74 - Romantik pur

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Am Mittag machte sich Öykü auf den Nachhauseweg und Langeweile kehrte ein. Nur die Haushälterin befand sich im Haus und die tausenden Wachen drumrum, die uns bewachten.
Die Zeit verbrachte ich damit, die Hüllen der Schallplatten durchzulesen. Es ging von türkischen Berühmtheiten wie Zeki Müren zu italienischen Opern.
Ich ging zurück auf meinen Platz und sank auf der Ledercouch.
Wenn ich nicht falsch hörte, parkte ein brummender Wagen vor der Tür und kurz daraufhin drehte sich der Schloss der schweren Haustür auf. Die Person, worauf ich wartete, müsste angekommen sein.
Schritte setzten sich in meine Richtung. Ich warf einen Blick nach hinten. Meine Vermutung traf ins Schwarze. Henker war gekommen.
Auf der Stelle blieb er stehen und ließ die Augen über mein Gesicht wandern. Die Aktentasche in seiner Hand ließ er am Tisch ab und ging weiter

„Können wir reden?", fragte Devran und setzte sich zu mir. Seine Hand fährt kurz über den Hinterkopf. Den ersten Hemdknopf lockerte er auch.
Devran machte einen nervösen Eindruck, der mich verunsicherte. Seit wann plagte dieser Mann an seinem Können?
„Damla.", schaute er zu mir.
„Du machst mir Angst."
„Lässt du mich ausreden?"
Ich verstummte. Tief schnappte Devran nach Luft. Unruhig rieb er die Hände aneinander.
„Ich sollte eine Entscheidung treffen, die uns beide betrifft. Aber sie allein zu treffen, wäre egoistisch. Also überlasse ich dir die Wahl.", gab er kalt wieder. Er sprach so, ob man ihm eine Knarre an den Kopf hielt und ihn zum Reden zwang.
„Sprich offen.", forderte ich misstrauisch.

Devran verlor den Blick in der Ferne. Verzweifelt fuhr er über die verbitterte Miene und stellte mir dann die bedeutsame Frage: „Willst du weiterleben Damla?"
Verfinstert fixieren ihn meine Augen.
„Natürlich!"
„Dann gibt es zwei Möglichkeiten."
„Welche?"
„Wenn du hier rausgehst und nachhause fährst, wird mich nach ein paar Tagen sicher deine Leiche erreichen."
Sogar der Gedanke erschaudert mich. Ärger und Angst brodeln unkontrolliert in mir.
„Sag mir sofort, was du vorhast."

„Entweder...", widmet er mir seine Blicke.
„Fliehst du ins Ausland und dein Tod wird vorgetäuscht. In der Ferne wirst du sicherer sein. Ein neues Leben wirst du mit meiner Unterstützung beginnen."
Fassungslos begab ich mich der Stille. Das müsste ein böser Scherz sein.
„Nie im Leben!", erhob ich mich schwungvoll von der Stelle. Ich konnte kaum still bleiben und wollte Devran am liebsten zerfleischen.
„Ich gehe nirgendwo hin. Verstehst du? Mein ganzes Leben ist hier. Meine Freunde, Familie, die Uni!"
Dem Irrsinn konnte ich nicht länger Gehör schenken.
„Damla, bleib stehen!"
„Ich habe Träume! Mein Leben kann nicht aus Flucht und Angst bestehen."
„Du willst die zweite Wahl treffen?", wurde ich auf einmal an der Schulter gepackt und ruckartig zu Devran gewirbelt. Ich hasste es, wenn er mich unter Kontrolle bekam.
Gezwungen sah ich in seine Feuer spuckenden Augen, die mich in Gefangenschaft nahmen. Die Augenbraue zogen sich zu einem Strich zusammen und verrieten Wut und Hilflosigkeit. Wirre Gefühle entzifferte ich aus seiner verhärteten Miene.

„Was willst du von mir?", schrie ich beinahe. Ich war kurz davor den Verstand zu verlieren. Vielleicht war das bereits geschehen.
„Entweder fliehst du, oder nimmst unseren Nachnamen an!", vervollständigte Devran den Satz. Als ich dachte, dass es nicht schlimmer sein konnte, traf mich das Schlimmere.
„Was?", hauchte ich erstarrt. Es klang schon fast wie ein Paradoxon. Devran soll mich retten, indem ich mich seiner Familie anschließe? Ich - soll den Atahans gehören?
Mehrmals blinzelte ich. Devrans Worte schallten ununterbrochen in meinem bereits vollen Kopf. Sein schmerzvoller Blick holte mich zum Gespräch zurück.
„Ich soll dich heiraten?", stellte ich bitterlich fest.
„Es wird nur auf dem Papier stehen. Du wirst deinen Weg und ich werde meinen Weg gehen! Hauptsache du bist in Sicherheit Damla."
„Niemals werde ich tiefer in deine Welt eindringen Devran!", funkelte ich ihn an und tippte dabei mit dem Zeigerfinger auf seine Brust. Kurz starrt er auf meine Hand, die ihn berührte.
„Denkst du, mein Ziel ist es mit 23 zu heiraten? Denkst du, den würde ich mir den Stress freiwillig geben?", nimmt er meine Hand runter. Ich schüttelte den Kopf.
Es schmerzte mir im Herzen. Unsere gemeinsamen Momente spielten sich vor meinen Augen wieder. Ich konnte nicht verleugnen, dass ich gar keine Gefühle gegenüber Devran verspürte. Als er mich aus dem Meer rettete, bemerkte ich, welche besondere Bindung zwischen uns schwebte... Aber seine Rachsucht und der jahrelange Zorn, den er in sich trug, schreckten mich vor Devran ab. Sie machten ihn kaputt. Ich blickte auf seine weiße Seite, jedoch bekam ich auch Einblicke in seine grauenvolle, gnadenlose Seite.

Die Wunde der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt