37 - das Versprechen

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Die Zeit verging nicht.
Sie war beinahe stehengeblieben. Wir warteten und warteten, aber es geschah nichts. Seit Stunden warteten wir, dass die Operation endete und wir Auskunft über Devrans Lage bekamen.
„Damla?", wandte sich Yaman zu mir. Ich öffnete die Augen und drehte mich nach rechts.
„Du schläfst gleich ein. Gehe lieber nachhause und ruhe dich aus, wir warten schon."
Doch ich schüttelte den Kopf.
„Ich werde nicht gehen, bis Devran aufwacht.", sicherte ich.
„Dann kannst du noch lange warten.", meinte er.
„Ich will einfach die Nachricht hören, dass Devrans Lage stabil ist."
Wann wir diese Nachricht empfangen würden, war eine Frage der Zeit. Und die Zeit verging nicht...

Wie dumm konnte ich bloß sein?
Wieso war ich Behzat suchen gegangen? Ich hatte mich wieder auf meine Dummheit eingelassen. Und den Preis hatte hoch gezahlt: mit Devrans Leben.
Als er mich beschützen wollte, hat er sein eigenes Leben in Gefahr gesetzt. Das werde ich nie vergessen. Taner hat Recht, Devran hat wirklich einen großen Beschützerinstinkt.
Wir hätten einfach von den Junkies gehen sollen. Devran wusste doch, dass sie einen Knacks im Kopf hatten.
Für den ganzen Vorfall beschuldigte ich mich. Ohne meiner Dummheit wäre das nie passiert. Wieso bin ich so? Wieso ticke ich falsch, wenn es um Demir geht? Ich wollte doch nur Informationen über ihn finden. Und wieder hatte ich versagt.
Das erste mal, war ich eingebrochen und wurde von Devran erwischt.
Das zweite mal, wollte ich Behzat aufsuchen und Devran wurde erstochen.
Ein drittes Mal durfte es nicht geben...

Während ich gedankenversunken rumsaß, hatte ich den rausgekommenen Arzt aus dem OP-Raum nicht bemerkt. Sofort fragte Taner nach Devrans Lage nach.
Als ich hörte, dass die Blutung gestoppt wurde, fiel mir ein Stein vom Herzen. Seine Lage war aber noch kritisch. Er hat es überlebt! Ich wusste es, er war ein Kämpfer!
Danke Gott, dass Devran weiterleben durfte. Erleichtert atmete ich aus. Erst nach ein paar Stunden würde er von der Narkose aufwachen.
Die Jungs überredeten mich nachhause zu gehen. Taner rief jemanden an, der mein Auto von Beyoğlu abholte und zu mir nachhause fuhr. Bevor ich ging, gab ich Taner noch Devrans Jacke und Handy. Er war überrascht, dass ich seine Jacke trug, aber sagte nichts dazu.
Ein Chauffeur der Atahans fuhr mich heim.

Ich fühlte mich wieder sicher, als ich zuhause ankam. Sofort befreite ich mich meiner blutigen Kleidung und warf sie weg. Die Blutstropfen von Devran waren mir erst später aufgefallen. Ich wollte nichts mehr in mein Zimmer haben, dass mich an den Horrortrip mit Devran erinnerte.
Mit frischer Kleidung ging ich ins Badezimmer. Unter der Dusche kamen mir so viele Gedanken in den Sinn. Ich kam nicht zur Ruhe. Wie soll ich es jemals vergessen, dass jemand vor meinen Augen erstochen wurde?
Die Erinnerung würde ich für immer im Kopf haben...
Ich wusste jetzt schon, dass ich diese Nacht nicht schlafen könnte. Das alles kam mir zu viel.

Ich nahm mein Laptop und setzte mich auf mein Bett. Den Stick, den mir Umut gestern gegeben hatte, steckte ich ein und wartete gespannt auf den Inhalt. Es war eine PDF Datei. Als ich draufklickte, erschienen mehrere Dokumente.
Neugierig zoomte ich auf den Text und las die Seiten durch. Das waren Verträge über Waffenhandel!
Seitenlange Verträge über Handel mehrer Schusswaffen. Die Anzahl und das Modell der Waffen, wann sie wohin geliefert wurden, die Preise - alles stand drauf.
Wie konnte das Umut finden? Welches Risiko war er dafür eingegangen? Schockiert klappte ich das Laptop zu und stand auf. Grübelnd lief ich auf und ab.
Stand mir meine Erlösung so nah? Würde alles enden, wenn ich die Datei der Polizei überreichen würde? Aber dann würde ich selbst in Konflikt geraten. Sie würden mich fragen, woher die Informationen stammen, wie ich an sie gekommen war und, und, und...
Damit würde ich mir selbst ins Bein schießen. Oder, ich musste das anonym an die Polizei weiterleiten. Nur so könnte Devran festgenommen werden und meine Fesseln an ihn könnte ich lösen.

Aber... das könnte ich nicht machen. Yaman fiel mir plötzlich ein. Er hat vor kurzem sein Bruder gefunden. Könnte ich ihn von seinem größten Anhaltspunkt entreißen? Ich versetzte mich in Yamans Lage. Wie glücklich waren die Brüder miteinander? Wie gern hätte ich auch mein Bruder zurück? Nein, das konnte ich nicht tun. So herzlos war ich nicht.
Es müsste eine andere Lösung geben. Wie ein Sturm war er in mein Leben eingetroffen. Könnte er so leicht wieder gehen? Ich denke nicht. Ich steckte in einer Sackgasse fest. Ich hatte keinen Ausgang aus Devrans Leben!
Aber es müsste einen geben, damit ich wieder leben konnte. So konnte ich nicht mehr leben, das alles war mir zu viel.

Die Wunde der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt