Kapitel 16

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Sidon

Es ist nur ein Pfannkuchenhaus – Ich wiederhole den Satz immer und immer wieder als wäre es ein heiliges Mantra und trotzdem will der Knoten in meinem Magen sich einfach nicht lösen. Wie hat Mrs. Shine nur diesen Ort gefunden? Das Restaurant sieht fast so aus wie „Dannys Pancakes". Das ist ein kleines Lokal am Stadtrand von Anestry Creek, das Colton und ich unzählige Male besuchten. Von den Pfannkuchen, die ich während meiner Aufenthalte, in mich hineingeschaufelt habe, könnte man ein ganzes Dorf ernähren. Jedes wichtige Ereignis – mochte es noch so klein sein – feierten wir im Danny's. Und auch die wirklich miesen Tage verbrachten wir dort, um uns eine teigige Infusion aus Glück in die Venen zu pumpen.

Die Erinnerungen überwältigen mich beinahe, als ich mich in dem Restaurant umsehe und dabei über die roten Polster der Sitzbänke streiche. Unter meinen Füßen befindet sich ein Boden mit Schachbrettmuster und die Wände sind mit Holzplättchen verkleidet, die in eine beige Tapete übergehen. Überall hängen Fotos und Dekorationselemente, die an den Rock 'n' Rolls der 80er erinnert.

Das einzige, was fehlt ist die altmodische Türglocke und das flackernde Neonschild, das schon bessere Zeiten gesehen hat. Ein Stich des Vermissens durchfährt mich, denn selbst wenn ich irgendwann einen Abstecher in „Dannys Pancakes" machen werde, wird es nie mehr dasselbe sein wie früher. Colton und ich können nie wieder das sein, was wir früher einmal waren...

In diesem Moment spüre ich die Schwere eines Blickes auf mir und als ich mich umdrehe schaue ich in ein paar bittere Schokoladenaugen mit Traurigkeitsnote – Coltons Markenzeichen.

Ob er gerade auch an unsere gemeinsame Zeit im Danny's denkt? Ohne Vorwarnung schleicht sich diese dumme, dumme Frage in meine Gedanken und es ist genauso wie ich befürchtet habe: Die Ähnlichkeit zu dem Ort unserer Jugend vernebelt meinen Verstand und sorgt dafür, dass ich weich werde. Dabei sollte ich Colton eigentlich den Mittelfinger zeigen, weil er es in den letzten Tagen mit seinen nervtötenden Kommentaren zu weit getrieben hat. Heute werde ich ihm seine bescheuerte Schonfrist unter dem Hintern wegzerren, schöre ich mir, er hat sich lange genug darauf ausgeruht.

»Es wird Zeit, Platz zu nehmen!«, flötet Mrs. Shine und deutet auf einen der massiven Holztische. Überrascht sehe ich sie an. Das Kamerateam scheint startklar zu sein, aber ich bezweifle, dass ich dasselbe von mir behaupten kann. Ich habe weder eine Ahnung, was unsere Regisseurin heute von uns verlangen wird, noch wie ich mir die lästigen Erinnerungen vom Leib halten soll.

Trotz alledem lasse ich mich auf eines der Polster sinken und sitze somit Colton gegenüber, der ausnahmsweise auch ein wenig verunsichert aussieht. „Und Action!" brüllt da schon jemand durch den Raum und wir werden beide ins kalte Wasser geworfen.

»Sidon und Colton, schön das ihr euch zu eurem kleinen Date eingefunden habt« Mrs. Shines Stimme dringt seltsam verzerrt an mein Ohr und es dauert ein paar Sekunden bis ich verstanden habe, dass die Geräusche aus einem Lautsprecher über unseren Köpfen dröhnen. Offenbar wird eine vorab aufgenommene Audio-Datei abgespielt, denn aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, dass Megans Lippen sich nicht bewegt haben.

Oh man, was für ein seltsamer Big-Brother-is-watching-you-Mist ist das denn?

»Wie ihr sicher schon regestiert habt, ist das kein normales Restaurant, sondern ein Pfannkuchenhaus, das extra für eure Verabredung, an das aus eurer Jugend angepasst wurde. Ich hoffe, ich konnte einige Erinnerung bei euch wecken?« Die körperlose Stimme klingt herausfordernd und ich frage mich nicht zum ersten Mal, woher sie überhaupt von diesem Ort weiß. Hat einer von uns „Dannys Pancakes" in einem der Fragebögen erwähnt?

»Egal wie die Antwort auch lauten sollte, ich bin mir sicher, dass die heutige Aufgabe, die Geister der Vergangenheit wecken wird. Im Serviettenspender findet ihr einen Stapel Karten, auf dem ich verschiedene Fragen zu eurer früheren Freundschaft notiert habe. Oder gab es vielleicht doch eine Zeit, in der mehr zwischen euch lief? Wir werden es herausfinden, denn nacheinander werden die Karten alle aufgedeckt und von euch beantwortet. Und dabei wird eure Offenheit belohnt werden, denn wie viele Fragen ihr insgesamt beantwortet, wird darüber entscheiden, ob ihr hungrig vom Tisch geht oder eure Zähne in einen saftigen Pfannkuchen schlagen könnt. Möge die Wahrheit mit euch sein, denn Lügen sind ab jetzt strengstens verboten. Viel Spaß, ihr Turteltäubchen«

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