73 - Wunder

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Damla
Sie sagten, es sei ein Wunder.
Dass ich ohne einem Gedächtnisverlust, oder weiteren Schäden am Leben bleiben konnte, wäre ein Wunder. Ein starker Mensch sei ich.
Den Sturz ins stürmische Meer überlebte ich mit Prellungen und einer Platzwunde.
Aus einem unerklärlichen Grund verspürte ich keine Gefühle in mir. Weder Angst, noch Trauer. Ich fühlte nur eine große Leere in mir, die darauf wartete mit gemischten Gefühlen gefüllt zu werden.
Alles fühlte sich unreal an. Die Realität fühlte sich wie ein Film an. Mein Leben wendete sich um 180 Grad und ich die Oberhand übergab ich an andere. Mein Schicksal wurde gelenkt von einem Kampf zwischen zwei verfeindeten Clanen.

Jedes Zentimeter meines Körpers erlitt an Schmerzen. Mein Körper fühlte sich dermaßen brüchig und kraftlos an, als ob man mir die Seele vom Leibe gerissen hätte.
Selbst die kleinste Bewegung kostete mich enorm viel Kraft. Ich wusste nicht, ob ich leben oder sterben wollte. Der Tod fand mich nicht, egal wie nah er mir kam.
Mein chaotisches Leben wollte mich nicht loslassen. Mein Leben voller Leid, Kummer, Fehler und Gefahren, klammerte sich mit aller Kraft an mich. Ich wollte aufgeben und alles liegen lassen.
Fliehen wollte ich. Aus dieser grauen Stadt. Vor meinem Schicksal. Vor den verdunkelten Seelen, die an mir klebten. Denn ich wusste, dass sie mich wie ein Fluch verfolgten. Ein Vogel im Käfig war ich.

In einem unbekannten Zimmer öffnete ich meine Augen, die eine Woche lang verschlossen blieben. Eine Woche verbrachte ich bewusstlos auf der Intensivstation. Hier wäre ich in Schutz, hieß es. War es so weit gekommen, dass man mich in eine hochsichere Unterkunft bringen musste? Wer war ich überhaupt? Eine junge Studentin, die nichts getan hatte, außer einem Kriminellen gedient zu haben. Und der Preis kostete mich Kopf und Kragen. Was lernten wir aus der Geschichte?
Lass dich weder auf Kriminelle ein, noch auf Menschen, die selbst mit Feuer spielen. Nun war ich diejenige im Feuer und brannte zu Asche nieder. Tag für Tag stahlen sie einen weiteren Teil meines harmlosen Lebens.
Eine Entführung überlebte ich. Durch die Hölle ging ich. Wofür? Aufgrund Devrans offenen Rechnungen.

Devran - der Mann, der mein Leben durcheinanderbrachte. Der meinen Verstand von mir nahm. Er war der Unruhestifter meines Lebens. Und trotzdem trennte uns das Leben nicht. Ganz im Gegenteil, befand ich mich mit ihm unter demselben Dach. Die Atahans mussten bei mir sein, um meine Sicherheit gewährleisten zu können. Sie waren barmherziger als ich dachte. Immerhin beschützten sie das Leben einer Damla, die keinerlei Nutzen für die Familie erwies.
Langsam verlor ich die Hoffnung auf das Gute. Ich hatte keinerlei Schimmer, wie das Leben weitergehen würde und die Ungewissheit zerfraß mich.
Ich wollte endlich frei sein. Aber die Freiheit war mir fern, wie nichts anderes auf der Welt.

Meine blicke verloren sich ich in die Ferne, als es an der Tür klopfte. Mich von der Aussicht wendend verfolgte ich die Gestalt, die reintrat.
Devran Atahan.
Ich wollte allein sein. Am liebsten wollte ich zehn Stunden lang ungestört heulen. Doch selbst die Kraft zum Weinen fehlte mir.
Die Luft im Raum wurde spürbar dicker. Für einen Moment blieb Devran stehen und richtete seine Aufmerksamkeit auf mich. Was ihn durch den Kopf ging, konnte ich mir ausdenken. Er wollte sich entschuldigen.
Stumm nahm er am gegenüber stehenden Stuhl Platz. Unruhe zeichnete sein erschöpftes Gesicht aus. Augenkontakt vermied er. Einige Sekunden blieb es still im Raum. So viele Gedanken mir auch durch den Kopf gingen, wollte ich nicht das erste Wort geben. Devran schien genauso planlos zu sein.

„Noch nie hatte ich so sehr Angst in meinem Leben.", klang seine ruhige raue Stimme in meinen Ohren.
„Ein Leben lang setzte ich Angst mit, Angst um sein eigenes Leben zu haben zusammen. Aber dann verstand ich, dass Angst eigentlich die Angst ist, die man um andere Menschen hat.", erhob er den Kopf.
Das dunkelbraun in seinen Augen wirkte finster.
Keiner sprach. Devran wartete auf meine Worte, nahm ich an. Er hatte Todesangst um mich. Das hörte ich aus seiner Stimmlage raus, bemerkte ich an seiner Haltung.
„Kaum zu fassen, aber heute bin ich noch am Leben...", kamen die Worte aus mir raus. Wie Puzzleteile setzten sich die fehlenden Momente in meinem Kopf zusammen. Devran tauchte am Treffpunkt auf, allerdings mit einer Minute Verspätung. Als vermeintliche Strafe, wurde ich die Klippe runtergeschubst.
„Wärst du jetzt nicht am Leben Damla, dann hätte ich mir ein Leben lang nicht verziehen."

Die Wunde der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt