(32) Taten und Folgen

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Ich konzentrierte mich darauf, die Gefühle zu spüren, während ich die Gedanken hatte und ich schaffte es tatsächlich sowohl in die Gedanken der Schattenweltler einzutauchen als auch wieder aus ihnen heraus zu kommen. Freudig begann ich zu grinsen und versuchte es gleich ein paar Mal hintereinander, um noch besser und schneller darin zu werden. In diesem Raum hatte ich keine Angst davor, was für Folgen mein euphorisiertes Handeln haben könnte.

"Wie war es?", erkundigte sich Alec sofort, als ich wieder aufgetaucht war in die Realität.

"Ich glaube, dass ich es geschafft habe", erzählte ich noch immer mit dem gleichen Hochgefühl. Mein überraschendes Gelingen nach so vielen Stunden der verzweifelten Arbeit, hatte in mir eine große Menge an Endorphinen freigesetzt.

"Das freut mich, Averie", begann Magnus und schien kurz mit sich zu ringen. Verwundert sah ich ihn an und spürte, wie sich das gute Gefühl mehr und mehr verflüchtigte und die alten Sorgen und Gedanken auf ihren angestammten Platz zurückkehrten.

"Aber?", fragte ich schließlich, als mir die Pause zu lange wurde.

"Du hast wirklich große Entwicklungsschritte gemacht und ich bin unfassbar stolz auf dich, aber... der Traum ist nur eine Simulation. Im Traum gelingen dir Dinge einfacher, weil er zum Einstieg und zum Lernen, wie deine Gabe funktioniert, gedacht ist. In der "echten" Welt musst du aber trotzdem bitte noch vorsichtig sein", bat er mich und sah mich mit einem wärmenden Blick an. Er wollte mir keine Sorgen ins Ohr flüstern, aber seine Bitte war vermutlich genau das, was ich jetzt gebraucht hatte, um nicht übermütig zu werden und einen irreversiblen Schaden anzurichten.

"Was passiert, wenn ich es in der realen Welt nicht unter den Griff bekomme und die Gedanken von Mundis oder Schattenweltlern modifiziere?", versuchte ich erneut herauszubekommen, wie es um die Folgen für die Lebewesen stehen würde. Magnus sah mich kopfschüttelnd an und sagte:

"Averie, versuche darüber nicht nachzudenken und versuche nur immer bei der Sache zu bleiben, wenn du das Ventil geöffnet hast. Ok?"

Seine Antwort war wieder ausweichend, weshalb ich mir überlegte, was das für Lebewesen bedeuten konnte, wenn ich in ihren Gedanken herumpfuschte. Konnte das psychische Probleme mit sich ziehen oder auch physische? 

"Nun gut, wie wäre es, wenn wir gleich noch eine Runde Üben und du dann später mit Alec einen Ausflug ins Institut machst und deine Freunde dort einmal wieder besuchst?", schlug Magnus schließlich vor, weshalb ich diesen Gedanken vorerst zur Seite schob. Magnus würde mir sowieso nicht verraten, was die Folgen wären und deshalb konnte ich auch genauso gut seinem Plan folgen und das Beste aus der Situation machen.

"Klar", erklang Alecs Stimme und ich sah, wie er mir freudig zulächelte.

"Aber am Abend seid ihr dann bitte zurück. Und wir machen jetzt noch zehn Runden, in denen du dich wieder nur auf das Öffnen und Schließen des Ventils konzentrierst  und das dann abwechselnd zwischen den Shadowhuntern und Schattenwesen machst. Diese beiden Gruppen stellen schließlich unterschiedliche Schwierigkeitsgrade dar und nicht von den unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden beeinflusst zu werden, ist ein weiteres Ziel, das wir in den nächsten Tagen anstreben sollten", erklärte Magnus, woraufhin wir uns an die Arbeit machten.

In den ersten Runde empfand ich es noch als ziemlich schwierig zwischen den beiden hin und her zu gehen und mich immer von einem abzukoppeln, bevor ich mich beim nächsten wieder ankoppelte, weshalb ich irgendwann versuchte das Ventil offen zu halten und ohne es zwischendurch zu schließen von verschiedenen Schattenweltlern und Shadowhuntern die Gedanken zu lesen. Auch das gelang mir in den letzten beiden Runde, weshalb ich relativ erleichtert meine Traumwelt verlies und erschöpft auf der Couch wieder auftauchte.

"Wasser?", fragte Alec und hockte so vor mir, dass ich mich gar nicht bewegen müsste, um an das Glas mit Wasser heranzukommen, das er vor mich hielt.

Ich schmunzelte leicht, obwohl ich noch ziemlich benebelt und erschöpft war und nahm ihm das Glas ab, um mich wieder zu hydrieren. Meine Atmung war noch verhältnismäßig schnell und ich brauchte einige Zeit, bis ich heruntergefahren war.

"Ist es immer so?", konnte ich Alecs Stimme hören, die sich nun etwas von mir abgewandt hatte und seine Frage scheinbar an Magnus gewandt war.

"Die Arbeit im Traum, auch wenn es von uns aus nicht nach viel Arbeit aussieht, ist sehr anstrengend und fordert eine Menge Energie. Also solltet ihr vielleicht auf dem Weg noch einen Snack einnehmen", erzählte Magnus und lies seine Lippen am Ende sich in ein süffisantes Grinsen verziehen.

"Ok, natürlich", bestätigte Alec allerdings völlig ernst, was auch in meinem Gesicht ein Grinsen sprießen lies. Dieser Junge hatte manchmal echt nicht das beste Verständnis für den komödiantischen Charme, den Magnus gerade an den Tag legte. 

"Dann mal los", murmelte ich mehr, als das ich es wirklich sagte, weil mein Hals noch immer so trocken war. Ich verstand nicht, warum mich die Arbeit im Traum immer so viel Wasser kostete, aber Alec brachte mir nur ein weiteres Glas Wasser, bis wir uns schließlich auf den Weg machten.

"Izzy wird sehr froh sein dich zu sehen. Sie hat mir in den letzten Tagen immer in den Ohren gelegen, dass ich mich bei dir entschuldigen soll und sie dich dann endlich wiedersehen möchte", erzählte er, was mich mehr als gedacht erfreute. Sie hatte mich vermisst und solche Emotionen empfand man nur, wenn man auch positive Gefühle gegenüber jemanden hatte. Ich hatte also wirklich Freunde im Institut gefunden.

"Was habt ihr denn in den letzten Tagen so schönes gemacht?", fragte ich, als wir gerade in ein kleines Restaurant hineingingen. Es waren nur einige Tische besetzt, weshalb wir uns einen Platz aussuchen konnten und dann uns mit der Speisekarte auseinandersetzen konnten.

"Ach, so normale Sachen. Clary und Jace haben in der Stadt nach einem Dämonen gesucht, der uns bei einem Auftrag entwischt ist und Izzy und ich haben sie versucht aus dem Institut zu unterstützen", erzählte er, während seine Augen über die Seiten der Speisekarte flogen.

Bevor ich allerdings unsere Unterhaltung fortführen konnte, wurden wir durch einen immer lauter werdenden Konflikt unterbrochen und unsere Aufmerksamkeit wurde auf eine Frau gelegt, die sich lautstark mit einem der Köche zu unterhalten schien.

"Ihre Suppe ist das letzte. Wie können Sie es wagen, etwas derartiges überhaupt anzubieten. Ich weiß, dass Sie nur in einer kleinen Bruchbude arbeiten, aber ich kann ja wohl trotzdem erwarten, dass ich ein anständiges Essen erhalte", keifte sie den Koch an, der offensichtlich nicht genau wusste, wie er auf die äußerst unhöfliche Dame reagieren sollte.

"Es tut mir leid, dass sie Ihnen nicht geschmeckt hat. Dürfte ich Ihnen etwas anderes anbieten?", erkundigte er sich höflich, aber die Dame dachte offensichtlich gar nicht daran aufzuhören.

Er weiß es doch. Warum hat er mir nie gesagt, dass er mich immer und immer wieder betrogen hat? Warum hat er ihn jedes Mal wieder gedeckt?

Ich war mir nicht ganz sicher, wann oder ob ich mich überhaupt dazu entschieden hatte einen Blick in ihre Gedanken zu werfen, aber nun war es getan. Ich wusste zwar nicht genau, was vorgefallen war, aber die Art wie ihre Gedanken klangen, war diese Frau unfassbar emotional tief getroffen und tat sich schwer daran wieder glücklich zu sein. Ich wünschte mir allerdings nichts mehr als das. Sie sollte die Taten verzeihen und weiter machen können. Sie sollte sich nicht weiter mit solchen Menschen aufhalten, sondern mit neuem Mut und Freude das Leben angehen.

Plötzlich wurde es still im Restaurant. Meine Augen suchten die der Frau ab, aber sie waren kurz leer, bevor sie sich scheinbar berappelte, sich bei dem Koch entschuldigte und sich dann höflich bei ihm verabschiedete. Verwirrt von ihrer plötzlichen Sinnesänderung warf ich einen letzten Blick in ihre Gedanken.

Ich habe ihm verziehen. Ich brauche solche Menschen nicht, sondern werde einfach mit neuem Mut und Freude mein Leben leben.

Erschrocken zog ich meine Lippen ein. Magnus hatte recht gehabt, auch wenn ich versuchte noch nicht daran zu glauben. Ich hatte gerade die Gedanken der Frau verändert und das vielleicht für immer.

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