"Es tut mir so leid, Magnus", sagte ich, während ich in sein völlig verwirrtes Gesicht sah.
"Du musst dich geirrt haben, Averie. Sie haben dir bestimmt die Sinne vernebelt, damit du den Hexenmeister als Tekin wiedererkennst", sprach er nun mit fester Stimme, obwohl seine Augen noch immer die Verwirrung in sich trugen.
"Nein, Magnus. Sie haben mir zwar etwas gegeben, aber Tekin war davor sowie nach meiner Rückkehr hierher noch mit den gleichen boshaften Blicken unterwegs. Er ist es gewesen, da bin ich mir sicher", sagte ich und spürte auch in mir die Verzweiflung hochkochen. Ich wusste, dass es ein schwieriges Gespräch werden würde, aber ich hatte gehofft, dass es dennoch anders verlaufen würde.
"Averie, jetzt ist gut. Ich kenne Tekin seit mehr als hundert Jahren und er ist einer meiner besten Freunde. Er würde niemals mit Valentin zusammenarbeiten", Magnus Stimme hatte nun einen Hauch von Wut in sich, was mich noch trauriger machte. Aber was hätte ich auch erwarten sollen? Eine hundert Jahre lange Freundschaft würde man nicht für so eine x-beliebige junge Frau wegschmeißen.
"Ich verstehe deine Emotionen, aber bitte glaube nicht gleich, dass ich dich anlüge. Ich weiß, dass es Tekin war und ich denke, dass du Zeit brauchst, um diesen Schock verarbeiten zu können", erklärte ich ruhig und machte mich gerade auf den Weg das Zimmer zu verlassen, um ihn die Möglichkeit zu geben, sich mit seinen Gedanken und Emotionen in Ruhe auseinandersetzen zu können.
Er blieb still, sodass ich meinen Weg fortsetzte und mich auf die Couch fallen lies. Ich war mir sicher, dass es richtig gewesen war, ihm zu sagen, dass Tekin in die ganze Sache verwickelt war, aber ich war mir auch sicher, dass ich ihm dadurch unfassbare Zweifel beschert hatte. Zweifel an mir, an Tekin und auch an sich. So wie ich Magnus in den vergangenen Tagen erlebt hatte, würde das eben geführte Gespräch definitiv zu so einem Ergebnis führen. Ich würde schließlich auch bei einer solchen Situation zweifeln.
Ich begann über meine Freunde nachzusinnen. Den Freunden, die ich dachte im Institut gemacht zu haben. Verträumt dachte ich an die schönen Zeiten mit Alec zurück. Ich vermisste ihn und die anderen so sehr, auch wenn seine Worte bei unserem letzten Treffen mich mehr verletzt hatten, als ich gewollt hatte. Eigentlich waren wir doch bloß Leute, die sich kennengelernt haben und die nichts als flüchtige Bekannte füreinander waren.
Meine Gedanken verliefen sich schließlich zu Joana. Wie es ihr wohl gerade ging? Ob sie noch an mich dachte? Ich fühlte mich schlecht, dass ich so lange keinen Kontakt mehr mit ihr gehabt hatte, obwohl sie, bevor sich meine Welt für immer verändert hat, meine wichtigste Bezugsperson in New York gewesen war. Neben meiner Tante war sie die einzige richtige Bezugsperson, die ich überhaupt gehabt hatte.
Wilde Fantasien sponnen sich in meinem Kopf und ich rätselte, ob ich Joana vielleicht doch noch in ihrer Wohnung antreffen könnte. Ich vermisste sie. Ich vermisste das Gefühl von Zuhause, das sie mir hier in dieser so riesigen Stadt geschenkt hatte. Ich vermisste meine beste Freundin. Die Schnapsidee formte sich weiter, sodass ich mir schnell ein Stück Papier suchte und eine Nachricht für Magnus darauf schrieb, bevor ich einen letzten Blick auf meine Zimmertür warf und dann die Wohnung verlies. Ich musste einfach zu ihr.
Auf dem Weg durch das belebte New York blickte ich mich ständig zu allen Seiten um. Ich wusste nicht so genau, ob ich mir zu große Sorgen bezüglich Valentin machte, aber besser war es schließlich vorsichtig zu sein. Auch wenn mein Selbstvertrauen bezüglich meiner Selbstverteidigungsfähigkeiten noch immer unter den Geschehnissen und Worten der letzten Tage litt.
Schließlich erreichte ich das Gebäude, dass sich hoch in die Wolken über New York streckte und mich schon immer auf eine spezielle Art und Weise fasziniert hatte. Erleichtert sah ich die Namen an dem Klingelschild und drückte auf dieses. Gespannt wartete ich, bis sich am anderen Ende eine junge Frau meldete. Eine junge Frau, die eine meiner wichtigesten Stützen war.
"Joana, ich bin es, Averie", murmelte ich mehr, als das ich es wirklich laut aussprach.
"Averie?", fragte sie offensichtlich ganz aufgewühlt und sofort konnte ich den Ton des Summers hören, der mir die Öffnung der Tür anzeigte. Erleichtert drückte ich sie auf und machte mich auf den Weg in meine alte Wohnung. Das Haus kam mir noch immer unfassbar bekannt vor, aber die vielen Tage, die ich hier nicht mehr verbracht hatte und die veränderte Situation hatten mich etwas entfremdet.
Als ich um die Ecke des Flures bog, konnte ich Joana bereits in der Tür stehen sehen. Als sie mich erblickte, rannte sie sofort los und schmiss sich in meine Arme.
"Du irre, wo warst du schon wieder? Weißt du eigentlich, dass ich immer sterbe, wenn du dich nicht meldest und nicht nach Hause kommst?", schmollte sie und drückte sich ganz fest an mich.
"Es tut mir leid, Joana. Ich wollte dir nicht solche Sorgen bereiten", sagte ich ehrlich und wusste nicht, warum sie ihr nicht gesagt hatten, dass ich für einige Zeit nicht wiederkommen würde. Hatten sie sich keine Sorgen gemacht, dass sie die Polizei rufen würde?
"Das ist eine schwache Entschudigung, Ave, aber hauptsache du bist wieder da. Komm mit rein", fuhr sie fort und zog mich dann hinter sich her in die Wohnung zurück.
"Hast du Hunger? Möchtest du etwas essen?", erkundigte sie sich, als sie mich in der kleinen Küche abgesetzt hatte.
"Nein danke. Wie geht es dir? Also mal von dem Ganzen abgesehen", wollte ich wissen und fühlte mich dabei weiterhin nicht sonderlich gut. Ich hätte mich viel öfter bei ihr melden sollen, als ich das tatsächlich getan hatte. Ich hatte in meinem Teil der Freundschaft auf ganzer Länge versagt.
"Ach, ich habe mich etwas mit dem Studium abgekämpft, du weißt gar nicht wie furchtbar manche Vorlesungen ohne dich waren. Ich bin innerlich bestimmt hunderte Male gestorben, weil die Professoren so viel Mist von sich gegeben haben", sagte sie scherzend, während sie Wasser heiß machte für einen Tee. Einen Tee, den wir häufig abends zusammen getrunken haben, wenn wir mal wieder ernste Gespräche geführt haben oder einfach nur zu tief ins Glas bei Feiern geguckt hatten.
"Und was hast du so die letzten Tage gemacht?", fragte sie und setzte sich schließlich mit den beiden Bechern, mit dem abgefüllten Teebeuteln und dem heißen Wasser zu mir an den Tisch.
"Ich habe viel zu tun gehabt. Ich jage gerade etwas meiner Vergangenheit nach und allem, was ich dadurch gerade erlebe", versuchte ich es möglichst vage zu vormulieren ohne die Wahrheit zu verdrehen.
"Das hört sich ziemlich ernst an. Wie geht es dir damit?", erkundigte sie sich besorgt und schob mir meine Tasse herüber. Der Teebeutel schwomm darin fröhlich herum ohne sich über irgendetwas Gedanken machen zu müssen.
"Naja, es ist sehr viel und ich schaffe es im Moment noch vieles zu verdrängen, damit ich irgendwie weitermachen kann, weil ich noch längst nicht am Ende angekommen bin, aber ich schaffe das schon irgendwie", erklärte ich und merkte selbst wie verzweifelt ich dabei klang. Ganz so schlimm fühlte ich mich nicht. Aber da ich gerade in diesem Moment darauf achtete, merkte ich wie erschöpft und fertig ich eigentlich wirklich war. Aber ich hatte schon recht, noch war das Ganze nicht durchgestanden.
"Das tut mir leid", murmelte sie und bewegte sich dann wieder auf mich zu, sodass sie mich erneut in eine Umarmung schließen konnte.
"Mir tut es auch leid. Ich versuche mich von nun an häufiger zu melden, damit du dir keine Sorgen machen musst", versprach ich ihr, woraufhin sie an meinem Ohr murmelte: "Nein, ist schon gut. Versuche du nur möglichst gut durch diese Zeit hindurchzukommen und sei dir immer Gewiss, dass ich für dich da bin und du jederzeit vorbeikommen kannst"
Wir schreckten auseinander, als wir plötzlich das Klingeln wahrnahm. Sofort machte sich Joana auf den Weg und murmelte dabei vor sich hin. Scheinbar hatte auch sie keine Ahnung wer das sein könnte. In mir baute sich leichte Angst auf. Wenn wir Glück hatten, würde es nur Magnus sein, aber wenn nicht, wenn Valentin oder seine Leute hier waren, dann befürchtete ich schlimmes.
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Hunter
FanfictionAverie Clark ist eine 19-jährige Waise, die nach Brooklyn gezogen ist, um hier ihr Jurastudium zu absolvieren. Sie lebt für Gerechtigkeit und den Schutz für Opfer, da ihre Eltern in ihrem Kindesalter ermordet wurden. Jedoch wandelt sich ihr Leben sc...