77 - die letzte Warnung

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Devran
Dringender Schlaf war das, wonach ich mich sehnte. Nach einem kritischen Meeting im Verbund durfte ich mich auf den Nachhauseweg machen. Mein Kopf fühlte sich ausgelaugt an.
Den Wagen ließ ich in der Garage ab und gelang durch den Hintereingang in das Haus.
Serkan, der heute Damla begleitet hatte, teilte mit, dass es zu einem Streit mit ihrer Mutter kam und Damla seitdem nicht aus ihrem Zimmer kam.
Obwohl mein Kopf schon dröhnte, wollte mit ihr reden. Eine Stimme in mir, war der festen Überzeugung, dass sie mich brauchte.

Auf mein Klopfen gab es keine Reaktion. Ich erwähnte Damlas Namen, aber es blieb kommentarlos. Also blieb mir nichts anderes übrig als reinzustürmen.
„Damla!", rief ich rein, aber weit und breit war keine Damla zu sehen. Im Badezimmer war es leer. Die Balkontür stand offen, aber auf dem Balkon war keiner. Wo konnte sie nur sein? Auf einmal fielen mir grausame Szenen ein. Sofort ging ich auf den Balkon und blickte runter. Eine Erleichterung fand mich, als ich keine Person, die Selbstmord begangen hatte auf dem Boden sah. Wieso auch immer, kam mir der Gedanke in den Sinn. Bei Damla wusste man es nie. Wo war sie nur?
„Damla!", schrie ich. Spielte sie Verstecke mit mir?
Durch die Tür trat im nächsten Moment eine Gestalt herein. Damla.
„Wo bist du gewesen?", schimpfte ich beinahe.
„Sei ruhig. Darf man sich nicht aus der Küche Kopfschmerztabletten holen?", überrumpelte sie meine Besorgnis. Sie sah total verweint aus. Schlimmer als ich dachte.

„Hab gehört, dass es zwischen dir und deiner Mutter geknallt hat."
„Ja. Anders hätte man es auch nicht erwartet.", ging sie an mir vorbei und trank das Glas Wasser in einem Zug runter. Während ich darauf wartete, dass sie auf den Streit einging, schwieg sie und blickte mich verwirrt an.
„War's das? Kannst du mich allein lassen?", wollte sie ihre Ruhe. Ihre Wut stand nach wie vor aufrecht. Sie war wütend auf sich selbst, auf ihre Mutter, mich und vor allem auf das Leben. Und so einfach würde ihre Frust auch nicht verschwinden.
„Ich kenne diese Blicke... Etwas zerfrisst dich.", durchschaute ich sie. Ihre Augen fanden meine. Das Grün wirkte nicht mehr lebensfroh - sie war einfach müde. Zu Beginn war dieses Mädchen zielstrebig und angstlos. Nun hatte ich eine hoffnungslose Damla aus ihr verformt und die Last erdrückte jede meiner Faser...

„Was ist dein Ziel Devran? Ich bin müde.", trat sie näher und erhob den Kinn zu mir.
„Mir geht es auch nicht besser. Aber ich will hören, was dich zerfrisst. Tu dir das nicht an. Ich habe jahrelang geschwiegen, bis ich das Reden verlernte. Ich will nicht, dass du die Ungerechtigkeit dir antust... Ich will die alte Damla vor mir, die mir in die Augen blickte und Hoffnung geben konnte.", wiedergab ich die Stimme meines Herzens.
„Die alte Damla, ha? Das kannst du vergessen Devran. Du hast sie vernichtet.", machte sie mir Vorwürfe und drehte sich die Tränen wischend um.
Ihr Verhalten verletzte mich nur mehr.
„Damla?", folgte ich ihr auf den Balkon.
„Geh bitte!"
Nachdem ich sie unter Tränen sah, auf keinem Fall.
„Komm her.", packte ich sie ohne länger zu warten am Arm und zog sie in eine Umarmung. Ich handelte impulsiv und nicht bedacht. Meine Gefühle kontrollierten mich. Wehrlos begab sich Damla meiner Umarmung. Bei jedem Schluchzer zitterte ihr Körper.
„Warum kannst du mich nicht allein lassen?", suchte sie Antworten auf mein fragliches Verhalten. Stumm festigten sich meine Blicke in der Ferne. Eine konkrete Antwort konnte ich nicht geben.
„Warum mussten wir uns begegnen?", fragte sie mich weiterhin aus und versuchte mich loszuwerden, aber ich ließ nicht locker. Die Ruhe sprach, wir hörten zu.

„Ich will, dass du aufhörst zu weinen.", kam ich zu Wort.
„Meine Seele brennt!", schluchzte Damla.
„Ich kann dir nicht sagen, wann der Schmerz vergeht. Aber sei dir gewiss, dass ich für dich da bin.", versprach ich.
„Versprich mir nichts mehr."
„Erst, wenn du mir sagst, was dir Kummer verbreitet, werde ich gehen."
Ruhe tauchte auf. Meine Sturheit war jedem bekannt.
„Heute habe ich erfahren, dass ich ein unerwünschtes Kind war Devran... meine Eltern haben sich nie geliebt. Sie wollten sich trennen, aber ich kam auf die Welt.", kamen die Worte zögerlich aus ihr heraus. Aufmerksam widmete ich mich ihr.
„Mein Vater hat immerhin versucht, mir eine schöne Kindheit zu geben. Seine Liebe war echt... Ich wollte immer glückliche Eltern haben... Liebten sich deine Eltern?"
„Und wie... Ihre Liebe war zu groß für diese Welt."
„Weißt du, was wahre Liebe ist? Ich glaube, ich kenne es nicht."
„Wer weiß...", antwortete ich nur. Weitere Fragen stellte sie mir nicht.

Die Wunde der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt