70 - Unschuld

2K 94 25
                                    

Auch wie sehr mich die Unterstützung meiner Geschwister stärkte, hatte ich das Bedürfnis allein zu sein. In meiner Einsamkeit wollte ich mich fallen lassen. Die Nacht würde mich auffangen. Bis in den Morgen würde der Schlaf vor mir fliehen. Selbst danach könnte ich nicht schlafen. Die Ruhe würde mich nicht finden, bis ich Damla nicht finden würde.
Ich konnte nicht still stehen, doch was ich machen sollte, wusste ich weniger. Ich befand mich in einer Sackgasse.
Mein Kopf dröhnte und sehnte sich nach Schlaf. Aber meine Gedanken gab mir keine Ruhe.

„Wer ist sie?", hörte ich Öyküs neugierige Stimme. Damit meinte sie Damla.
„Meine Komplizin.", vergewisserte ich.
Ihre Braue zogen sich zusammen, als ob sie mich nicht richtig gehört hätte. Verwirrung zeichnete ihr Gesicht aus.
„Wieso?"
„Yaman soll's dir erzählen.", stand ich auf. Ich war nicht in der Lage eine Fragerunde zu beantworten.
„Devran. Ich will nur eins wissen.", hielt sie mich am Arm zurück.
„Was?", drehte ich mich gekränkt zu ihr.
„Wieso hast du das gemacht?"

Konnte ich mir die Frage selbst beantworten? Es war meine eigene Dummheit gewesen. Geblendet von meiner Rachsucht, zwang ich Damla auf eine Zusammenarbeit. Den Roten Faden über mein Leben verlor ich bereits vor langer Zeit.
„Es hat sich so ergeben.", antwortete ich.
„Öykü lass ihn lieber ausruhen. Heute war es für ihn bestimmt anstrengend genug.", griff Yaman zwischen uns ein.
„Ich mache mir Sorgen um dich Devran!", teilte Öykü mit.
„Keiner soll sich Sorgen um mich machen!"
Ihre Besorgnis war nicht zu übersehen.
„Deine Komplizin wurde entführt. Wie soll ich still bleiben? Ich versetze mich in ihre Lage und-", stockte sie.
„Und es muss grausam sein! Daher müssen wir doch irgendwas tun können."

Ich wusste, dass es grausam war. Und, dass ich nichts dagegen machen konnte, ließ mich wie ein Schwächling fühlen. Weder, wo ich anfangen sollte zu suchen, noch was ich machen könnte, wusste ich. Ich hatte keinen blassen Schimmer. Alles kam mir zu viel! Das Denken raubte mir die Kräfte.
„Sag mir, was ich machen soll Öykü und ich werde es machen!", funkelte ich sie an. Erschrocken von meiner überspitzen Reaktion wich sie zurück. Mit Yaman tauschte sie verwirrte Blickte aus.
„Ich würde dir zwar sagen, dass du zuerst zu Ruhe kommen sollst, aber das sieht unmöglich aus. Also versuche mindestens logisch zu denken. Wen bist du auf die Quere gekommen? Wer könnte sie entführt haben? Was habt ihr gemacht Devran?"
Seufzend schloss ich die Augen zu und lief im Kreis.
Am Tisch stützte ich mich letztendlich ab.
„Wir haben eine Übergabe überfallen. Aber alles lief problemlos. Keiner bekam davon mit."
„Vielleicht kommt es dir so vor, aber du hast dich unbewusst verraten. Kann das möglich sein?", fragte Öykü.
„Ich weiß es nicht..."
Scheiße! Wenn das der Fall ist, ist Damla in Bahtiyars Händen.

„Der Täter muss dich verfolgt haben, weil er sonst nicht an Damla kommen würde.", meinte Yaman.
In tiefe Gedanken verfiel ich. Unsere letzten Missionen durchging ich. Wir haben sauber genug gearbeitet. Entweder gab es wirklich einen unsichtbaren Augenzeugen, oder jemand aus dem Team hat mich verraten.
„Der Fall ist äußerst kompliziert. Danke für eure Hilfen, aber ich denke nicht, dass ihr mir helfen könnt. Es gibt zu viele Dinge, die ihr nicht wisst.", erhob ich den Kopf.
„Ich muss zur Ruhe kommen und selbst auf Gedanken kommen."
Ratlos schauten wir uns an.
„Ich wusste, dass eines Tages so etwas passiert wird Abi. Es war nur eine Frage der Zeit", behauptete mein Bruder.
„Mir war die Gefahr auch bewusst Yaman. Ich habe ihr die Sicherheit versprochen. Und ich habe gescheitert. Alles ist wegen mir passiert.", grub ich das Gesicht wieder in die Hände.

„Devran.", kam Öykü auf mich zu.
„Wir wissen, wie stark du bist. Aber deine Kraft ist auch begrenzt. Du bist auch nur ein Mensch! Was passieren muss, passiert und nichts kann es aufhalten.", umfasste sie meine Schulter. Dabei hatte sie leider recht. Ich konnte nichts gegen Dinge machen, die passieren mussten.
Hätte ich Damla bloß nicht gehen lassen. Sie hätte noch eine Zeit lang bei mir bleiben müssen. Es war ein Fehler gewesen, sie gehen zu lassen. Doch nachträgliche Reue brachte nichts.

Die Wunde der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt