Kapitel 14

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Sidon

»Und es gibt wirklich noch keine neuen Erkenntnisse zu dem Vorfall?«, hakt Avel nach. Seit zwei Tagen stochert die Polizei schon im Trüben, weil es keinerlei Hinweise oder Anhaltspunkte gibt und wenn sich dieser Umstand nicht in der nächsten Woche ändert, kommt der Fall vielleicht zu den Akten.

Angespannt schüttle ich den Kopf. Es wäre eine Lüge zu behaupten, dass ich in der Nacht nicht bei jedem einzelnen Geräusch aufhorche, weil ich Angst habe, dass wieder jemand bei uns eindringt.

»Wie geht es euch beiden? Du siehst ziemlich nervös aus und Colton wird es wohl nicht anders gehen. Ihr habt beide viel zu verarbeiten« Avels warme Augen durchleuchten mich wie ein Ultraschallgerät und ihre Miene strahlt Besorgnis aus.

»Ehrlich gesagt, ist es schwer zu sagen wie es Colton geht... Er verhält sich wie ein geköpfter Kakadu mit Blähungen. Mir ist schon klar, dass seine Hauptaufgabe mittlerweile darin besteht, mir bestmöglich auf die Nerven zu gehen. Aber jetzt...«

Meine Laptopkamera überträgt meinen undefinierbaren Gesichtsausdruck zu Avel nach Boston und ich wünsche mir nicht zum ersten Mal, dass das nicht nur ein Videochat wäre. Eine von ihren nach Jasmin duftenden Umarmungen würde mir jetzt sicherlich gut tun.

»Es ist so als hätte er seine Unausstehlichkeit mit Anabolika aufgemotzt. Ich bemühe mich nachsichtig zu sein, weil ich weiß, dass der Vorfall ihn mitgenommen hat, aber die meiste Zeit scheitere ich. Wir sind wie zwei Wildkatzen, die aufeinander losgehen. Keine Ahnung, wie das in den nächsten Wochen funktionieren soll«

Seufzend beobachte ich wie Avel einen Schluck aus ihrer Tasse nimmt und es kommt mir vor als könnte ich den Duft ihres Tees bis hier hin riechen.

» Da ist noch etwas anderes vorgefallen, habe ich Recht? Das ist nicht das einzige, was dich aufwühlt«

Verdammt! Habe ich schon erwähnt, dass meine Freundin jede noch so verborgene, emotionale Last erspüren kann? Einerseits liebe ich sie für ihre feinen Antennen, andererseits habe ich sie schon oft dafür verflucht. Manchmal ist es bequemer sich in Verschwiegenheit zu hüllen, als all die Wahrheit aus sich herauszulocken.

»Als Colton das Bild am Morgen zum ersten Mal sah, ist er direkt zu mir gekommen, um mich zu beschuldigen«, würge ich hervor und es fühlt sich an als würde ich mit jedem Wort mit Schotter über das vernarbte Gewebe meines Herzen kratzen, »Er dachte, ich hätte seine Privatsphäre auf diese schäbige Weise verletzt... Und das hat mich daran erinnert, was damals geschehen ist, kurz bevor ich verschwunden bin. Ich weiß selbst nicht, warum mich das so belastet. Es sollte mir egal sein, was er denkt. Er bedeutet mir nichts mehr. Ich fand es einfach nur... ärgerlich, dass er mir so etwas zutraut, obwohl ich ihm nie etwas getan habe. Er rückt sich ständig in ein Unschuldslicht und ich würde ihm dafür, am liebsten den Hals umdrehen«

»Sidon, er war durch den Wind. In solchen Momenten denkt man nicht unbedingt rational, wahrscheinlich spuckte sein Gehirn ein paar Fetzen von wegen „einzige Mitbewohnerin" und „leichtester Zugang" aus und dann ist er bereits losgestürzt. Das darfst du auf keinen Fall persönlich nehmen!«

Avels Worte der Logik waschen über mich und ich muss ein weiteres Seufzen unterdrücken.

»Du hast vermutlich Recht. Gäbe es unsere Vergangenheit nicht, wäre ich auch nicht so sauer deswegen... Aber jetzt erzähl: Wie geht's dir so? Was machst du dort so allein auf dem Campus?«

Überraschender Weise erröten Avels Wangen in diesem Moment und meine Neugierde ist sofort geweckt.

»Uhh, kenne ich die Person?«, scherze ich, während ich mich frage, ob es wirklich etwas mit einem neuen Crush zu tun haben könnte.

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