92 - die letzte Woche

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Noch einmal lud ich das Magazin auf und richtete die Waffe auf Schulterhöhe. Ich fixierte den Gegenstand in der Ferne und zog ab.
Volltreffer. Die Glasflasche zerschmetterte.
Es tat gut Gegenstände zu zerstören, während man wütend war. Noch besser, wenn man es aus 50 Meter Entfernung hinbekam.
Meine Hand lockerte sich, die Waffe sank. Der Herbst war eingekehrt. Die letzten warmen Tage waren im Umlauf. Der Wald verfärbte sich in braune Töne und die Sonne erwärmte mich auch nicht mehr.

Kurz schaute ich auf die zersprungenen Glasflaschen und danach auf meine Hände.
Heute Morgen war ich mit einer Unruhe aufgewacht. Die Krähen aus meinen Albträumen waren zurückgekommen. Kurz nach Sonnenaufgang stand ich wach da und seitdem war ich auch am Denken.

„Abi?", nahm ich aus der Stille Serkans Stimme wahr. Er hatte sich tatsächlich die Mühe gemacht, mich zu finden.
„Wie hast du mich gefunden?"
Die Pistole steckte ich mir wieder ein.
„Ich habe mir schon gedacht, dass du hier bist. Am morgen bist du auch nicht auf der Arbeit erschienen. Frau Feryal hat versucht dich zu erreichen. Da wollte ich nachschauen, was los ist."
Keiner konnte mich im Moment erreichen. Nicht einmal meine Mutter. Ich wollte allein sein.
Serkan verriet meiner Mutter den Standort und kurze Zeit später trafen uns.

„Du siehst nicht gut aus, mein Sohn."
„Mir geht es auch nicht sonderlich gut."
Entlang des Pfades spazierten wir.
„Das Leben, dass du lebst ist anstrengend Devran. Deshalb bin ich hier. Um mit dir über deine Zukunft zu sprechen."
„Zurzeit interessiert sich jeder für meine Zukunft."
„Weil du ein bedeutsamer Mann bist, Devran.", wandte sie sich mir. Eine Pause legten wir ein.
„Das will ich nicht sein. Nicht in dieser dunklen, gesetzlosen Unterwelt."
Ein Lächeln ging ihr auf, welches mich verwirrte
„Du bist deinem Vater so ähnlich. Beim Denken, beim Handeln, beim Reden..."
Man könnte sagen, ich wäre auf die Welt gekommen, um seine halb gebliebenen Träume zu erfüllen. Ich war stolz darauf einen Vater wie er gehabt zu haben.

„Ich will nicht, dass du wie Kemal endest. Er machte Fehler, die ihn sein Leben kosteten. Aber du Devran, wirst diese Fehler nicht begehen und deshalb bin ich hier."
In den Jahren, als meine Mutter als untergetaucht galt, stellte sie ihre eigene Einheit auf.
„Du bist nicht schutzlos. Dein Rücken ist gestärkt Devran. Lass dir nicht einreden, dass du ohne dem Verbund schutzlos wärst."
„Du bist die beste Mutter.", vergewisserte ich und nahm ihren kleinen Köper unter eine Umarmung.
„Für meine Kinder würde ich alles tun.", versprach sie mir.

Wir setzten den Spaziergang fort.
„Du musst bedenken, dass du nicht einfach aus der Bildfläche verschwinden kannst. Der Austritt aus dem Verbund wird nicht einfach sein. Sie sollen dich mit deinem Anstand und mit deiner Ehre in Erinnerung behalten. Erfülle die Anforderungen und nichts kann dir mehr im Weg stehen."
Mit einem Nicken antwortete ich.

Der Weg brachte mich zum Leuchtturm. Dieser Ort hatte etwas Besonderes an sich. Es war der inoffizielle Treffplatz mit Damla gewesen.
Am Ende des Steges blieb ich stehen und lauschte der Brandung. Der gestrige Anruf kam mir in den Sinn. Demir war am Leben. Die lang ersehnte Mission konnte starten.
Mit einem Anruf an meine Komplizen, begann Mission Demir.
„Es ist so weit. Ihr könnt losgehen.", war die einzige Nachricht, um die Truppe in Bewegung zu setzen.

Es fühlte sich großartig an. Aber zugleich weckte die Mission Unbehagen in mir. Der kleinste Fehler würde unser Ende unterzeichnen. Wochenlang saßen wir am Projekt, nichts konnte mehr schief laufen.
Heute Abend würde ich Damla die wichtige Nachricht mitteilen. Ihre Vorfreude spielte sich vor meinen Augen wieder. Ein Lächeln ging mir auf.
Ich konnte auch Gutes tun, anstatt verbotene Geschäfte. Und seitdem Damla ein bedeutsamer Teil meines Lebens war, vermehrten sich die guten Taten.

Damla
„Na, gut geschlafen?", war das erste, dass ich dem Aufwachen hörte. Das Handy nahm ich von der linken Seite zur rechten und setzte mich an die Bettkante.
„Ja Umut."
Ins Badezimmer steuerte ich mich.
„Hast du heute etwas vor?"
„Ja, ich muss lernen."
„Bisschen Zeit wirst du schon für mich haben, oder?"
Lange Zeit war es her, dass wir uns getroffen hatten. Meine Mundwinkel erhoben sich. Nichts ging über meine Liebsten.
„Natürlich. Sag mir wann und wo."
„Das dachte ich mir schon. Wie wäre es am Nachmittag in Karaköy?", schlug Umut vor, womit ich einverstanden war.

Die Wunde der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt