Wir machten uns auf den Vormarsch über einen der etwas außerhalb liegenden Wachposten ins riesige Gebäude einzudringen. Valentins Schritte hatten noch immer eine Kraft in sich, die vermutlich mit der emotionalen Aufgewühltheit zu begründen war.
Uns schien der Weg bereits freigeräumt worden zu sein, da keinerlei andere Shadowhunter oder Mitglieder der Clave zu sehen waren. Oder hatten sie sich für ihren Plan in einen anderen Bereich zurückgezogen? Egal was der Grund auch sein mochte, bahnten wir uns den Weg zum Büro der Inquisitorin, dass allerdings leer war, was Valentins Stimme nicht unbedingt verbesserte.
"Wo ist sie?! Macht euch sofort auf die Suche nach ihr!", befahl er, während er Schwierigkeiten zu haben schien keinen Tobsuchtsanfall zu bekommen.
Ich versuchte ihm so gut es ging aus dem Weg zu gehen, um Kollateralschäden für mich zu vermeiden. Stattdessen suchten meine Augen den Raum nach Dingen ab, die mir helfen konnten. Es musste nicht unbedingt ein Schwert oder ein Bogen sein, damit ich mich besser verteidigen konnte, wenn es schließlich soweit war. Ich wusste nicht, wann der Zeitpunkt kommen würde, aber ich war mir sicher, dass er mich irgendwann überrumpeln würde und dann musste ich bereit sein.
"Wenn sie sie nicht in den nächsten zehn Minuten finden, dann zerstören wir alles und jeden, der uns auf der Suche nach ihr in den Weg kommt. Der ursprüngliche Plan ist sowieso schon dahin. Wir können die Clave nicht mehr in Stille übernehmen, sondern werden es sowieso mit roher Gewalt lösen müssen. Wir müssen nur dafür sorgen, dass keine Nachrichten an die Institute gelangen", faselte er vor sich hin und schien vollkommen in seinen Gedanken versunken zu sein, weshalb ich meine Position veränderte und mich nun möglichst bedacht umsah.
Das Büro bot mehr Platz als man das auf den ersten Blick vermuten mochte. Allerdings konnte ich keine Waffen erkennen. Soweit wie alles vorbereitet schien, hatten sie eventuelle Waffen auch vermutlich vor unserem Eintreffen entfernt. Natürlich war das eine weise Entscheidung gewesen, auch wenn sie mir nicht zu Gute kam.
Jede Sekunde, die verstrich, ließ in mir die Anspannung steigen. Wenn Valentin wirklich mit Gewalt arbeiten würden, machte ich mir ernsthafte Sorgen um die Sicherheit und Gesundheit der anderen. Valentin hatte schließlich nicht ohne Grund einen solchen Ruf. Vorsichtshalber warf ich einen Blick in seine Gedanken, um eine Idee davon zu bekommen, ob ich noch etwas richten konnte.
Ich werde sie alle umbringen und dann werde ich die Macht ergreifen. Die Clave werden sich schon noch umsehen, wenn ich sie allesamt erledige
Seine Emotionen sprangen mir bei jedem Wort förmlich ins Gesicht, was mir etwas Sorge bereitete, wenn ich daran dachte, dass ich seine Gedanken modifizieren sollte. Er würde sie vermutlich abstoßen, wenn sie zu unterschiedlich von seinen eigenen waren, wenn sie anders emotional aufgeladen waren. Aber ich hatte keine Zeit über mehrere Stunden mich darum zu kümmern. Also was nun?
Ich werde sie fast alle umbringen. Die Leute, die ich noch gebrauchen könnte, werde ich nicht umbringen. Aber die Clave sind dran
Ich versuchte vorsichtig diesen Gedanken mit den gleichen Emotionen einzuweben, damit er unauffälliger wurde und war erfreut, als sich an Valentins Mimik nicht viel änderte. Er starrte noch immer wie besessen auf einen Punkt im Raum und war vollkommen in seinen Gedanken gebunden.
Erleichtert schöpfte ich dadurch etwas mehr Selbstvertrauen und konzentrierte mich auf seine Gedankenflüsse.
Ich werde sie umbringen. Ich werde sie umbringen, wenn auch nicht alle. Ich werde so eine Freude an ihrem Tod haben und endlich das erreichen, was mir schon seit langer Zeit zusteht
Ich konnte wirklich nicht sagen, ob das nun eine Verbesserung oder eine Verschlechterung der Situation darstellte und wie ich am besten darauf reagieren sollte. Wenn ich es erneut versuchte, würde es dann besser werden oder nur noch schlimmer?
Ich werde sie umbringen, aber nicht alle. Manche Tode müssen akzeptiert werden, dennoch sollte ich versuchen so viele wie möglich zu retten. Das hat keine direkten Auswirkungen für den Plan. Ich kann dennoch gewinnen
Es war ein Schuss ins Blaue. Meine Sorgen waren noch längst nicht vergessen, aber ich konnte einfach nicht einfach so daneben stehen und zugucken wie er seine Wut an anderen Menschen ausließ.
Im Raum herrschte inzwischen vollkommene Stille und alle warteten gespannt auf die Kreismitglieder, die die Inquisitorin herbringen sollten. Ich fragte mich nur, ob ich ihre Gedanken dann noch verändern musste oder ob sie sich ihrer einfach gleich entledigen. Hoffentlich, wenn es wirklich dazu kommen würde, wäre es die erste Option.
Plötzlich drehte sich Valentin zu mir. Er hatte seinen Fixpunkt hinter sich gelassen und lächelte mich nun breit grinsend an. Seine Augen trugen einen fast schon wahnsinnig wirkenden Ausdruck in ihnen und mir lief kurzzeitig ein Schauer über den Rücken. Diese ganzen emotional aufgeladenen Gedanken hatten ihn verrückt gemacht. Zumindest schien es so. Vermutlich könnte ich eine ähnliche Reaktion auch mit meiner Arbeit erzeugen, aber daran wollte ich gar nicht erst denken.
"Averie, meine liebste Andersartige hier, du meinst wohl, dass du den Dreh bereits heraus hast, oder? Hab ich dir so viel Selbstvertrauen eingebläut, dass du jetzt vor nichts mehr zurückschreckst?", erklang seine vertraute Stimme mit einer Bedrohlichkeit in ihr, dass meinem Gefühl von Sicherheit in diesem Raum nicht unbedingt zuträglich war. Dennoch sah ich ihn überrascht an und öffnete bereits meinen Mund, um diese "verwirrt von seinen Worten"- Rolle auch verbal einzunehmen, als er mich abwürgte:
"Tu nicht so als seist du es nicht gewesen, die in meinen Gedanken herumgewurschtelt hätte. Deine schauspielerischen Küsten reichen nicht aus, um mich davon überzeugen zu können. Ich weiß, dass du versuchst mich zu beeinflussen. Du bist die einzige Person, die das so kann, also spar dir jegliches Wort der Ablenkung, das du gerade verschwenden wolltest"
Seine Stimme klang wieder mehr nach ihm selbst, dennoch sah ich die Kälte und Gerissenheit in seinen Augen wabern. Er hatte sich nicht wie erhofft zu anderen Maßnahmen bringen lassen und nun würde ich wohl sehen müssen, was das für direkte Auswirkungen haben würde. Ich hatte versagt.
"Soweit ist es also schon gekommen. Du willst dich gegen mich auflehnen. Na schön, dann lehne dich gegen mich auf, aber du wirst dadurch nur noch schneller deinen Untergang antreten müssen. Es ist nicht so, dass ich dir vorher blind vertraut hätte, aber den letzten kleinen Funken hast du nun endgültig vaporisiert. Verabschiede dich von deiner Tante, denn das war ihr Todesstoß", erzählte er grinsend, bevor er sich an jemanden wandte, der kurz darauf aus dem Zimmer verschwand und in mir blanke Panik zurückließ.
Allerdings gab mir Valentin gar keine Gelegenheit in meiner Panik aufzublühen, da er bereits die nächste Nachricht an mich richtete, indem ich gegriffen wurde und bevor ich mich aus dem Griff hätte winden können, sich ein Dolch in meinen Bauch bohrte.
Sofort verfiel ich in Schnappatmung und war froh, dass genug Adrenalin durch meine Adern floss, sodass ich die Schmerzen nur minimal mitbekam. Trotz der ständigen Gewalt in den letzten Wochen, die ich in dieser Welt erfahren hatte, befand ich mich in einem Schockzustand. Seine Handlung war einfach zu unerwartet gekommen.
"Gut, ich bin mal gespannt, ob uns die Inquisitorin jetzt sehen will oder ob wir dich noch ein bisschen weiter verunstalten müssen, bevor sie uns ihr Gesicht zeigt. Dein Freund wird doch auch sicherlich hier sein, nicht wahr? Er würde doch so etwas nicht wollen", erklärte er noch immer grinsend.
"Er ist nicht mein Freund", entgegnete ich stockend. Ich musste irgendwie den Dolch aus meinem Bauch bekommen, damit die Wunde heilen konnte und ich im Kampf gegen sie eine Chance hatte.
"Elyssia sieht das anders und ihrem Urteil vertraue ich mehr als dem zweier Turteltäubchen. Keine Sorge, wir werden euch schnell wieder vereinen. Wo genau das sein wird, kann ich euch leider noch nicht versprechen. Vielleicht erst im nächsten Leben"
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Hunter
FanfictionAverie Clark ist eine 19-jährige Waise, die nach Brooklyn gezogen ist, um hier ihr Jurastudium zu absolvieren. Sie lebt für Gerechtigkeit und den Schutz für Opfer, da ihre Eltern in ihrem Kindesalter ermordet wurden. Jedoch wandelt sich ihr Leben sc...