Kapitel 49

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Colton

Ich bin wie erstarrt. Habe ich das richtig verstanden? Möchte sie wirklich...

Meine Hand greift erneut nach ihrer und ich drücke sie einmal bekräftigend, damit sie weiß, dass ich mir ihre Geschichte anhören werde. Fast augenblicklich holt Sidon zitternd Luft und die Atmosphäre wird von einer Mischung aus Angst und Erwartung erfüllt.

»Ich bin hier«, wispere ich leise. Am liebsten würde ich ein „Diese Geschichte wird keinen Unterscheid für mich machen" dahinter hängen, doch ich weiß, dass sie mir nicht glauben würde. Es scheint so als wäre endlich die Zeit gekommen, ihr zu beweisen, dass alle meine früheren Beteuerungen nicht nur leere Versprechen waren.

Sidon drückt meine Hand, bevor sie für einen Moment die Augen schließt und sich auf ihre Atmung konzentriert. Ich spüre wie viel Überwindung es sie kostet, die ersten Worte aus ihrem Mund zu pressen, weswegen ich mich geduldig zurücklehne und auf den Anfang warte. Sekunden ziehen vorüber, die nur von ihren Atemzügen erfüllt werden, doch dann fixieren ihre Augen wieder das Gebäude und ich kann fühlen, dass sie so weit ist.

»Es war kurz vor den Sommerferien. Wir saßen zum Abendessen am Küchentisch. Es war ein ganz normaler Tag«

Sidons Stimme bricht und die Tränen, die erst vor kurzem verronnen sind, beginnen erneut über ihr Gesicht zu fließen. Erst da erinnere ich mich an die Notfallpackung Taschentücher, die ich heute Morgen in meine Hosentasche gestopft habe und ich lege ihr vorsichtig ein Papiertuch in die Hand. Augenblicklich schließen sich ihre Finger darum.

»Jedenfalls dachte ich das. Wir alle dachten das«

Ich versuche nicht allzu große Panik zu schieben, weil Sidons Stimme so kraftlos klingt und ihr Blick einen fast fieberhaften Glanz angenommen hat. Es fühlt sich an, als würde ich sie an die Hirngespinste in ihrem Kopf verlieren. Kurzeitig frage ich mich, ob es wirklich eine gute Idee war, sie erzählen zu lassen, doch ich rufe mich schnell wieder zur Ordnung. Das hier ist wichtig für Ro. Vielleicht fügt es ihr jetzt große Schmerzen zu, aber womöglich hilft es ihr, dem Loslassen einen Schritt näher zu kommen.

»Es gab Putenstreifen auf Salat – eines von Flors Leibgerichten. Nach dem Essen legten meine Eltern bedeutungsschwer das Besteck auf den Teller. Die Bewegung lief beinahe synchron ab. Mein Vater nickte meiner Mutter zu und in der Pause, die sie dafür nutzte sich ihre Worte genau zurechtzulegen, warfen Flor und ich uns einen intensiven Blick zu. Irgendetwas lag im Argen. Große Neuigkeiten kamen auf uns zugerollt und wir wussten es beide.

Meine Mum machte es kurz und schmerzlos: Sie teilte uns mit, dass wir noch während der Sommerferien in die Heimatstadt unseres Vaters ziehen würden. Für unseren Umzug nach Anestry Creek war bereits alles geplant. Meine Eltern hatten neue Jobs, ein passendes Haus und die Anmeldung bei unserer neuen Schule war auch schon erfolgt.

Ich war wie erstarrt. Ein großer Kloß lag in meinem Bauch und dehnte sich nach und nach bis auf das Zehnfache aus. Mir war speiübel. Ich konnte nicht glauben, dass unsere Eltern meine Schwester und mich einfach so aus unserem Leben reißen wollten, um uns in einer Kleinstadt zu platzieren, von der noch kein Schwein gehört hatte. Ich mochte Boston, aber vor allem wollte ich nicht von Tante May getrennt werden.

Also begehrte ich auf. Ich zählte all die Dinge auf, die ich hier zurücklassen müsste und warum es wichtig wäre in Boston zu bleiben. Doch meine Eltern wollten von alldem nichts wissen. Für sie war es eine beschlossene Sache.

Wut brodelte in mir. Ich wollte auf keinen Fall meilenweit weg ziehen. Und so spielte ich meine letzte mögliche Karte aus und versuchte Flor auf meine Seite zu ziehen. Ich dachte, sie würde wegen ihren Freunden hier bleiben wollen, aber ich hatte Unrecht. Sie schien mit der Entscheidung unserer Eltern keinerlei Probleme zu haben.

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