41 - Realität

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Ich will Demir mit dir suchen, hallten Damlas Worte in meinem Worte. Ich hatte damit gerechnet, dass sie sich von mir lösen würde, weil das immer ihr Wunsch war. Wie oft hatte sie es erwähnt, mich loswerden zu wollen? Zu oft. Aber dieses Mal hielt Damla etwas anderes an mir. Nicht unser Deal, sondern Demirs Suche. Kaum zu fassen, aber sie hatte sich freiwillig dazu entschieden. Keine Bestechung lag mehr vor, es war ihre freie Entscheidung gewesen.
Eine Seite in mir wollte, dass Damla blieb. Eine andere Seite wusste, dass es besser wäre, wenn wir abschließen würden. Welche Seite stärker war, wusste ich nicht, doch ich wusste, dass nun ein langer Weg vor uns stand.
Eine Stille herrschte wischen uns, die sich gar nicht falsch anfühlte.

„Was hat dich dazu geführt, meine Hilfe anzunehmen?", fragte ich Damla.
„Nichts ist mir im Leben wichtiger, als mein Bruder. Für ihn würde ich meine Hand ins Feuer legen, weil ich ohne seine Unterstützung jetzt nicht hier wäre, sonder unter'm Grab.", gab sie überzeugt von sich. Dieses Mädchen würde sogar für ihre liebsten töten.
Noch nie hatte ich so eine Geschwisterliebe gesehen. Damla liebte ihr Bruder mehr als alles.
„Mit der Zeit habe ich dich immer mehr entziffert. Weißt du, welche Art von Mensch zu bist?"
„Wie bin ich denn?", kreuzte sie die Arme aufeinander.
„Du siehst äußerlich zierlich und harmlos aus. Ich bin ehrlich, als ich dich das erste Mal sah, dachte ich mir, wie du hacken konntest. Du hast so einen unschuldigen Gesichtsausdruck... aber in dir steckt ein Kämpfer drin. Ein Krieger, der auch töten würde. Deine Schwachstellen machen dich blind, du musst aufpassen. Nicht, dass du den falschen Krieg anzettelst.", machte ich sie aufmerksam. Rasch warf sie Braue in die Höhe.
„Steckt das nicht in jedem? In jeder Person steckt ein Krieger fest. Wie sollten wir sonst durch das Leben gehen? Jeder hat einen Krieger und ein Engel in sich. Wichtig ist, welche Seite du erweckst.", sprach Damla selbstsicher die weisen Worte aus und drehte sich der Aussicht. Da hatte sie Recht. In jeden von uns steckte ein Krieger und ein Engel.

„Welche Seite wiegt schwerer bei dir?"
Die Frage traf sie unerwartet, dass sie sich mir abrupt drehte.
„Was denkst du?", fragte sie provokant und grinste. Jetzt brachte sie mich in Verlegenheit.
Gespannt wartete sie auf meine Antwort. Nachdenklich fuhr ich über mein Dreitagebart.
„Ich... weiß nicht. Beide Seiten habe ich schon gesehen. Den mutigen angstlosen Krieger und den gutherzigen Engel. Aber ich denke der Engel in dir ist schwerwiegender, weil du sonst problemlos Waffen in der Hand halten könntest."
„Du hast mich gerade indirekt Engel genannt.", warf sie lachend vor.
„Damla. Mach keine Späße mit mir.", gab ich in einem mahnenden Ton von mir. Wie hatte sie mich wieder völlig außer Konzept gebracht? Damla wollte mir nur auf die Nerven gehen und ich sollte mich nicht auf sie einlassen.

„Das merke ich mir Devran... Bist du dann der Krieger? Du kannst Waffen wie Stifte in deiner Hand halten."
„Ich schreibe Geschichten mit meinen
Waffen.", antwortete ich.
„Ohh, der Poet in dir wird erweckt.", überraschte Damla sich. Ich lachte auf.
„Ich bin kein Poet. Mir ist nur etwas Gelesenes im Kopf geblieben.", behauptete ich, obwohl ich den Spruch selbst einmal aufgeschrieben hatte. Aber von meiner poetischen Seite musste keiner wissen. Damla erst recht nicht. Sie würde immer verborgen bleiben.
„Eine Stimme in mir sagt, dass ich mit meinen Gedanken nicht ganz falsch liege.", sicherte sie.

Woher wusste sie das?
Eine Panik überkam mich. Das Gespräch war zu weit gegangen. Umso länger wir uns unterhielten, umso mehr entzifferte sie mich. Das wollte ich nicht. Ich wollte nicht wie ein offenes Buch gelesen werden. Wir arbeiteten nur zusammen und Aufrichtigkeit brauchten wir nicht. Wir brauchten eher Distanz.
„Denke über mich, was du willst. Juckt mich nicht.", beendete ich das Thema und drehte mich um. Hustend ging ich in mein Zimmer.
„Alles okay?", fragte Damla nach.
„Ja."
„Vielleicht sollt du weniger Rauchen.", näherte sie sich mir.
„Bist du jetzt meine Ärztin, oder was?", blickte ich zu ihr. Genervt schaute sie mich beim Vorbeigehen an.

Die Wunde der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt