84 - zu perfekt

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Als ein Klingelton ertönte, löste ich mich aus dem Schlaf. Es wiederholte sich immer wieder und wieder. Wo war mein Handy? Ohne die Augen zu öffnen, streckte ich meine Hand zur Kommode, aber ich konnte nichts abtasten. Die Fläche stand leer.
Wo war mein Handy nur? Ich hatte mir außerdem keinen Wecker eingestellt.
Dann stellte ich fest, dass es nicht mein Handy war, sondern ein anderes. Und ich war auch nicht allein im Bett, sondern neben Devran, der mich umschlungen hatte. Er schien ebenfalls aufgewacht zu sein.
„Devran?", fragte ich müde.
„Hm?"
„Dein Handy."
„Ist nicht meins.", behauptete er. Mein Handy war zuletzt in meiner Tasche und diese befand sich nicht im Raum.
„Doch.", drehte ich mich ihm. Erst dann öffnete er die Augen. Genervt riss er sein Handy mit einer Bewegung von der Stelle weg und schaltete es auf stumm. Irgendwo zwischen Kissen und Kommode verbannte er es. Nun waren wir wach.

Devrans müde Augen fanden meine. Seine immer perfekt sitzende Frisur war zerzaust. Nach längerem Betrachten musste ich feststellen, wie gut Devrans Gesichtskonturen miteinander passten. Einen unbeschreiblichen Charme besaß er. Seine Blicke hatten etwas Mitreißendes. Sie konnten dich unerwartet mitnehmen und in Trance versetzen.
Wortlos erhob Devran die Hand und strich sanft über meine linke Gesichtshälfte.
„Kann jeder Tag mit dem Anblick beginnen?", begann er zu reden. Ein Lächeln huschte mir über das Gesicht.
„Vielleicht."
Die Antwort befriedigte ihn nicht.
„Ganz sicher.", versprach Devran. Einen Kuss bekam ich auf den Haaransatz. Die Geste erwärmte mir das Herz.
Der Morgen hatte eine ganz andere Wirkung. Sogar die Sonne schien anders. Ich fühlte mich nach langer Zeit gelassen und sorglos. Es beruhigte mich, wie Devran über meine Haare fuhr.

Keine Sekunde später, begann das Handy wieder zu klingeln. Nichts war nerviger als der Wecker am Morgen. Dieses Mal handelte Devran aggressiver.
„Was soll das!", regte er sich auf und wollte den Wecker wieder ausschalten. Da bemerkte er ein ganz anderes Problem und löste sich von mir.
„Es ist Serkan!"
Gedämpft hörte ich Serkans Stimme an der Leitung.
„Scheiße! Ich hab's vergessen. Ich komme sofort.", richtete sich Devran auf. Besorgt fuhr er über den Kinn.
„Was ist?", fragte ich beängstigt.
„In zehn Minuten beginnt ein Meeting! Ich habe es verpennt."
„Oh nein. Was machst du jetzt?"
„Mich vorbereiten. Was sonst? Das erste Mal verspäte ich mich."
Aus dem Kleiderschrank riss er irgendwelche Klamotten heraus.

„Ist nichts schlimmes. In der Uni habe ich mich oft genug verspätet.", teilte ich mit.
„Ich muss mich schnell fertig machen und losgehen. Alles wegen dir. Du bringst mich durcheinander."
„Ich?", verließ ich Devrans Bett.
„Ja, du."
„Wir sind mit unseren Klamotten vom Vortag eingeschlafen.", stellte ich fest. Devran zog lächelnd seinen Hemd aus.
„Ja, und deine Augen sind noch verweint."
Die Nacht war sehr seltsam gewesen. Nach Devrans unerwartetem Geständnis, kamen mir gemischte Gefühle hoch. Die Tränen, die ich lange Zeit unterdrückt hatte, ließ ich raus. Emotionale Momente hatten wir betracht. Devrans Worte ließen Ruhe in mir einkehren.
Er verschwand im Badezimmer und ich ging in mein Zimmer über.

Vor mich grinste ich hin. Es war mir bewusst, dass wir uns eines Tages vereinen würden. Aber dem Gedanken wollte ich auch keinen Glauben schenken. Meine Angst wollte diese Liebe nicht als wahr halten.
Einige Minuten später hörte ich Devran die Treppen heruntergehen. Dabei rief er mich.
„Ja?", ging ich auf den Flur.
„Wo ist mein Autoschlüssel?"
„In meiner Tasche müsste er sein."
Auf dem Boden lag sie.
„Muss los, aber heute Nachmittag bin ich wieder da. Gehe nirgendwo hin.", teilte Devran mit und warf mir noch einen letzten Blick zu.
„Ich werde auf dich warten.", sagte ich.

Devran
Hektisch betrat ich den Besprechungsraum und entschuldigte mich für die Verspätung. Mit der Ausrede, dass mir ein Missgeschick auf dem Weg passiert sei, setzte ich mich hin. Serkan und Gülin hatten sich um die Besucher gekümmert. Immerhin konnten sie pünktlich erscheinen.
„Wenn Sie da sind, Herr Devran, fange ich mit der Präsentation an.", gab Gülin Bescheid.
„Klar.", gab ich ihr das Wort. Ich war zu aufgewühlt, um bei der Sache zu sein. Ungeduldig wippte ich mit dem rechten Bein.
„Was ist los? Alles in Ordnung?", flüsterte mir Serkan zu.
„Ja.", antwortete ich zurück. Überzeugend wirkte ich nicht. Prüfend musterte mich Serkan an. Ich versuchte mich Gülin zu widmen, aber meine Gedanken drehten sich um Damla.
Eingebannt in meinem Kopf war sie.

Die Wunde der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt