Kapitel 60

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Colton

Ich bin kurz davor den Verstand zu verlieren. Normalerweise sollte jetzt alles besser werden. In der Stofftasche befanden sich tatsächlich zwei Wasserflaschen. Und sogar drei Äpfel und ein Eimer ließen sich aus dem Beutel zaubern. Erleichterung – Ich durchforste meinen Körper immer und immer wieder danach, aber das einzige, was ich darin finde ist Angst. Sie tobt durch jede meiner Zellen und setzt mich vom Scheitel bis zum Fuß lahm.

Mein Gesicht pocht noch immer von seinen Schlägen, aber am schlimmsten brennt der Schnitt, der zum Glück nicht mehr blutet. Statt einer klebrigen Flüssigkeit fühle ich jetzt rauen Schorf auf meiner Wange. Warum hat er mir das angetan? Er wirkt verrückt genug, um eine Fotosammlung all seiner Opfer bei sich zuhause im Wohnzimmer hängen zu haben, aber auch die Erpressungstheorie lässt mich nicht mehr los. Vielleicht wissen Sidon, J.P und die Polizei mittlerweile von der Entführung und suchen nach mir? Ich kann es nur hoffen, denn noch immer habe ich keinen blassen Schimmer, was der Täter mit mir anstellen wird, wenn „die richtige Zeit gekommen ist". Auf etwas Friedliches deutet die kryptische Botschaft jedenfalls nicht hin.

Angestrengt schließe ich meine Augen und versuche den Raum um mich herum zu vergessen. Sidon. Ich muss mir einfach vorstellen, wir säßen in meinem Zimmer auf dem Trust-again-Campus und würden ein wenig herumalbern. Ich bin nicht in Gefahr und auch sie ist in Sicherheit. Ro hat ihre Hand auf meine gelegt, während ich ihr eine Zeile aus unserem Song vorsinge. Es ist alles in Ordnung...

Das Drehen eines Schlüssels in einem Schloss lässt mich aus meiner Gedankenwelt fahren. Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist. Augenblicklich setze ich mich aufrechter hin und mein Blick schnellt reflexartig Richtung Tür. Ohne es zu wollen, nimmt meine Atmung an Geschwindigkeit zu und die Wunde auf meiner Wange beginnt stärker zu pochen, als würde sie sich an ihren Erschaffer erinnern. Angst gräbt sich mit scharfen Krallen in meinen Magen und ich muss schwer schlucken.

Ich wünschte, ich könnte sagen, dass mich die schwarze Gestalt mit dem maskierten Gesicht beim zweiten Mal nicht mehr beeindruckt, doch das Gegenteil ist der Fall. Sofort rutscht mir mein Herz den ganzen Weg bis hinunter in meine Füße, denn jetzt da mich die Überraschung nicht beschützt, spüre ich ganz eindeutig, die Macht, die die Gestalt ausstrahlt. Es könnte jeder und gleichzeitig niemand sein. Die Anonymität verleiht ihm Kontrolle über die Situation, denn wie soll ich seine Schwächen erkennen, wenn ich keine Ahnung habe, wer er überhaupt ist? Zudem lässt es ihn imposanter wirken, denn die Geheimnisse, die ihn umringen, regen meine Fantasie an.

Ein Axtmörder, ein Psychopath, ein Verrückter aus den Tiefen einer Irrenanstalt...

»Werden Sie mir dieses Mal verraten, was Sie mit mir vorhaben?«

»Ich habe dir doch schon zuvor gesagt, dass ich niemand bin, der seinem Gegenüber seine Pläne verrät. Und jetzt lass dich ansehen«

Mittlerweile steht der Täter wieder vor meiner Matratze und ehe ich mich versehe hat er sich schon wieder zu mir heruntergebeugt und umfasst mit harten Fingern mein Kinn. Das Phantom übt einen unangenehmen, fast schmerzhaften Druck auf meinen Kiefer aus, doch ich versuche, mir mein Unbehagen nicht anmerken zu lassen. Man sollte einem Raubtier nie seine Angst zeigen, schießt es mir durch den Kopf, doch ich weiß, dass ich darin schon lange versagt habe...

»Meine Hiebe haben ein paar wirklich schöne, blaue Flecken hinterlassen. Ich sorgte mich schon darum, dass ich nicht fest genug zugeschlagen habe. Dann hätten wir das Ganze wiederholen müssen«

So plötzlich wie das Phantom gekommen ist, zieht es sich auch wieder zurück. Ein weiteres Mal verschwindet seine Hand in seinem Umhang und er zieht ein altertümliches Handy hervor, das sicherlich nur für eine Art von Mann lohnenswert ist: Demjenigen, der nicht gefunden werden will.

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