Ich wagte es nicht mich zu ihnen zu drehen. Ich musste meine Gedanken erst sortieren und mich bloß nicht auf einen der beiden konzentrieren, damit ich nicht erneut in den Genuss kam in ihren Gedanken herumzuwühlen. 

"Gab es jetzt einen Grund, dass du deinen Schlüssel nicht dabei hattest?", nahm ich Joanas Stimme wahr, die offensichtlich versuchte die angespannte Situation etwas aufzubrechen. Dankbar lächelte ich etwas, bevor ich die beiden Tasse Tee auf den Tisch abstellte.

"Ich hab ihn Zuhause liegen lassen und es erst bemerkt, als ich nach ihm gesucht habe. Ich wollte nicht den ganzen Weg noch einmal zurückfahren nur um den Schlüssel zu holen", erklärte er und schien seiner Stimme nach ziemlich erschöpft zu sein. Ich drehte mich um und sah beide kurz an, bevor ich mich setzte, meine Tasse in die Hand nahm und ihn dann fragte ohne den Blick von der Tasse zu heben:

"Wie geht es dir Devin?"

"Ganz gut. Und wo warst du in den letzten Tagen? Du weißt schon, dass Joana sich unfassbare Sorgen gemacht hat. Hast du dich einem Kult angeschlossen oder einer Sekte? Oder zu wem gehörten die komischen Männer, die bei deinem Verschwinden uns geraten haben keinen Kontakt mit dir aufzunehmen?", erkundigte er sich in einem überraschend scharfen Ton. So hatte ich Devin selten erlebt und ich musste versuchen mich davon abzuhalten ihn anzusehen. Einfach aus purer Angst bereits bei seinem Anblick in seine Gedanken blicken zu können.

"Nein, es war nur viel los und ich war ziemlich überfordert", gestand ich und versuchte nicht ganz so verzweifelt noch Worten zu suchen aber versagte vollends. Ich hatte mir vorher versucht eine gute Geschichte zu überlegen, falls ich eine brauchen würde, aber irgendwie war das Ganze doch schwieriger als erhofft.

Ich spürte wie Joana nach meinen Händen griff und ich deshalb sie ansah. Ihre Augen versuchten mich ebenso leuchtend anzusehen wie ihre in ein Lächeln verzogenen Lippen.

Wenn ich nur wüsste, was bei dir los ist. Dann könnte ich dir soviel besser beistehen

Erschrocken wendete ich mich von ihrem Blick ab. Geriet meine Fokussierung gerade völlig außer Kontrolle? Warum konnte ich plötzlich außerhalb meines Traumes die Gedanken von Menschen lesen. Und warum auch noch ohne mich darauf wirklich zu konzentrieren. Ich hatte Devin gemustert, aber wieso hatte das schon gereicht, um einen Einblick in seinen Kopf zu bekommen und gerade bei Joana hatte ich es noch weniger getan.

Ich entzog ihr meine Hände und stellte mich auf. Mein Puls raste erneut und ich versuchte mich krampfhaft zu beherrschen. Was genau hier genau vor sich ging, wollte sich mir einfach nur offenbaren. Verzweifelt drehte ich mich von ihnen weg, verlies die Küche und ging in mein ehemaliges Zimmer. Ich musste wieder herunterfahren und am besten sollte ich wieder zurück zu Magnus. Er hatte hoffentlich inzwischen sich etwas beruhigen können und würde mir wieder helfen das gerade Geschehene zu verstehen.

Ich nahm ein Klopfen wahr, dass mich aus meinen Gedanken um meine nächsten Schritte riss. Kaum wenige Sekunden später wurde meine Tür geöffnet und ich hörte wie jemand hereintrat.

"Ich mache mir wirklich Sorgen um dich, Ave. Was ist nur los mit dir? Vorhin schien es dir noch gut zu gehen, aber gerade machst du keinen so guten Eindruck auf mich. Möchtest du mit mir darüber reden?", bot mir Joana in einem unfassbar weichen Tonfall an, sodass ich am liebsten mich sofort wieder in ihre Arme schmeißen wollte. Meine ganze Welt war völlig durcheinander und die wenigen Konstanten schienen mir in meinen oder sogar durch meine Hände zu zerbrechen. 

Ich spürte wie sich Tränen bei diesem Gedanken in meinen Augen ansammelten und verfluchte meine emotionale Reaktion auf meine Verzweiflung. Ich wünschte mir einfach nur noch, dass es  wieder so werden würde wie früher. Ich wollte diese "Gabe" nicht haben. Ich wollte nicht in den Gedanken anderer herumsuchen und ihnen etwas wegnehmen, was keiner jemals anrühren sollte. Ich wollte es einfach nicht. Aber welche Wahl hatte ich schon.

Ich spürte wie sie mich von hinten in den Arm nahm und leise an meinem Ohr flüsterte:

"Du musst noch nicht mit mir reden, aber sei dir gewiss, dass ich dir jederzeit zuhören werde. Du kannst immer zu mir kommen, egal wie spät oder früh es ist. Was auch immer du gerade durchlebst, du musst da nicht alleine durch, Ave"

Ihre aufmunternden und berührenden Worte brachten meine Tränen zum Rollen und ich begann mich in den Armen meiner besten Freundin auszuweinen. Ich wusste nicht genau wieso ich nicht aufhören konnte zu weinen, aber es tat gut, dass sie bei mir war. 

Ich drehte mich so um, dass wir in einer richtigen Umarmung standen und ich ihr einen kleinen Dank zumurmeln konnte, als ich mich wieder etwas beruhigt hatte. Sie streichelte mir sanft über den Rücken und beschwerte sich nicht, dass es so lange dauerte. Schlussendlich trennten wir es jedoch und ich sah ihr in die Augen, die auch etwas glasig waren.

Was machst du nur gerade durch?

Ich senkte sofort wieder meinen Blick und bedankte mich überschwändlich bei ihr, bevor ich mich wieder auf den Weg machen wollte. 

"Wann kommst du wieder? Hast du noch meine Nummer?", erkundigte sie sich.

"Ich weiß es noch nicht genau. Könntest du mir bitte deine Nummer noch einmal aufschreiben, damit ich dich in der nächsten Zeit erneut erreichen kann?", mein Blick war leicht an ihr vorbei gerichtet, um nicht erneut in ihre Gedanken zu blicken und ich wartete geduldig, bis sie mir einen Zettel reichte.

"Pass bitte gut auf dich auf und melde dich bald wieder", sprach sie sanft aus, als sie mich in eine Umarmung zum Abschied gezogen hatte.

"Das mache ich. Du aber auch und sage Devin bitte, dass es mir leid tut und ich versuche dir weniger Sorgen zu bereiten"

Ich hörte wie sie schmunzelte und sie mich dann loslies. Die letzten Grüße waren kurz, bevor ich meine alte Wohnungstür hinter mir zuzog. Ich atmete tief aus und machte mich dann auf den Weg zurück zu Magnus Wohnung. 

Noch in meinen Gedanken gefangen blickte ich mich plötzlich um, als ich ein ganz schlechtes Gefühl bekam. Vor mir auf dem Weg standen zwei breit gebaute Gestalten, die mir allerdings verflixt bekannt vorkamen und sich sofort ein ganz schlechtes Gefühl über meinen Körper ausbreitete. Ich sah mich um, aber die anderen Menschen, die friedlich auf dem gleichen Weg spazierten, schienen von mir keine Notiz zu nehmen. Ebenso wenig wie von den beiden groß gebauten Männern, die sich entgegen des Stroms aufgestellt hatten. Und ebenso wenig wie von dem Mann, der mir nun von hinten ins Ohr säuselte:

"Na, Averie"

HunterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt