Was würde sie über mich denken, wenn wir uns begegnen würden? Hatte ich noch das Recht sie zu sehen?
„Sie, ist nicht da, ist früh gegangen.", richtete Taner aus.
„Wie geht es ihr? Öykü...", fragte ich und erwähnte ihren Namen nach Jahren.
„Wie sollte es ihr gehen?", stellte Taner eine rhetorische Frage. Sie war vereinsamt, das wusste ich. Auch, wenn ihre Familie hinter ihr stand - ich hatte sie gelassen.
Sie fühlte sich im Stich gelassen. Würde mich Öykü sehen wollen? Ich hatte sie so vermisst...Mir fielen immer wieder Abschnitte aus meiner Vergangenheit ein, als wir uns der Küche näherten. Der Tag, an dem wir mein Geburtstag gefeiert hatten, oder ich mit Taner im Garten Fußball gespielt hatte...
„Du bist sicherlich hungrig.", hörte ich meine Tante, als wir die Küche betraten. Ja, könnte man sagen. Dass ich hungrig war, hatte ich erst bemerkt, als meine Tante das erwähnt hatte.
„Da bist du ja! Willkommen zurück Devran!", empfing mich Taners Mutter, als sie mich zu Gesicht bekam.
„Ich bin so erfreut, dass du gekommen bist!", fügte sie hinzu und umarmte mich.
„Wir haben dich vermisst!", sagte sie und löste sich von mir.
„Ich dich auch Tante Sevim."
Sie hatte nie Taner von mir unterschieden. Für sie waren wir wie Brüder und sie hatte um mich wie eine Mutter gesorgt.Meine Tante bereitete uns schnell etwas zum Essen vor. Taner und ich nahmen am Esstisch Platz. Während ich mich umschaute, stach mir ein Bild ins Auge. Ein Familienfoto, als wir grillen waren.
Meine Großeltern saßen in der Mitte des Bildes. Rechts standen meine Eltern und mein Onkel Kadir mit seiner Frau. Links mein Onkel Mahir mit seiner Frau und meine Tante Asiye mit ihrem Mann. Mit meinen Cousins und Cousinen saß ich auf dem Rasen.Nachdem meine Tante uns die Teller servierte, fingen wir mit dem essen an.
Nach dem Tod meines Vaters hatte ich mir keinen Schritt in die Wohnung getraut. Ich blieb lange Jahre bei meinem Onkel Kadir und ging dann mit 19 aus dieser Stadt weg.
„Deine Wiederkehr hat uns alle überrascht... Was hat dich dazu gebracht zurückzukehren?", fragte Taner. Kurz hielt ich inne und dachte nach, wie ich antworten sollte. Der Brief meines Onkels führte eigentlich dazu, einen Neustart zu versuchen. Vom Brief wollte ich aber auf erster Linie nicht berichten. Es war ein Geheimnis zwischen uns.
„Ich habe mein altes Leben vermisst. Viele Jahre war ich einsam und habe bemerkt, wie sehr ihr mir gefehlt habt. Ich möchte alles, was ich verloren habe wieder zurück.", fing ich an zu erzählen. Das stimmte auch.
„Devran, ich hoffe, du bist nicht nur wegen einem Grund gekommen. Du willst dich rächen, stimmt's? Denke ja nicht es zu verleugnen, denn ich kenne dich zu gut!"
Ja, Taner kannte mich wirklich gut. Ich konnte es nicht verleugnen. Das wollte ich auch nicht. Ich möchte mich rächen...
„Erinnerst du dich noch, wie zwei Typen uns zusammengeschlagen hatten?", fragte er auf einmal. Natürlich erinnerte ich mich daran. Meine Mundwinkel erhoben sich.
„Das waren eifersüchtige Jungs aus der Nachbarschaft.", erinnerte ich mich. Nachdem es Streitigkeiten mit einer Gruppe wegen einem Fußballfeld gab, entschieden wir den Streit mit einem Spiel zu schlichten. Wer gewann, durfte auf dem Fußballfeld spielen. Als unsere Gruppe am Ende gewann, haben sie uns aus Wut zusammengeschlagen.
„Ja, du hast sie zwei Wochen lang verfolgt und sie am Ende mit deinen Freunden verprügelt.", erinnerte sich Taner und lachte.
„Du liebst Rache...", meinte er daraufhin.
„Ich lebe für meine Rache."
Das klang armselig. Hatte ich keinen einen anderen Grund zum Leben?"Wo sind Hakan und Ender? Was sind aus meinen besten Freunden geworden?", änderte ich abrupt das Thema.
„Ihnen geht es gut, ich sehe sie ab und zu in der Stadt. Aber mehr weiß ich auch nicht."
Ich möchte mich unbedingt mit ihnen treffen. Wir waren eine unzertrennliche Gruppe, bis ich ging.
„Was hast du eigentlich in den letzten vier Jahren gemacht?", fragte Taner etwas später.
Das war eine gute Frage.
„Ich habe versucht die Trauer in mir zu verarbeiten. Irgendwann habe angefangen professionell zu Boxen. Mal gab es Nächte, an denen ich geweint habe, mal habe ich leer in den Himmel geguckt. Am Ende bin ich stärker geworden, habe mein altes Ich in der Vergangenheit gelassen... Aber jetzt bin ich endgültig zurück. Devran Atahan ist zurück..."
Aufmerksam hatte er mir zugehört.
„Willkommen Devran! Du hast das Richtige getan.", kam er zu Wort und klopfte mir überzeugt auf die Schulter. Ich hoffte, dass ich das Richtige tat...
„Wo ist Sefa? Ist er nicht da?", fragte ich nach meinem Cousin und weichte wieder vom Thema ab.
„Er war vor einer Stunde kurz da."
„Und Irem?"
„Sie muss hier irgendwo sein ..."
Taners Schwester hatte mich immer sehr gemocht, sie war wie eine Schwester für mich.
In dem Moment betrat jemand die Küche.
„Devran?", hörte ich im nächsten Moment eine bekannte Stimme. Das konnte nur Irem sein.
„Irem? Man, du hast dich so verändert!", fiel mir auf. Herzlich umarmte sie mich.
„Bist du etwa zurück gekommen?", freute sie sich tränenerfüllt.
„Ja Irem! Ich bin zurück!"
„Ich dachte du kommst nie wieder mehr! Ich habe dich so vermisst!", teile sie überglücklich mit und wischte die Tränen weg.
Sie schaute mich von oben bis unten an.
„Ich habe dich zuerst nicht erkannt!", meinte sie.
"Du bist auch groß geworden Kleine!"
„Kleine? Ich dachte die Zeiten seien um!", ärgerte sie sich. Sie hasste es, wenn ich sie Kleine nannte. Die Kleine müsste mittlerweile 21 sein.
„Dann sind wir schnell an unsere alten Tage gekehrt!", meinte Taner lachend. Ja, so fühlte es sich an.
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Die Wunde der Vergangenheit
Mystery / ThrillerIm nächsten Moment wurde ich ruckartig nach hinten gezogen und prallte gegen die harte Brust vom Unbekannten. Die Zeit schien wieder geblieben zu sein. Wie mein Herzschlag. „Ich weiß zwar nicht wer du bist... doch ich werde dich finden!", hörte ic...