85 - ein Mann wie ich

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Die Sonne war am Untergehen, als wir uns auf dem Nachhauseweg fanden. Die Zeit müsste im Flug vergangen sein, eine andere Erklärung gab es nicht.
Ich konnte nicht ich sein, oder die Welt hatte sich verändert. Ja, die Welt hatte sich verändert. Meine Welt, um genauer auszudrücken.
Wie ein Fremder fühlte ich mich in meinem Körper, aber gleichzeitig war ich mir vertraut. Meine Welt änderte sich zu schnell, doch vielleicht war es das Richtige.
Die Wände, die ich um mich gebaut hatte, schützen mich nicht mehr. Das war kein Schutz, das war Isolation. Sie hatten mich paranoid gemacht. Die meterhohen Wände, die mich in der Dunkelheit verbannten, zerfielen. Denn ich hatte einen größeren Halt gefunden: die Liebe. Wenn die Welt etwas retten sollte, dann war es die Liebe. Hass und Kriege zerstörten sie. Aber die Liebe, hielt die Welt in Gleichgewicht.
War meine Welt in Gleichgewicht? Zu lange hatte ich zerbrochen gelebt, dass ich nicht mehr wusste, was Normalität war. Vielleicht überdachte ich alles wieder.
Nichts hatte mich mehr Kraft gekostet, als meine Liebe zu offenbaren. Die Gefühle, die mich monatelang quälten, fanden ein Ende und tauschten sich mit inneren Frieden ein. Ich war glücklich verdammt und ich wusste auch, dass alles einen Preis hatte. Was war der Preis meiner Liebe?

Ich war so beschäftigt mit meinen Gedanken, dass ich Damla nicht hörte.
„Ja?", begab ich mich ihr.
„Ist alles in Ordnung?", hakte sie verwirrt nach.
„Ja, alles ist in Ordnung."
„Etwas bringt dich zum Grübeln.", kam sie zum Entschluss. Meine Mundwinkel zuckten. Ich wusste nicht, ob ich reden, oder das Thema mit einem Gespräch abschließen sollte.
„Ist es deine Superkraft mich zu durchschauen?", spottete ich.
„Wenn du nur wüsstest, welche Superkräfte ich noch besitze...", bildete sich ein süffisantes Grinsen in ihrem Gesicht.
„Hmm, welche denn?", wandte ich mich neugierig zu Damla.
„Diese wirst du herausfinden, umso mehr du mich kennenlernst."
„Kenne ich dich nicht genug?"
Sie schüttelte den Kopf.

„Du hast mich mal gestalkt, wenn ich dich erinnern darf. Aber alles weißt du über mich nicht. Ich hielt dich als verrückt.", erinnerte sie sich zurück.
„Ich wollte meine Komplizin kennenlernen. Besser gesagt konnte ich nicht meine Hände von dir lassen... schon damals.", gab ich zu. Es war seltsam über meine Gefühle zu sprechen. Bis heute hatte ich sie zwanghaft verdrängt.
„Heute hast du mich in deinen Händen.", meinte Damla.
„Nein, ich habe dich im meinem Herzen.", korrigierte ich und sandte ihr ein warmes Lächeln. Jedes Mal, wenn Damlas Gesicht strahlte, ging es mir unmittelbar besser. Geschmeichelt von den Worten, erhoben sich ihre Mundwinkel.
„Du bist ein Poet Devran."
Das stimmte. Gelegentlich schrieb ich.
„Nur für dich.", sicherte ich und umgriff Damlas Oberschenkel. Überrascht von der Geste, blickte sie runter auf meine Hand. Ich sagte doch, dass ich mich nicht von Damla fern halten konnte. Liebevoll strich sie über meine Hand. Kurz tauschten wir Blicke miteinander aus und führten die Fahrt still fort.

Zuhause angekommen, übergab ich den Wagen den Jungs und sie brachten ihn zur Garage.
Sami und Ayhan begrüßten uns beim Vorbeigehen. Überrascht musterten sie uns an, als wir uns Hand in Hand erblicken ließen. Damla schloss die Haustür auf und gemeinsam traten wir rein. Müde vom Tag stieg ich die Treppen hoch.
„Ich gehe mich kurz umziehen.", bog Damla in ihr Zimmer ab.
„Ach ja.", hielt ich sie auf.
„Ab jetzt gibt es kein mein Zimmer, dein Zimmer mehr. Es gibt unser Zimmer.", verdeutlichte ich.
„Meine ganzen Klamotten sind noch hier."
„Dann ändern wir das.", folgte ich ihr. Die Stapel aus dem Kleiderschrank begann ich runterzunehmen.
„Jetzt? Ich wollte mich noch umziehen.", blickte mich Damla verdutzt an.
„Fühl dich nicht gestört."
Grinsend verfolgte sie meine Bewegungen und zog dem Trenchcoat aus.

„Kannst du mir helfen? Ich kriege den Reisverschluss nicht auf.", hörte ich kurze Zeit später.
„Also, es ist doch gut einen Ehemann zu haben.", blickte ich sie durch den Spiegel an.
„Naja. Mit 20 wollte ich keinen.", widersprach sie mir.
„Tja, jetzt hast du mich und einen Leben lang wirst du mich auch nicht loswerden.", offenbarte ich die Tatsache.
Der Reißverschluss glitt herunter. Noch einmal sahen wir uns durch den Spiegel an.
„Ich will dich auch nicht loswerden.", vergewisserte Damla und blickte mich an. Keine Worte kamen meinerseits. Ich fokussierte mich stets auf das wundervolle Gesicht vor mir. Schlagartig wurde es mir warm ums Herz.
Ich gab meine Macht ab. Die Kontrolle über meine Gefühle hatte ich schon längst verloren. Eventuell sollte ich sie auch nicht kontrollieren. Ich sollte alles dem Fluss der Zeit lassen.

Die Wunde der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt