Kapitel 4

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Sidon

Ich fasse dass alles einfach nicht, surrt es durch meinen Kopf, während ich immer noch fassungslos auf mein Handy starre, das schon längst wieder erdunkelt ist. Wie kann er nur...? Nach allem was damals...? Ich meine... Lauter Wortfetzen wirbeln durch meinen Verstand, doch keiner der Satzschnipsel erlangt in dem jetzigen Chaos seine Vollständigkeit. Stattdessen überrumpelt mich das Bedürfnis mit meinem Fuß gegen die nächstbeste Straßenlaterne zu treten und das ist nun wirklich ungewöhnlich für mich.

Aber was ist schon normal in einer Welt, in der dein ehemaliger bester Freund plötzlich zum Rockstar aufsteigt und dann zwei Jahre später seinen Einfluss missbraucht, um dich zu einer Reality-Show zu überreden? Ich meine, das kann doch nicht nur ich vollkommen verrückt finden, oder?

Und dann ist Colton natürlich auch noch zum größten Kotzbroken aller Zeiten mutiert, der vermutlich kein Nein akzeptieren wird. Zum Glück habe ich den Ton meines Handys vorsichtshalber schon ausgeschaltet. Dann bekomme ich wenigstens nicht mit, wenn er mich mit Spamnachrichten bombardiert und wenn das nicht hilft, blockiere ich ihn wieder.

Vermutlich sollte ich jetzt tief durchatmen und mich abregen, bevor ich noch blind vor Wut gegen einen dieser Laternenpfahle renne, nach denen ich immer noch gerne treten würde. Aber verdammt, wie soll ich das schaffen, wenn sich Colton wie ein skrupelloser Mistkerl verhält? Ich meine, wofür hält er sich bitte? Für den Meister der Marionettenspieler, der den Medien nur ein paar Worte zuflüstern muss, damit seine kleine Puppe in die geplante Richtung springt? Oh nein, es braucht schon ein bisschen mehr, als einen Anruf, etwas provozierendes Geplänkel und einen trendigen Hashtag, um mich wieder in seine beschissenen Arme zu treiben.

Ich kann nicht fassen, dass er mich für seinen beruflichen Aufstieg benutzen möchte, nachdem er einen schmerzhaften Stepptanz auf meinem Herzen aufgeführt und mich dann achtlos weggeworfen hat! Energisch krame ich in meiner Jackentasche nach dem Hausschlüssel, denn wie durch ein Wunder bin ich bereits zuhause angekommen, obwohl es sich anfühlt als wäre ich eben erst losgegangen. Doch kaum stecke ich das Stück Metall ins Schloss, vernehme ich einen Pfiff aus nächster Nähe. Wie von selbst werfe ich einen kurzen Blick über die Schulter, um herauszufinden, ob irgendein Nachbar damit auf sich aufmerksam machen möchte. Doch leider ist es nicht einfach ein vorbeigehender Fußgänger, der versucht seinen Hund wieder einzufangen, es ist...Colton?!

Verwirrt blinzele ich ein paarmal, doch das Bild vor meinen Augen bleibt das gleiche und auch die wundersame Findung eines Doppelgängers kann ich schnell ausschließen. Denn das ist er. Kein wandelndes Konzertplakat oder eine Halluzination, sondern die Live-und-in-Farbe-Version, die mit einem ironischen Lächeln auf mich zu geschlendert kommt.

Völlig verblüfft mustere ich seine aufragende Gestalt und ohne, dass ich irgendetwas dagegen tun kann, nehme ich all die vertrauten Details wahr, die den meisten Leuten wohl entgehen. Wie zum Beispiel die Schatten unter seinen Augen, die nicht einmal nach zehn Stunden Schlaf von ihm weichen oder den abgeblätterten schwarzen Nagellack, dessen Zustand stark an meine eigenen Fingernägel erinnert. Und natürlich seine Augen. Die meisten beschreiben Braun als nichtssagend und langweilig, weil sie von allen Augenfarben am häufigsten vorkommt, aber diese Exemplare erweckten schon immer den poetischen Teil meiner Seele.

Sie wirken als ob man die ganze Welt darin zusammengemixt und dadurch genau wie bei Acrylfarbe einen tiefen Braunton erhalten hätte. Aber es ist keine schattenlose Grundierung, stattdessen werden die Augen von hellen Sprenkeln gezeichnet und hinterlassen den Eindruck als würde man durch eine mit Wassertropfen benetzte Scheibe starren.

Kaum merklich schüttle ich den Kopf, um endlich aus meiner Trance zu erwachen. Du blöde Träumerin, mault mich meine innere Stimme an und leider hat sie gar nicht mal so unrecht. Endlich trifft mich seine plötzliche Anwesenheit mit einer anständigen Wucht und mir wäre dabei fast die Kinnlappe hinuntergeklappt. Was zum Teufel tut er hier? Er hat kein Recht dazu, einfach so vor meiner Haustür aufzutauchen und mich stumm anzuglotzen! Vor allem, wenn er nur wenige Minuten zuvor versucht hat, mein Leben für einen Karrierepush auf den Kopf zu stellen!

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