(77) Letzter Wille

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Alecs p.o.v.

Averie hatte begonnen ihre Kräfte gegen die Kreismitglieder einzusetzen und damit die unumgänglichen sonstigen Folgen für sie zu verhindern. Ob das ethisch besser vertretbar war, konnte man zwar nicht mit eindeutiger Klarheit feststellen, aber immerhin hatte sie nur die besten Ambitionen und dafür sollte man dankbar sein. Wer schaffte es in dieser Welt, wo es ständig darum ging das eigene Überleben zu sichern, schon so zu denken. Wir waren evolutiv eben so vorbestimmt: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.

Ich hörte ihre Gedanken auch in meinem Kopf und zog mich gemeinsam mit den anderen Shadowhuntern zurück. Sie war nervös und ich hoffte, dass es ihr helfen würde, wenn wir sie in ihrem Vorhaben unterstützten. Es musste einfach klappen. 

Bei dem zweiten Mal als ihre neuen Gedanken durch meine strömten, wirkte sie bereits entspannter und ihre Worte schienen eine nicht zu missachtende Wirkung zu haben. Sie schaffte es. Nur noch einige weitere Worte und sie würde die Kreismitglieder mit jedem weiteren Anstoß in eine andere Richtung lotsen. In eine Richtung, in der wir hoffentlich eine friedlichere Lösung finden konnten. Diplomatie musste schließlich auch für irgendetwas gut sein. 

Doch diese Hoffnung wurde schlagartig in tausende Teilchen zerrissen, als Valentin etwas laut ausrief und sie kurz darauf zusammenbrach. Sofort stürmte ich auf sie zu und konnte keinerlei Gedanken an etwas anderes verschwenden. Valentin und seine Lakaien verloren rapide an jeglicher Bedeutung. 

Izzy kam zuerst bei ihr an und versuchte sie wach zu halten. Sie durfte nicht sterben. Zu viele Male hatte ich das bereits miterleben müssen. Zu viele Male konnte ich kaum atmen, da mir die Sorge um sie jeglicher Luft beraubt hatte. Ich konnte das nicht noch einmal und ich wollte auch nicht, dass sie da noch einmal durch musste. Warum nur musste sie in dieser verdammten Welt leben?!

"Magnus", rief ich verzweifelt und sah mich nach dem Hexenmeister um. Tränen bahnten sich bereits ohne jede Möglichkeit sie aufzuhalten einen Weg über meine Wangen. Sie fraßen sich geradezu in meine Haut ein und hinterließen Spuren der puren Verzweiflung. 

"Kümmere du dich um Valentin", erklang Magnus laute Stimme, als er auf Izzy und mich zu gerannt kam. Schwer atmend schüttelte ich entschieden den Kopf, allerdings sprach Izzy ruhig auf mich ein:

"Bitte Alec, kümmere dich darum, dass zumindest ihre Wünsche noch erfüllt werden können, ihr letzter Wille erfüllt wird"

"Du redest so, als wäre sie bereits tot", spuckte ich ihr emotional völlig überladen entgegen.

"Alec, du musst dafür sorgen, dass wir die Kreismitglieder in Gewahrsam nehmen können. Wir haben die Oberhand. Kümmere dich bitte darum und wir tun hier alles für sie, was wir können", sprach sie weiter ruhig und besonnen.

"Wenn ich das mache, bringe ich zumindest Valentin mit Sicherheit um. Er hat es nicht verdient noch ein Leben zu führen"

"Alec, hey, bitte denke an Averie und was..", begann Izzy, allerdings unterbrach ich sie:

"Ich denke an Averie. Dieser Typ hat ihr und ihrer Familie so viel Leid zugefügt, dass er ein Leben nicht mehr verdient. Wie kannst du das als ihre Freundin anders sehen?"

"Gerade weil ich ihre Freundin bin, weiß ich, dass sie es nicht anders haben wollen würde und das weißt du auch. Du bist nur gerade viel zu emotional, um darüber nachdenken zu können. Wir kümmern uns um sie und geben unser bestes und du kümmerst dich bitte um die Kreismitglieder und tust dein bestes sie unverletzt abzuliefern, ok?", sprach Izzy mir ins Gewissen und ich wusste, dass sie Recht hatte. Das musste ich nur jetzt akzeptieren können.

Langsam begann sich mein Kopf in eine nickende Bewegung zu begeben und ich lief wie ferngesteuert wieder in die Richtung der Kreismitglieder, die noch immer unsicher schienen damit, was sie nun machen sollten. Einige waren kurz davor ihre Schwerter erneut gegen uns zu erheben, allerdings war der Blick vieler von Zweifeln geprägt. Averie hatte es wirklich geschafft. 

"Na los, macht sie fertig", brummte Valentins laute Stimme durch die Halle, die durch und durch von Wut und einem Hauch von Panik durchtränkt war. 

Meine Mundwinkel zogen sich minimal hoch bei dem Klang seiner Stimme und der fehlenden Reaktion einiger Kreismitglieder. Eine unfassbare Spannung bestimmte die Stimmung in dieser Halle und machte jede kleinste Bewegung so bedeutungsvoll, dass man fast meinen könnte, dass wir uns in einem Wettbewerb befanden, in dem jeder regungslos sein sollte.

"Los jetzt!", schrie Valentin über die Spannung hinweg und brannte förmlich vor Wut. Averie hatte gute Arbeit bei ihm geleistet und das musste sie auch in der Zukunft tun. Sie musste, denn wenn sie das hier nicht überlebte, war er der nächste, der gehen musste. Da gab es für mich keine zwei Meinungen mehr. 

"Warum finden wir keine diplomatische Lösung, Valentin? Wir sind doch alles erwachsene Menschen, die der gleichen Sprache mächtig sind und die ohne große Verluste einzubüßen miteinander sprechen können. Nicht wahr?", erhob ich nun meine Stimme und hatte sofort die Aufmerksamkeit aller.

"Hast du dich so schnell von dem Tod deiner kleinen erholt? Dann war sie dir wohl nicht so wichtig, wenn du schon bereit bist die Schwerter fallen zu lassen und gesittete Diskussionen zu führen", entgegnete er grinsend, allerdings gab ich mein bestes meine Wut unter Verschluss zu halten.

"Gerade weil sie mir viel bedeutet. Sprechen wir. Ich bin mir sicher, dass die Clave auch ein Hühnchen mit dir zu rupfen haben, also wäre es doch schön, wenn das in einem gesitteten Rahmen stattfinden könnte, oder etwa nicht?", versuchte ich es stoisch weiter mit meiner Taktik.

Allerdings brach dennoch schlagartig erneut ein Kampf aus. Valentin schritt voran und einige seiner Männer folgten ihm sofort in den Nahkampf mit unseren Verbündeten der Clave und anderen Shadowhuntern. Diese Runde des Kampfes fand zwar mit wesentlich geringerer Beteiligung der Kreismitglieder statt, aber es waren noch immer genug, sodass wir einen guten Moment brauchten, bevor wir alle gesichert hatten. Sobald sie alle keine Gefahr mehr darstellten, rannte ich zu unseren beiden, die wir hoffentlich nicht heute verloren hatten. Um die Kreismitglieder konnten sich die anderen kümmern. 

"Wie sieht es aus?", erkundigte ich mich sofort bei Magnus.

"Gut gemacht, Bruderherz", flüsterte mir Izzy zu und klopfte mir sanft auf den Rücken, während ich gespannt auf Magnus Beurteilung wartete.

"Alexander kommt durch. Der wird sicherlich noch eine ganze Zeit lang mit Einschränkungen zu kämpfen haben, aber der wird wieder. Bei Averie allerdings..", er machte eine kurze Pause, um scheinbar nach den richtigen Worten zu suchen, was in mir allerdings mein Herz Stück für Stück zerbrechen lies.

"Was ist Magnus", flehte ich ihn verzweifelt an.

"Nur die Zeit wird es bei ihr zeigen. Im Moment sieht es allerdings nicht sonderlich gut aus"


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