38 - Pflaster

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Reglos blieb Devran unter meiner Umarmung stehen. Er war eher schockiert. Es hatte ihn unerwartet getroffen.
Mit dieser Reaktion hätte ich auch nicht gerechnet, aber ich konnte meine Freude nicht unter Kontrolle halten. Freudentränen sammelten sich bereits in den Augen. Devran hat mir versprochen Demir zu finden! Einen größeren Traum hatte ich nicht im Leben und wenn ihn Devran verwirklichen könnte, wäre ich mehr als dankbar.
„Damla?", erwähnte Devran meinen Namen. Aus seiner Stimme hörte ich raus, dass er verwirrt war.
Ich spürte seine Hände an meinem Rücken. Vorsichtig umschlang er die Arme um mich. In Kürze umhüllte mich seine Wärme. Ich schloss die Augen. Ich fühlte mich auf einmal so leicht wie eine Feder, als ob die Last auf meinen Schultern gefallen wäre. Aus Freude hatte ich Devran einfach umarmt. Nach Wochen hatte ich jemanden so fest umarmt. Die Umarmung fühlte sich richtig an, doch dass es Devran war, nicht.
Aber er ließ es zu.

„Was ist los? Wieso weinst du?", löste Devran sich von mir.
„Entschuldigung! Wollte dich nicht - ehm...", versuchte ich zu erklären und wischte die Tränen weg.
„Schon in Ordnung. Du hättest nicht mit dieser Aussage gerechnet.", meinte er und kratzte sich am Hinterkopf. Ich konnte mir das Lächeln nicht verdrängen.
„Du hast mir gerade die Nachricht gegeben, die ich am meisten brauchte! Wenn wir Demir finden, dann - dann, wüsste ich wirklich nicht - Oh mein Gott!"
Ich konnte meine Gefühlswelt nicht in Worte fassen und war total aufgewühlt.
„Ich werde mein bestes geben, doch ob wir Demir wirklich finden, kann ich dir nicht garantieren."
Es reichte mir schon, dass er es versuchte. Devran könnte sicherlich irgendein Hinweis finden. Er hatte Connections, Hintermänner, Mafia-Skills, die uns behilflich sein könnten.

„Danke, ist nicht selbstverständlich. Wirklich, danke Devran.", gab ich dankbar von mir.
Kurz huschte ein Lächeln über seine Lippen. Er ging ein Schritt zurück und setzte sich hin. Dabei schmerzte seine Wunde.
„Sei vorsichtig.", warnte ich ihn.
Ich bemerkte, wie sehr es ihm schmerzte. Dadurch, dass ich ein emphatischer Mensch war, spürte ich den Schmerz fast an meinem Körper.
„Tja, werde ich noch ein paar Wochen ertragen müssen. Die Narbe wird aber bleiben und mich immer an dich erinnern."
„Keine schöne Erinnerung."
„Mein Leben ist gezeichnet durch solche Erinnerungen. Ich habe viele Narben abbekommen und habe jede überlebt."
„Was, wenn du die nächste nicht überlebst? Hast du nicht Angst?", interessierte mich.
„Hätte ich Angst, wäre ich nicht die Person, die ich heute bin.", gab er selbstsicher von sich. Das stimmte immerhin.

„Ich glaube mein Verband muss gewechselt werden.", meinte Devran und hielt sich an der Wunde fest.
„Der Arzt hatte gesagt, dass ich es wechseln sollte. Kannst du mir aus den Erstehilfekasten Verbandszeug bringen?", fragte er.
„Wo?", stand ich auf.
„Dort drüben an der Wand."
Wie gesagt brachte ich das nötige Zeug. Vorsichtig setzte Devran sich hin.
„Darf ich dein Verband auffrischen?", fragte ich daraufhin. Irgendwie hatte ich das Bedürfnis, ihn zu helfen. Er litt schon genug.
„Was?", erstarrte er. Verwundert blickte Devran mich an, als ob ich etwas Verbotenes gesagt hätte.

„Ich meine es ernst. Du kannst nicht dein eigenes Blut sehen. Habe ich bei der Messerstecherei bemerkt. Und vielleicht ist das bei frischen Narben auch so.", erinnerte ich ihn.
„Ja, ich kann nicht mein Blut sehen.", beichtete er.
„Wie bist du Krimineller, wenn du kein Blut sehen kannst?", fragte ich lachend.
„Das ist eben meine Schwäche. Jeder hat welche... Deine ist zum Beispiel die Einsamkeit und Klaustrophobie.", sagte er plötzlich.
Überrascht blickte ich ihn an.
„Woher weißt du, dass ich Platzangst habe?"
„Erinnerst du dich noch an unsere erste Begegnung? Ich hatte dich in den Schrank reingezogen und du wolltest mir sagen, dass du Platzangst hast, als ich dir den Mund zuhielt.", war ihm im Gedächtnis geblieben. Mit hochgezogenen Brauen blickte ich ihn an. Mich wunderte seine Aufmerksamkeit. Enge Räume machten mir wirklich Angst.

Die Wunde der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt