99 - Demir Bayraktar

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(Bevor ihr lest: was denkt ihr, wer die Person auf dem Bild ist, die auf der Intensivstation liegt?)



Die Kalender zeigten den 17. November an.
Über 360 Tage waren vergangen. Tage, voller Sehnsucht und Kummer. Tage, ohne meinen Bruder. Wie schnell die Zeit vergangen war, konnte ich mir nicht erklären.
Als ob es gestern war, erinnerte ich mich an die stürmische Nacht, in der mein Bruder verschwand. Dieser Tag änderte mein Leben und schrieb mein Schicksal von neu.

Seit dem 2. Dezember trug ich eine weitere Narbe in meinem Herzen, das schon zerbrochen war.
Irgendwann gewöhnt man sich an die Lücken im Inneren. Man gewöhnt sich an die Leere. Aber man vergisst sie nicht.
Ich habe dich nie vergessen Demir und wenn ich dich heute Abend sehe, werde ich dich so fest umarmen, dass du keine Luft mehr bekommst! Was, wenn ich Demir heute Abend nicht sehen kann?, ging mir immer wieder durch den Kopf. Aber ich vertraute den Behörden und wusste, dass sie die Mission voller Sorgfalt abschließen würden.

Ich schloss die Augen und atmete tief durch.
Die Nervosität fraß mich auf.
Den Weg betrat ich, um Demir zu finden. Doch stattdessen fand ich meinen Lebensgefährten. Tag zu Tag band er mich immer mehr an sich. Tag zu Tag wurde ich immer mehr Teil seiner Welt. Und heute gab es nicht mehr seine und meine Welt, sondern unsere.
Auch wenn der Anfang nicht einfach gewesen war, befand ich mich an einem Ort, an dem ich mich zugehörig fühlte. Dieser Ort war der sicherste und unsicherste zugleich. Mich unter Devrans Flügeln zu befinden, war das beste und gefährlichste, das mir passieren konnte...

Nachdem ich allein aufwachte und Devran nicht erreichen konnte, machte ich mich auf den Weg nach Avcılar. Ich wollte Devran sehen. Denn ihn zu sehen, gab mir Kraft.
Im Unternehmen bog ich direkt zu Devrans Büro ab. Auf mein Klopfen folgte keine Antwort also platzte ich rein.
Doch Devran war nicht wie erwartet allein. Das Lächeln auf meinem Gesicht verschwand im Sekundentakt als ich die Gruppe um den Schreibtisch erblickte. Ein Mann, der offenbar der Boss war und seine Hintermänner standen im Raum. Die Köpfe drehten sich rasch zu mir.

Devrans kalter Blick ließ mich erschaudern. Worüber sie sich auch unterhielten, es gefiel ihm nicht. Sofort wurde es mir mulmig im Magen. Wer waren diese Männer und was suchten sie hier?
„Tut mir Leid für die Störung, ich-"
„Schon okay.", sprach Devran dazwischen und setzte sich in Bewegung. Der scheinbare Mafiaboss ließ die Augen über mich schweifen. Die nebenstehenden Männer genauso. Sie hinterließen mir keinen verlässlichen Eindruck und außerdem wollte ich nicht als ein Laufstegmodel wahrgenommen werden.

Devran packte mich grob am Armgelenk und führte mich schleunigst raus. Stumm folgte ich ihm. Was war bloß mit Devran los? Seine hastigen Schritte brachten uns in einen Nebenraum.
„Was machst du?", suchte ich seinen Blick und zog meinen Arm weg.
„Was machst denn du Damla? Wenn ich unerreichbar bin, wird es auch einen Grund haben!", ging er auf mich los. Devran glich einem Vulkan vor dem Platzen. Wie verrückt war er angelaufen. Seine Wut war nicht gegenüber mir, sondern den Besuchern.

„Beruhigst du dich mal bitte? Wer waren die Männer?", versuchte ich Devran zu besänftigen und legte meine Hände auf seine Brust. Vergeblich, nichts konnte ihn beruhigen.
„Nein Damla! Nicht, während du und der Bastard unter dem selben Dach seid! Du darfst mich nicht einfach besuchen kommen!", wurde er immer wütender und nahm meine Hände runter.
In dem Moment erkannte ich, dass seine Knöchel rot-lila angelaufen waren. Seine Hiebe waren aufgeschürft. An seinem Hemd erkannte ich feinste Blutstropfen. Das waren die Spuren einer Schlägerei!

„W-was hast du gemacht?", deutete ich schockiert auf seine Hiebe und sah mir die Wunde näher an.
Anstatt mir zu antworten, wich Devran meinen Blicken aus. Auf Tackt begann mein Herz schneller zu schlagen. Etwas lief gewaltig schief!
„Nichts", gab dieser trocken von sich und wollte seine Hand wegziehen, doch ich leistete Widerstand.
„Ich muss gehen!", blickte mich Devran an. Seine Anspannung übertrug sich regelrecht auf mich. Ich litt mit Devran. Das war der unpassendste Moment, ihn gehen zu lassen.

Die Wunde der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt