(72) Spion

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Wir bewegten uns vorwärts zu der nächsten Station, an der die anderen Kreismitglieder bereit einige Shadowhunter eingesammelt hatten, damit die Geschwindigkeit, in der wir die Punkte der Operation abarbeiten konnten, sich erhöhte. 

Sofort hatte ich meine Ventil geöffnet und sah mir ihre Gedanken genau an, obwohl das bei der Anzahl an Shadowhuntern schon extrem schwierig war. Trotzdem musste ich mir einen ersten Eindruck verschaffen. 

Sie ist da

Wie geht es dir? 

Geht es dir gut? 

Alles in Ordnung?

Ist wohl alles bei ihr in Ordnung?

Allerdings stich einer der Männer aus dem Brei an Gedanken klar heraus, was mich kurzzeitig stocken lies. Allerdings wusste ich sofort, dass ich dem auf dem Grund gehen musste, bevor ich neue Gedanken einweben sollte, weshalb ich mich auf ihn und seine Gedanken fokussierte.

Was soll das Ganze hier? Was hat Valentin vor?

Seine Gedanken passten einfach nicht in das Denkmuster der anderen. Was war seine Mission? War er der Einzige, dem man nichts erzählt hatte? War er ein aufgegriffener Streuner? Oder wollte Valentin mich nur testen?

Ich gehe da gleich rein und sorge unauffällig dafür, dass Kreismitglieder hereinkommen. Ich erfülle meine Aufgabe und kämpfe dann an ihrer Seite gegen die bösen Shadowhunter und Clave

Das Risiko, dass er nichts direkt mit dem Ganzen zu tun hatte und nun als Mitläufer aktiv eingriff, musste ich akzeptieren, um meine Chancen Valentin auszutricksen zu erhöhen. Seine Augen waren klar auf mich gerichtet, während ich ihm diese Gedanken sorgsam einwebte. Besonders aufmerksam war ich dabei, um den anderen keine falschen Gedanken in den Kopf zu setzen. Obwohl diese zusätzliche Abkapselung von den anderen anstrengender war als gedacht.

Danach wandte ich mich den anderen zu und teilte ihnen die gleiche Nachricht mit wie den anderen beiden Wachen zuvor. Mit der Ausnahme, dass ich sie über die Existenz dieses Spions oder Querschlägers informierte. Ich wollte möglichst so transparent wie möglich in kurzer Zeit sein. 

Alle begannen schließlich zu nicken und wurden abgeführt. Erschöpft schloss ich kurz die Augen und atmete ruhig ein und aus. Wie ich mich doch schon auf die Zeit ohne Valentin freute. Auf mein Bett im Institut. Auf das Kampftraining mit den anderen. Auf die nächtlichen Gespräche mit Alec. Darauf Joana mal wieder entspannt treffen zu können. Ich hatte mich schon wieder Ewigkeiten nicht bei ihr gemeldet. Ich war wahrhaftig die schlechteste Freundin, die es gab. Wo blieb meine Urkunde dafür.

"Nicht schlapp machen. Du hast noch einen langen Abend und eine lange Nacht vor dir. Danach kannst du schlafen. Außerdem scheinst du den Test bestanden zu haben, weshalb du noch ein paar Stunden mehr als geplant leben darfst. Tekin", erklärte mir Valentin mit ruhiger Stimme direkt neben meinem Ohr, was mir eine Gänsehaut über den Rücken jagte, bevor ich spürte wie sich Energie wieder in meinen Zellen ansammelte. Tekins Werk vermutlich und dennoch konnte ich die Erschöpfung und Müdigkeit nicht vollends aus meinen Knochen schütteln. Sie war einfach zu allumgreifend.

Ich hatte also Recht gehabt. Valentin wollte mich testen. Er hatte keine Möglichkeit meine Arbeit zu überprüfen außer sie an äußeren Auswirkungen abzuschätzen. Im Training hatte er es immer an der Stimmungsänderung getan und nun, wo es auf den Showdown hinauslief, wollte er sicherlich nichts mehr dem Zufall oder seinen Beobachtungen überlassen. Zum Glück hatte meine Antwort darauf allerdings gut funktioniert. Wenn es weiter so glatt lief, sollten wir doch hoffentlich in der Lage sein Valentin zu besiegen. 

Wir wurden zu einem neuen Punkt in der Stadt gebracht, sodass wir das Prozedere wiederholen konnten. Ich konnte kaum mitzählen in wie viele Gedankenwelten von Shadowhuntern ich inzwischen eingegriffen hatte. Und obwohl dies Teil des Planes der Clave zu sein schien, machte ich mir dennoch Sorgen. Am besten wäre es für alle Beteiligten, wenn ich keine Veränderungen bei ihnen vornehmen würde.

"Was machen wir jetzt?", erkundigte sich eines der Kreismitglieder, nachdem wir ein kleines Lager an einem der Wachposten aufgestellt hatten.

"Wir warten noch etwa zwanzig Minuten und dann sollte der Plan soweit ausgeführt sein, dass wir sie im direkten Kampf schlagen können. Denkt dran, dass ihr die nötigen Opfer bringen dürft, aber alle weiteren, vor allem die entscheidenden Personen, sollten lebend gesichert werden. Je mehr unsere Averie konvertieren kann, desto besser für uns, ok? Schließlich brauchen wir nachher in der Übergangsphase genug Männer, um unsere Macht sichern und stabilisieren zu können", erklärte er eindringlich.

"Was ist mit ihr? Nehmen wir sie mit rein?", wollte ein weiteres Kreismitglied von ihm wissen, woraufhin alle Blicke auf mich fielen. Am liebsten wollte ich mich klein machen, aber stattdessen versuchte ich meinen Rücken noch ein kleines Stück mehr durchzudrücken und neben meiner selbstbewusst angedachten Haltung, einen ebenso ausdrucksstarken Blick zu haben.

"Du brauchst keine Angst zu haben. Wir werden ihr vermutlich eine Sonderbehandlung verpassen müssen, damit wir sicherstellen können, dass sie uns nicht abhaut", säuselte Valentin als ob er den Gesang zu dem Rauschen um uns herum bieten wollte. Obwohl die Stadt wie unbewohnt wirkte, rauschte es um uns herum, was den Gruselfaktor deutlich in die Höhe trieb und gleichzeitig meinen Wunsch nach einer ruhigen, sicheren Nacht in meinem Bett im Institut vergrößerte.

"Haben wir denn dafür genug Männer?", hinterfragte ein weiterer.

"Wenn du nicht die Klappe hältst, dann haben wir gleich einen weniger", fauchte Valentin nun geradezu, als ob er just die Geduld verloren hatte. Scheinbar zerrte diese Aktion hier nicht nur an meinen Nerven extrem.

"Wir haben unseren kleinen Trupp von vorhin, der uns sofort in das Büro der Inquisitorin bringen wird. Dort werden wir unser Lager aufbauen und Averie wird von jedem die Gedanken verändern, den ihr bringen werdet. Vielleicht können wir so noch schneller die Oberhand gewinnen, wenn wir mehr direkt auf unsere Seite ziehen", schien er einige Gedankenexperimente durchzuführen. Hatte er nicht mal ursprünglich einen Plan gehabt?

"Valentin, aber dieser Prozess könnte uns beim Kämpfen aufhalten und deinen Standort offenbaren", warf ein weiterer ein.

"Wir werden das schon schaffen. Wir haben Spione vor Ort, wir haben ein gutes Team, wir haben unsere kleine Gedankenfee und wenn es knifflig wird, dann nehmen wir sie einfach als Druckmittel. Eine Gabe wie ihre würde den Clave sehr helfen und sie ist die letzte von ihrer Art. Da würden sie doch nichts riskieren wollen", erklärte er selbstbewusst und begann am Ende breit zu grinsen. Dieser Mann war wirklich einfach nur verrückt.

"Das bezweifle ich. Die Clave wissen nicht welche Fähigkeiten ich hab. Kaum jemand weiß es, weshalb sie keine Verwendung für mich hätten. Du solltest deinen Plan noch einmal überdenken, da er so nicht zum Erfolg führen wird", versuchte ich ihn noch etwas emotionaler zu machen. Wenn man emotional war, dann funktionierte der Teil des Gehirns, der fürs logische Denken zuständig war, schlechter. Das hatte zumindest eine Studie offenbart, die ich einst gelesen hatte. Aber das sollte doch auch auf Shadowhunter übertragbar sein, oder nicht?

Zu meinem Glück stieg Valentin voll drauf ein und die Nervosität und Wut, die er zu empfinden schien, multiplizierten sich miteinander, sodass er zu einem tödlichen Nervenbündel wurde. Tödlich, aber dafür nicht wirklich durchdacht handelnd. Man konnte eben nur eins haben.

"Lasst uns rein. Machen wir sie fertig", spuckte er aus und riss mich höchstpersönlich mit sich. Hoffentlich war das nun eine gute Entscheidung gewesen.

HunterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt