101 - unser Schicksal

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„Also dann, man sieht sich.", verabschiedete ich mich von Demir und stieg aus. Die Wachmänner begrüßte ich beim Vorbeigehen.
Müde stieg ich die Treppen zum Schlafzimmer auf. Devran war auf dem Balkon und rauchte eine Zigarette. Atemwolken bildeten sich in der kalten Abendluft. Ich legte meine Tasche ab und trat raus.
„Hey", näherte ich mich ihm. Ein leises „Hey" kam zurück. Entweder war Devran müde oder schlecht gelaunt. Wohl beides.

„Was ist los?", fragte ich und gesellte mich zu Devran. Er nahm einen Zug von der Zigarette und drückte sie in den Aschenbecher.
„War der Abend schön?", wich er meiner Frage aus.
„Ja... Meine Mutter hat fiel vorbereitet. Was hast du gemacht?"
Devran erzählte über seinen Alltag am Hafen. Dabei bemerkte ich, wie abwesend er wirkte. Er sprach kaum, sah mich nicht an.
Seine bipolare Störung zeigte sich. Manchmal musste er sich zurückziehen. Manchmal war sein Kopf zu voll und er musste die Gedanken einordnen.

„Bist du traurig?", wurde ich auf einmal gefragt.
„Wie kommst du darauf?"
„Glücklich bist du nicht. Also will ich wissen, ob du traurig bist."
Stille traf ein. Devran trug große Schuldgefühle in sich.
„Ich kann es nicht länger zusehen.", fuhr er fort.
„Was?"
„Wie du an mir kaputt gehst!", richtete sich Devran auf.
„Devran!"

Ein Kloß bildete sich in meiner Kehle. Wovon sprach er schon wieder? War er noch ganz bei Sinnen?
„Ich kann es nicht länger zusehen, wie eine lebensfrohe junge Frau schwächer wird!", grub er das Gesicht in die Hände.
„Ich werde nicht schwächer!"
„Doch Damla! Ich kann dich nicht mehr beschützen. Du verdienst ein besseres Leben."
Scharf zog ich die Luft ein. Seine Seele schmerzte. Ich wünschte, ich könnte etwas anderes tun, anstatt zu widersprechen.

„Wir beide verdienen ein besseres Leben.", brachte ich zur Kenntnis.
„Ich werde mich nicht aus der Schlucht retten können. Egal wie weit ich wegrenne, wird mich meine Vergangenheit verfolgen. Aber du hast noch eine Möglichkeit. Bei mir zu bleiben, bedeutet in der Schlucht mitzuleiden!", interpretierte er wieder zu viel und ging mir aus den Weg.
„Was soll das heißen?", folgte ich ihm.
„Ich weiß es nicht! Mein Kopf ist zu voll! Lass mich allein Damla.", lief er nervös auf und ab.

Mein Unterschied zu Devran war, dass ich es hoch schaffte, egal wie tief ich fiel. Devran hingegen, blieb an einem Punkt hängen und kam nicht mehr aus der Gedankenspirale heraus. Er kreiste und kreiste auf demselben Fleck.
Ich war diejenige, die einen Unfall erlebte, ich verlor ein Kind, ich erlebte all den Schmerz! Aber Devran war derjenige, der daran zerbrach.

„Devran, ich-"
„Verlass mich, bevor ich so eine wundervolle Frau zerstöre!", packte mich Devran auf einmal an den Armen. Vorauf wollte Devran hinaus? Warum verstand ich ihn nicht?
Seine Augen durchforsteten mein Gesicht. Die Miene war schmerzerfüllt.
„Weißt du noch als ich sagte, dass ich dich nicht nur vor meinen Feinden, sondern auch vor mir selbst schützen muss?", erinnerte sich Devran zurück. Wir waren am Leuchtturm gewesen.

„Hör auf Unsinn zu reden!", befahl ich.
„Das ist kein Unsinn! Ich werde dir nicht das Leben bieten können, das du dir erhoffst. Ich bin die Gefahr in Person! Bald werden sie mich suchen Damla, und dann wirst du auch in Gefahr sein!"
Das schwere Gefühl um mein Herz wurde immer intensiver.
„Wer wird dich suchen? Rede Klartext, verdammt nochmal!", schrie ich endgültig.
Da sagte Devran etwas, dass mich schockierte.
„Heute habe ich jemanden umgebracht Damla! Ich habe diejenigen gefunden, die dich verfolgt haben!"
Ich verlor endgültig die Sprache.

Devran war ein Mörder. Mein Mann war ein Mörder.
Tat er das zum ersten Mal? Nein.
Indirekt war er für hunderte Tode zuständig. Aber heute, begann er bewusst eine Mordtat. Vor seinen eigenen Augen. Ich wusste, dass Devran eines Tages diese Tat begehen würde.
Alles stand geschrieben. Unsere Höhen und Tiefen. Alles geschah so, wie es geschehen musste. Unsere Handlungen gaben unser Schicksal vor.

Die Wunde der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt