(1) Ein verhängnisvoller Abend

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"Das war wieder ein unheimlich unnötiger Termin. Die Professoren denken auch, dass wir nichts besseres zu tun hätten, als uns diese Vorträge über völlig belanglose Dinge anzuhören"

Ich schmunzelte in mich hinein, während ich mir ein Gähnen unterdrückte und weiter Joana dabei zuhörte, wie sie sich über die abendlichen zusätzlichen Präsentationen unserer Professoren beschwerte. Mich nervten diese Vorträge zwar nicht unbedingt, aber ich konnte verstehen, warum Joana lieber in unserer Wohnung geblieben wäre. Ich studierte schon ein Semester mit ihr zusammen Jura in New York und seit der gleichen Zeit war sie in einer Beziehung mit einem Medizinstudenten, der schon im 6. Semester war. 

"Und weißt du, was das schlimmste daran ist?", sie warf mir einen Blick zu, den ich aus dem Augenwinkel erkannte und sofort mich ebenso ihr zudrehte. Abwartend und fragend blickte ich sie an, bis sie selbst die Antwort auf ihre Frage gab: "Devin wollte mich heute eigentlich ausführen in ein schönes Restaurant um unser Jubiläum zu feiern, aber statt mit meinem Freund eine schöne Zeit zu verbringen, saß ich zwei einhalb Stunden in diesem Vortrag, der mir weder in der näheren, noch in der entfernten Zukunft in irgendeiner Art helfen wird. Weißt du wie unfassbar frustrierend das ist?"

Ich konnte an ihrer Stimmlage erkennen, dass sich ihre Wut um ein weiteres Pfund vergrößert hatte. Jetzt musste ich mit Bedacht vorgehen, damit ich sie nicht zusätzlich ärgerte.

"Ja auf jeden Fall. Wir alle hätten die Zeit sicherlich sinnvoller verbringen können, aber", doch bevor ich noch irgendetwas weiteres erwähnen konnte, schnitt sie mir schon das Wort ab.

"Sag ich doch. Diese Zeit, in der ich noch jung bin und unsere Liebe noch romantisch und leidenschaftlich, wird mir durch einen dieser blöden Vorträge genommen"

Ich suchte in meiner Handtasche nach meinem Handy, um ihr etwas beruhigendes zu zeigen, was mir meine Mutter immer vorgespielt hatte, als ich noch ein kleines Kind war, aber meine Finger konnten die glatte Oberfläche des Bildschirms in meiner Tasche nicht erspüren. Ich kramte nun großflächiger mit beiden Händen darin, hielt sogar an, als ich plötzlich zu Joana sagte: 

"Ich glaub, dass ich mein Handy im Hörsaal vergessen habe. Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich schnell zurückgehen und es holen würde. Du kannst auch gerne schon zur Wohnung vorgehen. Dann könnt ihr zwei vielleicht doch noch etwas heute Abend machen"

"Oh ja, wenn das geht, Ave?", meinte sie und blieb ebenfalls neben mir stehen.

"Ja natürlich. Es wird auch sicherlich nicht allzu lang dauern", beteuerte ich und machte mich bereits wieder auf den Rückweg zur Uni.

Im Hörsaal angelangt überkam mich ein eigenartiges Gefühl. Der Hörsaal lag in kompletter Stille und Dunkelheit, sodass ich zuerst den obersten Lichtschalter finden musste. Schon jetzt bereute ich es, dass ich nicht schon beim Verlassen meine Tasche nach meinem wichtigsten Gegenstände wie Handy und Schlüssel kontrolliert hatte.

Endlich fand ich den Lichtschalter und ebenso schnell auch mein Handy. Es lag noch bei den Plätzen auf dem Boden und ich bückte mich um es aufzuheben, als ich eine Stimme vernahm.

"Averie. Sie sind zurückgekommen. Haben sich bei Ihnen noch Fragen zu dem heutigen Vortrag ergeben?", erklang die Stimme von Professor Smith. Ich stellte mich wieder ordentlich hin, strich verlegen über meine Jeans und meinte lächelnd: "Oh nein, es tut mir leid, wenn ich sie gestört habe, aber ich habe mein Handy vergessen und bin nur wiedergekommen um es zu holen".

"Tragisch. Ich hätte vier Eier und drei Äpfel darauf gestetzt, dass Sie über diesen durchaus recht komplexen Vortrag nachgedacht haben und Ihnen dabei Fragen aufgekommen sind. Wie zum Beispiel über die Bilder, die sich an der Innenseite Ihrer Schädeldecke bei Ihrer Geburt eingebrannt haben. Und warum gerade Sie deshalb von großem Interesse sind. Für viele Leute scheint Ihre Gabe eine neue Form von Magie zu sein. Und diese Magie, macht Sie zu etwas ganz besonderem", erklärte er und schritt dabei mit bedrohlich großen Schritten auf mich zu. Seine Augen waren starr auf mich gerichtet und ich versuchte verwirrt zu verstehen was gerade vor sich ging. 

"Haben Sie sich nie gefragt, warum ihre Eltern gestroben sind?", erklang seine Stimme erneut, aber sie klang nicht wie sonst immer . Sie klang kälter und roboterhafter. Das konnte doch nicht der quirrlige Professor Smith sein, der sonst immer die Vorlesungen machte. Was passierte hier gerade?

"Was? Wovon reden Sie überhaupt?" Ich begann nun mich schneller weg zu bewegen. Hinaus aus der Tür zum Hörsaal und in den Gang. Aber er folgte mir.

"Ich würde hier bleiben, wenn ich du wäre", erklang plötzlich eine weitere Stimme.

Ich sah in den langen Flur und entdeckte zwei junge Männer mit leuchtenden Schwertern in den Händen. Sie schritten ebenso auf mich zu wie der Professor, der gerade jetzt auf mich zusprang und keineswegs mehr wie der Professor Smith aussah, den ich kannte. Spitze weiße Zähne umrundeten sein weit aufgerissenes Maul. Ich rannte so schnell ich konnte davon, jedoch spürte ich auf ein Mal einen unglaublichen Schmerz in meinem Bein, der sich brennend durch meinen ganzen Körper ausbreitete und mich schlagartig zu lähmen schien.

Ich biss meine Zähne zusammen und versuchte weiter zu laufen, als ich ein weiteres mal getroffen wurde. Ich fiel zu Boden und schrie vor Schmerzen auf. Meine Augen tränten und ich konnte kaum atmen. Dieser Schmerz breitete sich weiter und weiter aus, bevor ich sah, wie das Monster von den beiden Männern mit den leuchtenden Schwertern getötet wurde. Der eine reichte mir seine Hand, vermutlich um mir hochzuhelfen, aber ich sah ihn bloß erschrocken an. An seinem Hals war ein Kreis in seine Haut eingebrannt und an seinem ganzen Körper hatte er eigenartige Symbole tätowiert. 

"Was wollen Sie von mir?", fragte ich schwer atmend.

"Dir helfen. Du wirst sterben wenn du dir nicht helfen lässt und das dürfen wir nicht zulassen. Valentin will dich lebend", erklärte der andere kalt und wollte mich am Arm greifen, als ich ein letztes Mal alle meine Kraft zusammen nahm und aufstand. Sie dachten wohl, dass ich mit ihnen kommen würde, aber irgendwie traute ich ihnen nicht. In mir bäumte sich alles dagegen auf, dass ich mit ihnen ging, also versuchte ich in die andere Richtung zu rennen.

Jeder Schritt schmerzte unbeschreiblich stark und meine Lunge brannte. Ich musste jede Energieressource in meinem Körper aktivieren um vor ihnen zu fliehen. Meine Füßen trugen mich mehr oder weniger schnell den Flur entlang bis zur Haupteingangstür. Ich stürtzte mich hinaus und merkte mehr und mehr schwarze Punkte in meinem Blickfeld. Ich flehte zu Gott, dass ich an vertrauenswürdige Personen gelangen würde. Ich warf einen letzten Blick zurück in den Flur, in dem die Männer mir noch immer folgten und schmiss mich dann gegen die Tür. Sie öffnete sich und ich fiel fast zu Boden. 

"Wir kriegen dich so oder so", hörte ich noch von einem der beiden, bevor ich in ein Paar reinlief, die mich verwundert ansahen. Auch sie hatten beide diese Tätowierungen am ganzen Körper. Das rothaarige Mädchen sprach mich sofort an: "Hey, alles gut bei dir? Können wir dir irgendwie helfen?"

Ich versuchte etwas zu antworten, aber bevor ich sinnergebende Worte mit meinem Mund formen konnte, sagte der blondhaarige Junge: "Clary, schau dir das an. Sie ist verletzt. Wir müssen sie ins Institut bringen. Sofort"

Sie wendete den Blick ab von mir und sah ihn an. Ich versuchte mich noch irgendwie auf den Beinen zu halten, aber der Schmerz war zu mächtig und es fühlte sich an, als ob er brennend nun fast mein Herz erreicht hatte, sodass ich langsam zusammensank und bewusstlos wurde. Mit der stillen Hoffnung, dass diese beiden vertrauensvoller waren als die anderen beiden. Aber mein Bauchgefühl vermittelte mir positive Signale.

HunterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt