(37) Härteprüfung

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Ich blickte in seine dunkel blauen Augen, die rötlich gereizt aussahen und fragte mich, was er wohl gerade dachte.

Sprich mit mir, Schätzchen

Seine Stimme erklang und ich versuchte trotzdem die Konzentration aufrechtzuerhalten. Meine Extremitäten fühlten sich schwach an, als ich ihn versuchte mit meinem Blick zu durchbohren. 

Na na, nicht schlapp machen

Er verspottete mich nicht nur mit seinem Lächeln, das er nicht eine Sekunde lang hatte verrutschen lassen, sondern selbst seine Gedanken, wenn das denn wirklich seine waren, verspottenen mich. Noch einmal versuchte ich den Fokus, den ich auf ihn gelegt hatte, zu erhöhen, um irgendwie tiefer in seinen Kopf vorzudringen. Er hatte offenbar bemerkt, dass ich frustriert aussehen musste. Zumindest fühlte ich mich bereits wieder ein bisschen so.

Du..doch wohl nicht...schlapp machen

Ich schaffte es nicht die Konzentration vollkommen auf ihm ruhen zu lassen und weiter vorzudringen, sondern spürte nur wie sich meine Kräfte immer und immer weiter verabschiedeten und ich Schwierigkeiten hatte, weiter stehen bleiben zu können. Meine Sicht wurde verschwommen und ich kämpfte damit, dass mich der Schwindel nicht endgültig von den Beinen fegte.

"Hey, Averie", erklang Magnus Stimme in der Ferne. Ich versuchte das Ventil zu schließen, aber auch dabei war ich mir nicht sicher, ob dieser Versuch wirklich von Erfolg gekröhnt war.

"Lass die Augen offen, Averie. Es ist alles gut. Ich bin bei dir", drang nun Magnus Stimme näher an mich heran. Ich schloss meine Augen kurz, um mich von dem Schwindel zu lösen, aber verlor dabei immer mehr die Kontrolle über meinen Körper. Verdammt, dachte ich mir, durch diese Härteprüfung war ich dann wohl glorreich mit 0 Punkten durchgeschlittert.

Als ich meine Augen wieder öffnete, lag ich in meinem alten Zimmer im Institut. Ich war mir ziemlich sicher, je klarer meine Sicht wurde, dass es sich um mein altes Zimmer handeln musste. 

"Du bist wieder wach", erklang Izzys Stimme, die von neben mir zu kommen schien. Ich lies meinem Blick dorthin schweifen und merkte, dass sie neben mir im Bett saß.

"Wie geht es dir?", erkundigte sie sich und ich schüttelte nur verwirrt mit meinem Kopf, der ziemlich  unangenehm dröhnte.

"Geht schon. Wie geht es dir und den anderen?", warf ich die Frage zurück, worüber sie nur schmunzelte.

"Mach dir darüber keine Sorgen. Uns geht es gut. Und jetzt, wie wäre es mit einem Frühstück", schlug sie vor.

"Von dir? Alecs Aussagen nach wäre das von mir durchaus mutig, aber ich bin bereit für eine Herausforderung", frötzelte ich, was sie mir mit einem breiten Grinsen und einen Klapps gegen den linken Oberarm quittierte.

"Du solltest eben nicht ganz so sehr an den Lippen meines Bruders hängen, sonst entgehen dir noch echt meisterliche Gerichte", erklärte sie schmunzelnd, aber fuhr dann fort: "Spaß beiseite, du solltest wirklich essen. Hier, das hab ich dir von unserem Frühstück mitgebracht"

Sie reichte mir ein Tablett mit einigen Pancakes und einer Schüssel mit Früchten. Dankbar nahm ich mir eine Erdbeere und bot ihr dann auch etwas davon an.

"Nein, nein, dass isst du schon schön alleine, damit du wieder zu Kräften kommst", erklärte sie lächelnd und schob mir das Tablett wieder zu.

"Es tut mir leid, dass ich keine Hilfe war. Ich hab nur schon wieder für mehr", gestand ich meine schlechtes Gewissen, aber Izzy schien das so nicht zu akzeptieren: 

"Stopp, Averie. Du hast dein bestes gegeben, warst aber bereits bei unserer Ankunft total ausgepowert. Dir wirft keiner etwas vor, ok"

"Das Einzige, in dem ich potentiell gut sein sollte, kann ich nicht hinbekommen, also kann ich schon verstehen, wenn alle sauer auf mich sind. Ich will auch wirklich helfen, Izzy", wieder unterbrach sie mich:

"Averie, denkst du ich hätte nach einem Tag Kampftraining gegen irgendjemanden bestehen können? Und dabei wusste ich genau was ich gelernt habe, wie es funktioniert und was die Grundkenntniss drum herum sind. Du musst das alles selbst herausfinden, also mach dir damit bitte keinen Stress. Wir alle wollen nur, dass es dir gut geht und wenn du eben noch etwas Übung brauchst, dann versuchen wir dir zu helfen. Keiner von uns will dich dazu drängen etwas zu tun, mit dem du dich noch nicht wohlfühlst. Und wenn es doch jemanden gibt, dann prügele ich ihm sein Gewissen eben wieder an den richtigen Platz", erklärte sie stolz grinsend und nahm mich dann aufmunternd in den Arm.

Ich aß mein Essen auf, während mich Izzy auf den neusten Stand brachte. Alec und Clary waren wieder fit und hatten ihre Ruhezeit hinter sich gebracht. Magnus war letzte Nacht noch nach Hause, aber würde später am Tag wieder herkommen, um mich bei einem eventuell weiteren Versuch zu unterstützen.

"Vielleicht muss ich erst mit ihm sprechen", sprach ich einen Gedanken aus, der sich bei mir gebildet hatte. "Oder vielleicht brauche ich den direkten Blickkontakt ohne Glas dazwischen"

Ihre überlegte schon eine ganze Weile mit Izzy zusammen, wobei sie mich eher besorgt musterte und kurze Einwürfe machte. 

"Hast du denn gestern schon in seine Gedanken dringen können?", erkundigte sie sich bei mir und ich antwortete wahrheitsgemäß:

"Ja, aber er hat mich in seinen Gedanken lediglich verspottet. Vielleicht muss ich in seinen Gedanken etwas rumwühlen, um die Antworten auf die Fragen zu finden, die wir stellen"

"Kannst du das?", war sie plötzlich voller Tatendrang, den ich leider etwas abdämpfen musste:

"Nein, aber wenn wir ehrlich sind, kann ich doch sowieso nichts wirklich von dem, was ich können sollte. Also ist der Versuch es doch wert"

"Da hast du recht. Lass uns gleich mal nach Magnus gucken und dann probieren wir es aus", schlug sie vor, allerdings fanden wir Magnus nicht, weshalb ich vorschlug, dass wir ja einige Probedurchläufe bei dem Kreismitglied bereits machen konnten.

Als wir runter kamen, saß er noch immer auf seinem Stuhl und strahlte mich aus seinen dunkel blauen Augen an, während Izzy und ich uns auf ihn zubewegten.

"Ich weiß nicht, ob es so eine gute Idee ist", gestand sie ihre Zweifel, aber ich versicherte ihr nur:

"Wir gehen ja nicht rein. Ich will nur einige Dinge ausprobieren", erklärte ich, während ich meinen Blick auf ihn fokussierte. Seine Lippen waren bereits wieder in sein überhebliches Lächeln verzogen, aber dieses Mal ließ ich mich nicht davon aus der Ruhe bringen. Dass ich jetzt kein Publikum hatte, das auf Ergebnisse wartete, tat sein übriges um mich weiter zu entspannen.

Versuchst du es erneut? Hast du dich vom letzten Mal schon erholt?

Fragte er, obwohl er wusste, dass er von mir keine Antwort bekommen würde. Da er nicht die Fähigkeit hatte Gedanken zu lesen, war es also nur an mir, seine zu sehen. Und dieses Mal versuchte ich mich von seinen Psychospielchen nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.

Ach Schätzchen, versuche es morgen nochmal

Ich versuchte durch diese erste Ebene der Gedanken hindurchzugleiten, die wie ein dünnes Tuch über den riesigen Ordnern an Gedanken lagen. Sobald ich in dieser Ebene angekommen war, die ich nun auch bildlich vor mir sehen konnte, begann ich nach der Suche des Grundes für den Angriff gestern. Warum hatten sie die Shadowhunter angegriffen?

Es dauerte nicht lange, bis ich die Antwort fand: Chaos. Aber was genau sollte dieses Chaos bringen?

Ich kann dir die Antworten nicht geben

Seine Stimme erklang im Hintergrund, während ich noch immer in seinen Gedanken herumwühlte, aber es gab darauf keine Antwort. Ich konnte keine finden und ich wusste nicht, ob es an meiner eigenen Inkompetenz lag oder ob er wirklich die Antworten nicht hatte, die ich, die wir alle suchten. Eine Antwort darauf was Valentin trieb und welche Pläne er verfolgte. Aber Gedankenlesen hin oder her, diese Antwort blieb uns noch verborgen.

HunterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt