Epilog

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Ein Monat später

Sidon

Ich stehe an ihrem Grab. Es ist das allererste Mal. Ich habe es nicht auf die Beerdigung geschafft.

Meine Gedanken umringen mich wie Geister, wirbeln um mich herum und lassen mich in einem Zustand der Verwunderung zurück. Dieser Moment fühlt sich nicht real an, aber das ist er. Ich spüre es daran, wie der Wind an meinen Haaren zerrt. Wie fest sich der Boden unter meinen Füßen anfühlt. Daran, dass meine Finger klamm sind, weil ich den Blumenstrauß schon so lange in den Händen halte.

Es sind Rosen. Langweilige, rote Rosen, die bestimmt jeder Dritte seiner Liebsten zum Valentinstag schenkt und trotzdem weiß ich, dass Flor diese Geste alles bedeuten würde. Fast kann ich hören wie sie mich mit meinem Spitznamen ruft: Rose. Diese Blumen stehen für mich. Dafür, dass ich sie nie vergessen werde, jetzt aber damit beginnen muss, sie endlich loszulassen.

»Es tut mir leid, Flor«, flüstere ich, als ich mich endlich nach unten beuge, um den Strauß sanft vor dem Baum abzulegen, den ich aktuell fixiere. Meine Eltern haben das letzte Geld zusammengekratzt, um ihrer geliebten Tochter eine Baumbestattung zu ermöglichen und ich könnte nicht dankbarer dafür sein. Es hinterlässt ein warmes Gefühl in mir, wenn ich daran denke, dass sie für immer von einer Pflanze umgeben sein wird. Vielleicht fühlte es sich für sie an wie nachhause kommen.

Tränen strömen über meine Wangen, während ich über die raue Baumrinde fahre. Ich habe mich immer davor gedrückt ihr Grab zu besuchen. Ich hatte Angst, dass sie mich nicht hier haben möchte. Dass ihr Geist mich vom Friedhof jagen würde, noch bevor ich das Eisentor passieren kann. Es ist eine Erleichterung, dass nichts von alledem passiert ist.

»Ich habe mir lange Zeit die Schuld an deinem Tod gegeben«, verrate ich ihr, »Das tue ich jetzt noch. Aber... jemand Besonderes hat mir ein paar Dinge gesagt und ich habe erkannt, dass das nicht meine Bürde ist. Ich habe sie aufgenommen, auf meinen Rücken geschnallt und mich davon niederdrücken lassen, aber das möchte ich jetzt nicht mehr... Ich wünschte wirklich, ich wäre diejenige gewesen, die von dem Auto getroffen wurde und ich weiß auch, dass ich besser hätte aufpassen sollen. Und doch... Ich habe erkannt, dass es ein Unfall war«

Langsam lasse ich die Luft aus meinen Lungen entweichen, während sich ein Schluchzer in mir aufbaut.

»Ich frage mich bis heute, warum du gestorben bist. Warum kam genau in dem Moment ein Auto angefahren? Warum war ich unvorsichtig und bin einfach über die Straße gelaufen? Vermutlich ist der Mensch zu klein, um zu verstehen, was dahintersteckt, aber ich weiß, dass ich nicht wollte, dass irgendetwas davon passiert. Ich wollte dich nicht in Gefahr bringen...«

Der Wind ist das einzige, was mir antwortet, doch ich hatte auch nicht erwartet, dass plötzlich eine Stimme zu mir spricht. »Tote können einem keine Absolution mehr erteilen. Sie können einem nicht verzeihen. Also, liegt es an mir das zu tun und Flor... Ich glaube, ich bin bereit dazu, diesen Schritt zu wagen. Ich möchte heute einen neuen Lebensabschnitt beginnen. Und... Die Schuld, die ich schon seit so langer Zeit empfinde, soll dort keinen Platz mehr haben.

Ich werde es vermutlich nicht von jetzt auf gleich schaffen loszulassen, aber das ich mir überhaupt zugestehe es zu versuchen, ist... Es ist unglaublich. Ich... Ich habe dich lieb, Flor. Ich hoffe wirklich du bist irgendwo dort oben und hörst meine Worte«

Mit tränenverschleierten Augen sehe ich gen Himmel. Die Sekunden ziehen vorüber, doch ich rühre mich nicht. Ich brauche noch einen kurzen Moment für mich allein, bevor ich zulassen kann, dass Colton mich in den Arm nimmt und mir einen Kuss auf den Kopf drückt. Ich brauche einen kurzen Moment, um zu realisieren, dass Leben Veränderung bedeutet und ich heute zum ersten Mal versuche, etwas zu akzeptieren, dass nicht mehr rückgängig zu machen ist.

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