"Hallo Averie, wie geht es dir? Wir haben uns lange nicht mehr gesehen", begrüßte mich Tekin, sobald er mir gegenüberstand. Zwei Kreismitglieder hatten mich in ihre Mitte genommen und zerdrückten mir dabei liebevoll meine Arme. Ich lächelte ihn freundlich an und wagte dann einen kurzen Blick in meine Umgebung, um meine Chancen abzuschätzen, während ich ihm entgegnete:
"Naja, du weißt ja wie das Sprichwort geht, man sieht sich immer zweimal im Leben"
Vier Kreismitglieder plus Elyssia und Tekin befanden sich in meinem unmittelbarem Umfeld. Das waren mindestens drei Leute zu viel, weshalb im Schnelldurchlauf alle Taktiken meinen Kopf durchströmten, mit denen ich diese Situation nun angehen könnte.
Vermutlich wäre ein gezieltes Entgegenarbeiten in diesem Moment unfassbar kontraproduktiv. Ich hatte wenig Vertrauen darin mich gegen alle sechs durchsetzen zu können, sodass ich mit einem blauen Auge fliehen könnte. Außerdem bestand die kleine Chance, dass ich mit einer augenscheinlichen Kooperation mir einen Vorteil herausarbeiten konnte. Valentin war zwar vorsichtig, aber kein Mensch war vor Gier sicher. Das war nun einmal in unserer evolutionsbiologischen Geschichte so verankert worden.
Nervös kaute ich der Innenseite meiner Lippe herum, während ich nun hinter Tekin zum Portal gezogen wurde.
"Du wirst es sicher mögen. Unser neues Quartier", hatte er mir grinsend versichert, bevor wir die letzten Schritte Richtung erneuter Gefangenschaft gegangen waren. Einen letzten Blick warf ich zurück auf Elyssia, die völlig entspannt nun mich anblickte, ihre Hand hob und mir zum Abschied zuwinkte.
"Bis später", sagte sie noch, bevor sie sich abwandte und Richtung Institut ging. In die Richtung der Sicherheit und Heimat meiner letzten Wochen. Ich unterdrückte mir einige Tränen, die sich unweigerlich an die Oberfläche kämpfen wollten und lies mich einfach mitziehen. Mein Plan würde schon irgendwie funktionieren. Er würde funktionieren müssen. Und wenn er es nicht tat, dann würde mich Valentin eben beseitigen müssen. Dass war ja ohnehin sein Plan.
"Averie. Da bist du ja endlich. Wir haben sehnsüchtig deiner Rückkehr entgegengefiebert", begrüßte mich Valentin sofort, nachdem wir das Portal verlassen hatten. Der Raum, in dem wir uns befanden, war unfassbar weitläufig und mit so einigen Waffen ausgestattet. Einen sehnsüchtigen Blick warf ich auf sie, bevor ich mich wieder auf meinen Plan zurückbesann. Für die Route des Kämpfens war es nun zu spät.
"Hallo, Valentin. Wenn ihr euch so sehr auf meine Rückkehr gefreut habt, wäre es doch angemessen, wenn ihr eurem ersehnten Gast nicht die Extremitäten abquetschen würdet", entgegnete ich freundlich lächelnd, obwohl ich sofort merkte, dass mein Ton und die Formulierung nicht unbedingt herzlich waren. Naja, irgendwo musste man ja anfangen und den Hass, den ich ihm gegenüber empfand löste sich leider nicht so einfach in Luft auf. Zumal ein zu freundliches Auftreten auch auffällig gewesen wäre. Ich war viel zu aufgewühlt und nervös für meinen Plan. Für den Außendienst als Shadowhunter war ich vollkommen ungeeignet.
"Natürlich", erklang Valentins freundliche Stimme, bevor ich spürte wie mir eine Spritze in den Oberarm gerammt wurde. Erschrocken zog ich schlagartig die Luft ein und wartete darauf, dass irgendeine Chemikalie nun meinen Körper in Besitz nehmen würde, allerdings stellte sich keinerlei Wirkung ein. Als ob ich mir das gerade bloß eingebildet hatte. Aber das hatte ich nicht, soviel wusste ich noch.
"Komm, lass mich dir dein neues Zuhause zeigen", lud er mich ein, wobei seine strahlend weißen Zähnen wieder zum Vorschein kamen. Der Druck um meine Oberarme wurde geringer, sodass ich mich aus dem Griff der beiden Kreismitglieder entfernen und Valentin folgen konnte. Er verließ den Raum, der mir gespenstig leer erschienen war und brachte mich einige Gänge entlang, einige Treppen hoch und runter, bis wir schließlich an einer weißen Tür angelangten. Als er sie öffnete, kam dahinter ein weiteres Kreismitglied zum Vorschein, das ich zuletzt an einem anderen Ort gewusst hatte.
"Hallo, Schätzchen. Na wie geht es dir?", begrüßte Alexander mich mit einem sarkastischen Lächeln, das mir ein unangenehmes Gefühl über den ganzen Körper jagte. Sofort kam mir auch seine Bemerkung wieder in den Kopf, die er von sich gegeben hatte, als Alec und ich ihn befragt hatten. Damals dachte ich nur, dass es Provokation war und ich sowieso sicher vor ihm sei, allerdings war ich mir da jetzt nicht mehr so sicher.
"Hallo", begrüßte ich ihn dennoch und versuchte dabei möglichst wenig meiner Angst durchklingen zu lassen. Allerdings schienen beide Männer sie dennoch zu spüren und ihr leises Lachen erfüllte den Raum.
"Keine Sorge, Alexander wird nur auf dich aufpassen und hat strenge Anweisungen dafür zu sorgen, dass es dir gut geht. Naja so weit wie das eben möglich ist", erklärte Valentin. Alexander und der andere waren also wirklich aus dem Institut ausgebrochen. Hoffentlich ging es Izzy, Jace, Clary und Alec gut. Hoffentlich gab es möglichst wenige, die ernsthaft verletzt worden waren.
"Du wirst dich jetzt etwas in das Bett legen und schlafen, damit wir morgen früh mit der Überprüfung deines bisherigen Lernstandes beginnen können und du uns dabei nicht gleich umfällst", erklärte Valentin und stieß mich in Richtung des Bettes, das an sich nicht allzu schlecht aussah. Obwohl ich lieber eine kleine Zelle ohne Matratze nehmen würde, wenn ich dafür nicht in der Nähe von Valentin und Alexander sein musste.
"Möchtest du vorher noch etwas essen?", erklang plötzlich Alexanders Stimme, die in mir sofort das ungute Gefühl verstärkte. Ich atmete tief durch, damit ich nicht einem Panik- oder Wutanfall zum Opfer fiel. Dann schüttelte ich bestimmt den Kopf und setzte mich auf das Bett. Meine Augen an die Wand neben den beiden gerichtet hörte ich, wie Valentin erneut sprach:
"Du bekommst gleich noch etwas zu essen, damit du noch Kraft tanken kannst. Iss es auch, damit wir es dir nicht anderweitig verabreichen müssen. Ich freue mich schon auf morgen. Es wird bestimmt toll zu sehen wie weit du schon gekommen bist. Was ich so von Alexander gehört habe, klingt schon einmal gar nicht ganz so schlecht, aber wir haben auch noch etwas an Arbeit vor uns. Also nutze jede Minute der Ruhe. Schlaf gut"
Sein Abgang bescherte mir erneut ein ungutes Gefühl, weshalb ich mich schnell versuchte abzulenken. Alexander und Valentin hatten glücklicherweise bereits das Zimmer verlassen, aber dennoch spürte ich ihre Präsens noch immer in diesem Zimmer herumwabern. Es würde nicht mehr lange dauern, dachte ich mir positive Gedanken, damit ich emotional nicht so schnell ausgelaugt war. Das funktionierte doch bei Kälte auch immer ganz gut, aber in diesem Moment, half mir der Gedanke noch nicht so wirklich.
Wenn meine Nachricht bei Alec und Izzy allerdings angekommen war, dann würden die beiden nicht so lange brauchen bis sie hier sein würden. Also hatte ich doch noch immer einen Lichtblick am Ende des Tunnels. An dieser Möglichkeit hing im Moment meine ganze Hoffnung. Mit der Hoffnung war es nur leider so eine Sache.
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Hunter
FanfictionAverie Clark ist eine 19-jährige Waise, die nach Brooklyn gezogen ist, um hier ihr Jurastudium zu absolvieren. Sie lebt für Gerechtigkeit und den Schutz für Opfer, da ihre Eltern in ihrem Kindesalter ermordet wurden. Jedoch wandelt sich ihr Leben sc...