27 - der Auftritt

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Seine dunklen Augen hatten mich wieder gefunden. Ein Braunton, der zu schwarz neigte. Die Braue waren leicht zusammengezogen. Als ob er bat, dass ich blieb. Seine Augen wirkten kaum mehr finster. Sie waren müde und verrieten einen Hauch von Schmerz.
Ich verstand nichts mehr. Von Sekunde zu Sekunde wechselte sich Devrans Stimmlage. Vorhin war er noch wütend und wollte, dass ich den Rand hielt.
Doch was jetzt passiert war, konnte ich nicht nachvollziehen. Wieso ließ er mich nicht gehen? Verwirrt blickte ich seine Hand an, die immer noch auf meiner Schulter lag. Zuerst hatte er mich fest angepackt, doch der Griff hatte sich schnell gelockert. Als er den Blick bemerkte, nahm er die Hand runter.
„Beruhige dich. Ich bin nur angespannt.", gab er mit ruhiger Stimmlage von sich.
„Bist du das nicht immer?", fragte ich. Kurz ging ein müdes Lächeln in seinem Gesicht auf. So war er doch immer?
„Nein. Dieses Mal ist es anders... Was heute passiert ist, sollte nicht passiert sein. Ich sehe mich scheitern.", begann er zu sprechen und senkte den Blick. Enttäuscht schaute er auf den Boden. Ich glaube er verspürte Redebedarf.
„Du warst doch immer so überzeugt von dir. Was ist jetzt los?", wunderte ich mich.
„Ich weiß nicht, ich habe so viele Dinge im Kopf, dass ich manchmal nicht klar denken kann.", meinte er und setzte sich hin. Ich nahm auch Platz. Devran wirkte sehr nachdenklich in letzter Zeit.

„Du hast schon angefangen. Willst du etwa aufhören?", fragte ich.
„Nein. Ich muss nur wieder zu mir kommen. Was wir in letzter Zeit erfahren haben, war zu viel für mich.", sagte er und fuhr über das Gesicht
„Irgendwie habe ich das Gefühl, mich verändert zu haben... Ich fühle mich schwächer, seitdem ich meine Familie gesehen habe.", teilte er mit.
Er sprach mir mir über seine Familie. Das tat er so gut wie nie. Er schien Konflikte mit ihnen zu haben. Ich hörte Trauer aus seiner Stimme raus.
„Wieso?", fragte ich vorsichtig. Was auch immer passiert war, beschäftigte sein Kopf. Für die Antwort ließ er sich Zeit.
„Ist 'ne lange Geschichte und es ist spät geworden. Geh du lieber heim.", blockte er das Thema ab. Er hatte sich wohl doch dagegen entschieden.
Ich nickte und stand auf. Devran begleitete mich zur Türe. Ich glaube langsam entzifferte ich Devran. Langsam fand ich sein Kern.
Er war verwundet und ließ den Schmerz mit Rachsucht decken. Devran wollte gefühllos sein, da er durch seine Gefühle lange gelitten hatte.
Hass und Rache lassen dich äußerlich stark aussehen, aber innerlich schwächen sie dich. War ihn bewusst, dass er sich selbst verletzte?

„Devran?", fiel mir mitten auf dem Weg ein.
„Wer hat das Gemälde an der Wand da hinten gemalt? Jemand aus deiner Familie?", wollte ich wissen. Kurz zögerte er.
„Ja. Mein Bruder Yaman."
Yaman Atahan also.
„Er hat wirklich ein Talent! Bin begeistert.", lobte ich ihn.
„Ich weiß, er ist ein wahrer Künstler. Morgen hat er sogar einen Klavierauftritt.", erzähle Devran. Wirklich? Rasch schaute ich ihn an. Die künstlerische Begabung war wohl familiär. Bestimmt spielte er gut Klavier.
„Wie alt ist Yaman?", fragte ich.
„Er ist 19."
Ein Pianist ist einer Mafia-Familie.
Sollte ich fragen, ob ich auch mitkommen könnte? Lieber nicht. Das wäre eine seltsame Frage.
„Wirst du hingehen?", befragte ich ihn neugierig weiter.
„Ich werde nicht hingehen. Wäre besser, wenn ich bleibe.", meinte er auf einmal.
„Wieso? Er wird sich bestimmt freuen."
„Ich... denke nicht.", behauptete er. Mehr wollte er wohl nicht über ihr Verhältnis verraten. Das verstand ich auch. Wieso soll er auch mit mir, seiner Hackerin über seine Probleme reden?
„Na gut, wenn du meinst. Ich hätte noch eine Frage. Bist du auch künstlerisch begabt?", fragte ich, als ob ich es nicht wüsste.
Verwirrt schaute er mich an und fragte sich wohl, wie ich auf die Frage gekommen war.
„Du warst in meinem Zimmer, oder?", erriet er plötzlich. Ich erstarrte. Aber wie? Ich hatte nichts angefasst!
„Wie hast du es bemerkt?", fragte ich verwundert.
„Ich schließe die Zimmertüre immer, wenn ich gehe. Sie war ein Spalt offen, als ich kam."
Oh, da habe ich mich wohl selbst verraten.
„Ich war nur hochgegangen, um die Gemälde in deinem Zimmer anzuschauen. Ich wollte wissen, ob sie auch von deinem Bruder gefertigt wurden. Und ich bin überrascht muss ich sagen.", erklärte ich verlegen.
„Ja, das erwartet keiner von mir.", stimmte er mir zu.

Die Wunde der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt