Kapitel 11

134 9 88
                                    

Colton

»Versprich mir wenigstens, dass wir uns so gut es geht aus dem Weg gehen«

Sidon dreht sich im Türrahmen ihres neuen Zimmers um, damit sie mir einen warnenden Blick zuwerfen kann. Auch ich bin auf dem Weg zu meinem Schlafplatz für die nächsten sechs Wochen, doch anders als sie habe ich keine große Lust jetzt irgendwelche Regeln für unsere gemeinsame Unterkunft auszudiskutieren. Die Erschöpfung kursiert durch meinen Körper und ich möchte nur noch mit Kopfhörern ins Bett fallen.

Genau deshalb wäre es das Schlauste weiterzugehen und das Gespräch mit einem knappen „Ja, ja" zu beenden. Doch wie ihr bereits gemerkt haben solltet, bin ich kein Freund davon, mir von meiner eigenen Logik etwas vorschreiben zu lassen.

»Nur wenn du mir sagst, warum du damals gegangen bist«, murmele ich vor mich hin und obwohl ich Sidon den Rücken zugedreht habe, kann ich ihren überraschten Gesichtsausdruck anhand eines scharfen Atemzuges festmachen. Ich meinerseits bin nicht einmal besonders erschrocken, dass ich von einer Sekunde auf die andere mit der Tür ins Haus falle. Wenn man bedenkt wie lange mich diese Frage schon quält, ergibt es Sinn, dass ich irgendwann damit herausplatzen musste. Und dieser Zeitpunkt ist offenbar jetzt.

Langsam drehe ich mich zu ihr um, weil ich bereits spüren kann wie sich ihr zorniger Blick in meinen Rücken bohrt, doch als ihr gegenüber stehe, bemerke ich das feuchte Glitzern in ihren Augen. Ich bin kurz davor den Halt zu verlieren. Mein Herz klopft laut und kräftig in meiner Brust, während es einen unsichtbaren Feind zu jagen scheint. Bumbumbumbum. Gab es doch einen guten Grund? Werde ich jetzt nach all dieser Zeit eine heißersehnte Antwort auf diese Frage bekommen? Hoffnung und Angst zirkulieren durch meinem Blutkreislauf und ich beobachte stumm wie die verschiedensten Emotionen über Sidons Gesicht tanzen. Ich kann die einzelnen Emotionen nicht bestimmen, aber ich nehme wahr, wie sie ihre Hände zu Fäusten ballt und mich ansieht, als hätte ich soeben ihrem geliebten Haustier das Herz aus der Brust gerissen.

»Ich werde nicht mit dir darüber reden«, erwidert sie durch zusammengebissene Zähne und versetzt mir damit einen weiteren Schlag in die Magengrube, »Ich werde das nicht alles noch einmal durchkauen, nur weil du dich dann besser fühlst. Und zwar niemals. Das kannst du dir sowas von abschminken!«

Aus ihren Augen schießen kaltherzige Blitze, aber auch in mir baut sich ein Zorn auf, weil das Fragenkarussell in meinem Kopf so zu keinem Ende gelangen wird.

»Na schön«, spucke ich aus, während ich mit meiner Faust am liebsten gegen die nächste Wand getrommelt hätte. Warum kann sie es mir nicht einfach sagen? Will sie mich für irgendetwas bestrafen oder steckt in ihr wirklich nur ein Miststück, das sich an meiner Hilfslosigkeit weidet?

»Aber glaub' bloß nicht, dass mich das davon abhalten wird dir diese Frage immer wieder zu stellen. Sechs Wochen können lang sein und wenn dich dieses Thema jedes Mal so aufwühlt, wird das auf Dauer extrem anstrengend für dich!«

Ich weiß, dass ich gemein bin und blindlings nach irgendwelchen Strohhalmen greife, um sie doch noch zum Reden zu bringen, aber ich brauche diese Antwort. Ich verzehre mich schon so lange danach und selbst ein Tag in Sidons Gegenwart hat meine Geduld härter auf die Probe gestellt als alles bisher da gewesene.

Eigentlich erwarte ich, dass sie sich umdreht und die Tür hinter sich zuschlägt, doch sie bleibt wie angewurzelt dort stehen und starrt ins Leere.

»Was muss ich tun?«, flüstert sie schließlich vor sich hin und löst ihre Augen von den Holzdielen des Obergeschosses, in dem wir stehen, »Was muss ich tun, damit du mir diese Frage bis zum Ende des Drehs nicht mehr stellst?«

Nun liegt es an mir scharf die Luft einzuziehen, weil mich die Überraschung mit einer derartigen Wucht packt, dass ich sie nicht leise über mich ergehen lassen kann. Warum ist ihr mein Schweigen so viel wert? Nein, wie viel ist es ihr wert? Schnell überlege ich, was mich über das bestehende Fragezeichen hinwegtrösten könnte. Zuerst denke ich, dass mir nichts wichtiger ist als die Antwort auf das Warum, aber das stimmt nicht so ganz. Es gibt etwas das mit der Frage auf einer Stufe steht.

Songs, rockstars and the fucking pastWo Geschichten leben. Entdecke jetzt