(42) Work-Life-Balance

393 14 1
                                    

Erschöpft legte ich meinen Kopf auf meine aufgestützten Hände. Wir waren seit Stunden dabei und inzwischen war ich mir ziemlich sicher, dass ich eine Wahrheit von einer Lüge unterscheiden konnte, zumindest bei Alec. Aber dadurch konnte ich noch immer nicht lösen, ob die Wahrheit, auch die Wahrheit war oder eine geglaubte Lüge, die man als Wahrheit abgespeichert hatte. 

Ich nahm wahr, wie Alecs Hand sanft über meinen Rücken strich und er mir immer und immer wieder gut zuredete und mich bat, den restlichen Tag zu entspannen, aber ich hatte eben das nicht vor. Ich wollte nur einmal kurz durchatmen, bevor ich nach unten zu den beiden Kreismitgliedern ging und dann diese neue Fähigkeit auf sie anwenden konnte.

"Es ist schon spät. Lass uns etwas essen gehen", schlug er vor und ich stimmte zu, da sich mein Magen bereits gefühlt mehrfach um sich selbst gedreht hatte, um mich auf meinen Hunger aufmerksam zu machen. 

"Du guckst nicht so gerne Filme?", begann ich dann ein Gespräch, als wir uns gegenüber saßen und zu einer unüblichen Nachmittagszeit unser Essen einnahmen.

"Ich weiß nicht, ob es um gerne geht oder nicht, aber ich tue es selten, weil es einfach wichtigere Dinge gibt, die man zu machen hat. Und bei mehr als drei Filmen bin ich sowieso raus. Warum sollte man freiwillig so viel Zeit und Emotionalität in Charaktere investieren, die nicht einmal real sind", erklärte er, was mich etwas zum Schmunzeln brachte. Diese Aussage spiegelte einfach eins zu eins Alec wieder, wie ich ihn in den letzten Wochen kennengelernt hatte.

"Was müsste denn passieren, dass du so etwas machst?", fragte ich und sah ihn gespannt auf seine Antwort an.

"Ich würde sagen, wir beide sollten heute Abend einen Film gucken, damit du die Gedanken mal los bekommst von den beiden, die ihm Keller hocken", schlug er vor, was mich gleichermaßen überraschte und erfreute. Natürlich genoss ich seine Gesellschaft und die Tatsache, dass er nur um mich von meinen Gedanken zu befreien, bereit war etwas zu machen, was er eigentlich nicht mochte, freute mich umso mehr.

"Das klingt echt gut. Was schlägst du denn vor?", ergriff ich wieder das Wort, woraufhin er lediglich mich leicht lächelnd ansah und dann völlig ohne Sarkasmus oder Ironie in der sanften Stimme sagte:

"Was immer du möchtest"

"Ok. Abgemacht. Aber davor will ich noch einmal zu den beiden runter", murmelte ich laut vor mich hin und sorgte mich etwas vor seiner Reaktion. Ich wusste, dass er wegen mir viel auf sich nahm, aber gerade deshalb sollte sich sein Einsatz auch auszahlen. Er atmete nur leicht frustiert aus und sah mich erschöpft an:

"Das kann ich dir sicherlich nicht ausreden, oder?"

Ich haderte mit mir, aber ich wusste, dass ich es so oder so machen würde, weshalb ich lieber mit ihm ehrlich sein wollte. Ehrlichkeit, auch wenn sie manch einmal unangenehm war, zahlte sich auf die lange Sicht immer aus. Zumindest in einem Fall wie diesem.

"Es tut mir leid, Alec. Aber ich möchte es bitte versuchen", erklärte ich, woraufhin er meine Hand sanft ergriff und dann aufmunternd sagte:

"Dann versuchen wir es zusammen"

Wir aßen in Ruhe auf, bevor wir uns auf den Weg nach unten zu den Kreismitgliedern machten. Dort standen auch gerade Alecs Mutter und Jace, die vor den Zellen in ein Gespräch vertieft waren und überrascht auf unsere Präsens reagierten.

"Wie lief das Training?", erkundigte sich Jace sofort und wir konnten ihm von dem erfreulichen Ergebnis erzählen und während er uns aufmerksam zuhörte, spürte ich wie Alecs Mutter mich grillte mit ihrem Blick. Das war mir aber überraschenderweise ziemlich egal.

"Und wie nah seit ihr an des Rätsels Lösung gekommen?", wollte ich stattdessen wissen, allerdings musste uns Jace auf morgen vertrösten. Er verschwand dann leicht grinsend mit Alecs Mutter und überließ uns den Keller mit den beiden Kreismitgliedern.

"Am besten stellen wir erst einmal Fragen, die einfach zu beantworten sind, sodass ich gucken kann, ob sich ihre Gedanken verhalten wie deine", schlug ich vor und übergab dann Alec die Redeführung, während wir es uns vor der ersten Zelle gemütlich machten und ich mein Ventil öffnete, um bereit zu sein.

"Wie heißt du?", schallte Alecs kalte Stimme durch den Keller, die sogar mir das Blut in den Adern gefrierte. Ich wusste, dass er am Anfang auch mit mir so gesprochen hatte, aber seine Stimme nun so zu hören, war dennoch wie eine ganz neue Erfahrung für mich.

Das Kreismitglied hatte seinen Blick auf mich gerichtet und grinste breit. Als Alec die Frage wiederholte, ließ er seine Augen nur kurz von mir zu Alec schweifen, bevor er sagte:

"Alexander"

Alexander

Die Buchstaben schwebten hell blau leuchtend auf seiner ersten Ebene und ich spürte wie Alec meinen Blick suchte, um zu wissen, ob er die Wahrheit gesagt hatte oder nicht. Der Name hatte ihn schließlich ebenso verwirrt wie mich.

"Wird Valentin sterben?", fragte er ihn, um eine emotionalere Antwort zu bekommen, die hoffentlich die Intensität des Leuchtens der Buchstaben beeinflusste. Und diese Theorie bestätigte sich, da seine Gedanken sofort hell leuchteten.

Dieser kleine Shadowhunter hat wirklich Mut so einen Müll aus seinem Mund kommen zu lassen

Er antwortete allerdings nicht, sah mich grinsend an und sagte:

"Ich frag mich schon lange, ob du wohl noch mehr kannst als nur Gedanken lesen. Also du weißt schon", er machte eine kurze Pause und ließ seinen Blick über meinen Körper schweifen, was mir ein unfassbar unangenehmes Gefühl bereitete. Er fuhr allerdings unbeirrt fort:

"Wobei es bestimmt auch gut ist, wenn du einem jedem Wunsch von der Schädeldecke lesen kannst, wenn man mal keine Luft hat,...weil es einfach zu heiß ist. Wenn ich hier raus bin, würde ich es gerne mal ausprobieren"

"Du wirst sie nicht anrühren", brüllte ihm Alec entgegen, der mich hinter sich gezogen hatte und seinen Namensvetter mit Feuer spuckenden Augen niederstarrte. Seine ganzen Muskeln waren bis ins Zerreißen angespannt und ich versuchte sie etwas zu entspannen, indem ich mit meinen Händen, nach seiner Hand griff.

"Alec, er kann hier drin nichts machen", flüsterte ich ihm ruhig zu, um ihm etwas die Wut zu nehmen.

"Allein den Gedanken daran sollte man ihm austreiben", zischte er angespannt zwischen seinen Zähnen hevor und schien sich trotz meiner Versuche nicht ein Stück zu entspannen, weshalb ich mich schließlich vor ihn drängte und mit meinen Händen seine Wangen umfasste, damit er mich ansah.

"Alec, hey, er kann mir nichts tun. Lass uns gehen. Bitte, Alec"

Seine Augen blickten auf mich herab und zeigten wie emotional er neben der Wut gewesen war. Seine ganze Emotionalität hatte in blanker Wut resultiert und ich war froh, dass er nun nicht noch in die Zelle rannte, um Alexander für seine Aussage zu verprügeln, sondern mich stattdessen in eine feste Umarmung zog.

"Ich weiß. Und ich weiß auch, dass du dich allemal gegen ihn verteidigen kannst, aber ich werde trotzdem auf dich aufpassen", murmelte er mir zu, während seine Arme sich beschützend um mich gelegt hatten, bevor wir beide uns schließlich auf den Weg in mein Zimmer machten und dort einen Film einlegten. 

Ich hatte ihm einige Filme vorgestellt und ihm schließlich die Wahl überlassen, welcher es schlussendlich werden sollte. Dann legten wir uns zusammen auf mein Bett, er auf der zur Tür gewandten Seite, weil er offenbar noch immer Angst vor Alexanders leeren Worten hatte. Er ließ mich den ganzen Abend nicht aus den Augen und ich genoss seine Nähe. Allerdings waren wir beiden viel zu erschöpft von dem langen, anstrengenden Tag, sodass wir noch lange vor dem Ende des Filmes bereits ins Traumreich reisten. Zum ersten Mal gemeinsam Arm in Arm. Wie kitschig.

HunterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt